Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.4. Réfugiés
Également: Circulaire du Département de Justice et Police aux gouvernements des cantons concernant le traitement des réfugiés politiques. Annexe de 20.4.1933 (CH-BAR#E2001C#1000/1533#2355*).
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 10, Dok. 257
volume linkBern 1982
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E4001A#1000/782#116* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 4001A(-)1000/782 25 | |
Dossiertitel | BRB vom 7.4.1933 über die Behandlung der politischen Flüchtlinge (1933–1933) | |
Aktenzeichen Archiv | 2.E.A-8 |
dodis.ch/45799
I. Wer ist politischer Flüchtling? Der Jude, der infolge der Boykottmassnahmen geflüchtet ist? Nein, wenigstens heute noch nicht; die Massnahmen die gegen die Juden ergriffen worden sind, liegen auf wirtschaftlichem Gebiet. In erster Linie werden es diejenigen sein, die als Staatsbeamte, als Führer politischer Linksparteien oder als Schriftsteller im öffentlichen Leben Deutschlands eine Rolle gespielt haben. Diese dürften ausnahmslos bekannt sein, wo sie es nicht sind, ist ihre Flüchtlingseigenschaft durch Feststellung ihrer bisherigen Tätigkeit leicht zu erkennen. Schwieriger ist es mit denjenigen, die in der Öffentlichkeit bisher nicht aufgetreten sind, wie kleine Beamte, Angestellte von Gewerkschaften usw., auch solche, die gelegentlich an kleineren politischen Bewegungen teilgenommen haben. Bis bekannt ist, was die deutsche Regierung diesen Leuten gegenüber vorkehrt, wird es schwer sein, den Begriff des politischen Flüchtlings festzustellen. Die bisher ergriffenen Massnahmen - mit Ausnahme der gegen die Juden gerichteten - lassen erkennen, dass die Nationalsozialisten sich stark an das italienische Vorbild anlehnen, sodass die kommende Entwicklung in Deutschland einigermassen vorausgesehen werden kann.
Ich frage mich, ob es nicht zweckmässig wäre, unsere Gesandtschaft in Berlin zu beauftragen den Versuch zu machen, zu sondieren welche Massnahmen zu erwarten sind. Wenn das mit der nötigen Diskretion geschieht, sollte ein solcher Schritt m. E. nicht so abwegig sein, umsomehr, als die Gesandtschaft ja erklären kann, dass wir entschlossen sind dafür zu sorgen, dass jede Einmischung in die deutschen Verhältnisse von der Schweiz aus, namentlich durch politische Flüchtlinge, unterbleibt. Es ist mir aber klar, dass ein solcher Schritt eine vollständige Abklärung der Frage nicht bringen kann, weil es sich selbstverständlich nur um eine Sondierung handeln kann; denn ein offizieller Schritt bei der deutschen Regierung müsste den Anschein erwecken, dass wir unsere Massnahmen gegenüber den Flüchtlingen von ihren Wünschen abhängig machen.
Wir werden also auf jeden Fall vorläufig etwas im Dunkeln tappen. Eines scheint mir klar zu sein: Es sind sicher viele Leute unter dem Eindruck der ersten Massnahmen geflüchtet, die alles haben liegen lassen und selbst den Wunsch zur Rückkehr haben, sobald sie mit einiger Sicherheit darauf rechnen können, in Ruhe gelassen zu werden. Viele werden auch zu uns gekommen sein um den Versuch zu machen, unter dem Titel politischer Flüchtlinge ihren Erwerb in der Schweiz zu finden.
II. Diese Überlegungen führen mich dazu, zu beantragen, sehr strenge Vorschriften zu erlassen, denen sich nur diejenigen werden unterziehen können, die wirklich asylbedürftig sind. Bestandesaufnahme, Anmeldepflicht, Anweisung des Aufenthaltsortes (Grenzkantone und Zürich ausgenommen) und vorläufig generelles Verbot der Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Ausländer, die die schweizerische Grenze unter Missachtung der bestehenden Vorschriften überschreiten (nicht an offizieller Grenzübergangsstelle, ohne gültiges Ausweispapier, ev. ohne das vorgeschriebene Konsulatsvisum) müssen weg- oder ausgewiesen werden, es sei denn, sie kommen unmittelbar aus dem Lande, in dem sie verfolgt sind und seien wirklich bedroht. (Überhaupt müssen alle Erfahrungen, die wir mit Antifaschisten gemacht haben2, bei Aufstellung der neuen Beschlüsse und Weisungen berücksichtigt werden). Die grundsätzlichen Massnahmen müssen vom Bundesrat als Gesamtbehörde ausgehen, und zwar nicht nur aus formellen Gründen, wie wir später sehen werden, sondern auch wegen unserer innerpolitischen Verhältnisse. Die Vorkommnisse in Zürich3 und namentlich der Genfer Krawall4 haben überall im Lande herum grosse Beunruhigung über die ruhige Weiterentwicklung unseres demokratischen Staatswesens ausgelöst. In weitesten Kreisen bestehen Zweifel an der Zweckmässigkeit des Weiterbestandes unserer in der Verfassung niedergelegten demokratisch-freiheitlichen Grundsätze. Die vorerst noch klein aufgezogene schweizerische fascistische Bewegung findet deshalb einen guten Nährboden. Wir haben deshalb allen Grund, auch aus innerpolitischen Gründen dafür besorgt zu sein, dass die ausländischen politischen Flüchtlinge sich jeder offenen und versteckten politischen Tätigkeit in der Schweiz enthalten. Da die Kommunisten - und zwar parteimässig eingereihte wie sogenannte «Edelkommunisten» - nach Parteiauftrag oder eigener Überzeugung politisch tätig sein müssen, stellt sich für diese Leute die Grundfrage, ob wir ihnen überhaupt Asyl gewähren dürfen. Ich neige der Auffassung zu, diese Ausländer sollten samt und sonders vom Asyl ausgeschlossen werden, nicht erst dann, wenn ihnen der Nachweis erbracht werden kann, dass sie trotz eines von ihnen ja aus innerer Überzeugung nicht einzuhaltenden Verbotes politisch tätig gewesen sind. Bei dieser Gelegenheit wäre auch die Frage zu prüfen, ob nicht auch die in der Schweiz niedergelassenen ausländischen Kommunisten auszuweisen seien. Wo wäre die Grenze zu ziehen? Romain Rolland!
