Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutschland
6.1. Handelsvertrag und Abkommen über Einfuhrbeschränkungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 98
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1001#1000/6#546* | |
Old classification | CH-BAR E 1001(-)1000/6 546 | |
Dossier title | Anträge des Eidg. Volkswirtschaftsdepartementes 1925 (1925–1925) | |
File reference archive | 1.7 |
dodis.ch/45115
Antrag des Vorstehers des Volksmrtschaftsdepartementes, E. Schulthess, an den Bundesrat1
Bekanntlich sieht Art. 3 des schweizerisch-deutschen Protokolls über die Einfuhrbeschränkungen vom 17. November 1924, dessen Geltungsdauer durch das vom Bundesrat am 15. September 1925 ratifizierte Zusatzprotokoll2 bis Ende des Jahres verlängert wurde, vor, dass Zollerhöhungen des einen Teils, die nach der Auffassung des ändern einfuhrhindernd wirken, auf dessen Verlangen zum