Die Frage nach der Abgrenzung stellt sich aber auch für diejenigen, die sich als Sozialdemokraten ausgeben. Hier können wir nicht auf die Mitteilungen unserer Sozialdemokraten abstellen, da die ganz linksstehenden unter ihnen im Grunde genommen ebenfalls Kommunisten sind. Wer aber in Deutschland in der sozialdemokratischen Partei aktiv tätig war, kann wohl unbedenklich als asylwürdig betrachtet werden.
III. Was ist vorzukehren?
1. Unerlässliche Voraussetzung für eine zweckmässige Behandlung der ganzen Flüchtlingsfrage ist, dass alle politischen Flüchtlinge einer zentralen Stelle gemeldet werden. Diese Stelle kann nur die Bundesanwaltschaft sein. Es fehlt allerdings die gesetzliche Grundlage, um die Kantone zu dieser Meldung zu zwingen. Wenn der Bundesrat sich aber an die Kantonsregierungen wendet mit dem Ersuchen, der Polizeidirektion Weisung zu erteilen, diese Meldung vorzunehmen, so dürften diese einer solchen Einladung m. E. heute durchgehends Folge geben.
Art.2, Abs.3, des neuen Niederlassungsgesetzes5 gibt dem Bundesrat die Kompetenz, für alle Ausländer oder für Gruppen solcher und für die Gastgeber strengere Meldevorschriften zu erlassen als allgemein im Gesetz vorgesehen sind, wenn besondere Verhältnisse es notwendig machen. Bis zum Inkrafttreten des Niederlassungsgesetzes sollte m. E. der Bundesrat gestützt auf Art. 10, lit. b, der Ausländerverordnung6 eine besondere Anmeldepflicht für politische Flüchtlinge verfügen können.
Art. 10, lit. b, lautet: «Der Bundesrat behält sich vor, im Falle von politischen, wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Gefahren oder wenn einzelne Staaten der Einreise von Schweizern besondere Hindernisse in den Weg legen, die Grenzen für die Einreise ganz oder teilweise zu schliessen, oder für die Einreise von Angehörigen bestimmter Staaten oder für bestimmte Grenzabschnitte besondere Massnahmen anzuordnen.»
Wenn diese Bestimmung auch nur von der Grenze und von der Einreise spricht, so gehören zur Einreise doch auch die Vorschriften über das Verhalten des Ausländers unmittelbar nach der Einreise. Ganz eindeutig scheint mir die Kompetenz des Bundesrates, auf Grund dieses Artikels der Verordnung eine besondere Anmeldepflicht für politische Flüchtlinge aufzustellen, allerdings nicht zu sein. Ich glaube aber, angesichts der besonderen Verhältnisse würde wohl diese Kompetenz nicht bestritten werden. Andernfalls müsste man sich damit behelfen, dass erklärt würde, der Ausländer, der sich nicht binnen 24 Stunden nach der Einreise bei der Ortspolizeibehörde anmeldet und als politischer Flüchtling ausdrücklich zu erkennen gibt, verliere den Anspruch darauf, als solcher behandelt zu werden. Dies würde wohl auf dasselbe herauskommen, denn durch das Mittel der Anmeldung wollen wir diese Leute ja nur sofort erfassen. Immerhin wäre es besser, der Bundesrat könnte eine zwingende Vorschrift aufstellen.
Für die bereits Eingereisten müsste eine Frist von einigen Tagen eingeräumt werden. Der Antrag der Bundesanwaltschaft, diese auf 5 Tage festzusetzen, scheint mir richtig zu sein.
Die Bundesanwaltschaft sollte bei dieser Gelegenheit auch ihre Register über die schweizerischen Kommunisten ergänzen.
2. Das Verfahren zur Regelung des Aufenthaltsverhältnisses: Die formelle Regelung des Aufenthaltsverhältnisses hat für die politischen Flüchtlinge wie für alle anderen Ausländer durch die Fremdenpolizeibehörden zu erfolgen. Es sollte aber für diese, wie für die Israeliten, den Kantonen Weisung erteilt werden, dass sie ausnahmslos schon die erste kurzfristige Aufenthaltsbewilligung der eidgenössischen Fremdenpolizei im Einspracheverfahren zu unterbreiten haben. (Vgl. Kreisschreiben über die Einreise von Israeliten vom 31. März, Seite 2, Abs.37.)Es bleibt allerdings noch die kantonale Kompetenz zur Aufenthaltsbewilligung an Saisonarbeiter. Da aber die Weisung erteilt wird, keine Bewilligung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu erteilen, fällt das dahin.
Die Regelung des Aufenthaltes durch die Fremdenpolizei hätte nach den Weisungen der Bundesanwaltschaft zu erfolgen. Bei dieser ist die ganze materielle Behandlung zu konzentrieren. Sie wird durch den Bundesrat besondere Kompetenzen erhalten müssen, einmal um sofort nach der bei ihr eingegangenen Meldung über die Anwesenheit von Flüchtlingen dem Aufenthaltskanton Weisung zu erteilen, ob und unter welchen Bedingungen er vorläufig geduldet werden kann, gegebenenfalls welcher Aufenthaltsort ihm zuzuweisen ist. Die Bundesanwaltschaft gibt der eidgenössischen Fremdenpolizei täglich eine Liste der Personalien der Gemeldeten, damit diese auf bestehenden Dossiers einen Vermerk macht oder ein neues Dossier anlegt (dies, damit sie der Bundesanwaltschaft alle Eingänge zur Kenntnisnahme überweisen kann). Langt der Aufenthaltsentscheid des Kantons bei der eidgenössischen Fremdenpolizei ein, so wird er der Bundesanwaltschaft überwiesen zur Antragstellung über den Entscheid. Der Antrag ist für die Fremdenpolizei verbindlich. Will diese davon abgehen, so hat sie sich mit der Bundesanwaltschaft zu verständigen; bei Unstimmigkeit entscheidet das Departement. Selbstverständlich muss auch die Fremdenpolizei der Bundesanwaltschaft die Fälle, die ihr bekannt werden, (auch Zweifelsfälle) sofort melden.[...]8
3. Weisungen an die Grenze. Die Kontrolle der Ausweispapiere ist an der deutschen und österreichischen Grenze ausnahmslos durchzuführen, auch bei allen im Automobil Einreisenden. In Zweifelsfällen, an Grenzübergangsstellen mit kleinem Verkehr ausnahmslos, ist der Zeller8 zu konsultieren. Die Bundesanwaltschaft gibt den Grenzpassierstellen Listen besonders gefährlicher Kommunisten. Wer ohne gültiges Ausweispapier an die Grenze kommt, ist zurückzuweisen. Wenn im Zeller oder auf einer Liste der Bundesanwaltschaft Figurierende oder andere Ausländer, die nach den allgemeinen Instruktionen nicht zugelassen werden dürfen, an der Grenze erscheinen und als politische Flüchtlinge Einlass begehren, ist die Bundesanwaltschaft telephonisch anzufragen, ob und unter welchen Bedingungen sie durchgelassen werden dürfen. Von Rückweisungen von der Bundesanwaltschaft im Zeller Ausgeschriebenen oder auf einer ihrer Listen Figurierenden ist die Bundesanwaltschaft schriftlich zu verständigen. Zoll und Kantone sind zu verhalten, die Grenze zwischen den Grenzpassierstellen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewachen.[...]9
- 1
- E 4001 (A) 1/25. Die Behandlung der politischen Flüchtlinge im Hinblick auf die Ereignisse in Deutschland.↩
- 2
- Cf no 189.↩
- 3
- A la fin du printemps 1932, une grève des monteurs en chauffage donne lieu à de sévères affrontements avec la police qui font un mort et de nombreux blessés.↩
- 4
- Du 9 novembre 1932.↩
- 5
- Du 26 mars 1931 (RO, 1933, vol.49, p.280). La loi doit entrer en vigueur le 1er janvier 1934.↩
- 6
- Ordonnance sur le contrôle des étrangers du 29 novembre 1921 (RO, 1921, vol.37, p.381).↩
- 7
- Cf. no 256, A.↩
- 8
- Le texte aborde ensuite les voies de plainte et de recours. %. Publié tout d’abord à titre privé par l’ancien chef de la police de Liestal, W. Zeller, le Schweizerische Fahndungsregister sera repris à partir du 1er janvier 1940 comme publication officielle par la Division de Police du Département de Justice et Police.↩
- 9
- Le 7 avril le Conseil fédéral adopte un arrêté concernant le traitement des réfugiés politiques (R 0,1933, vol. 49, pp. 207-208). L’annexe qui suit précise le sens et la portée de ce texte.↩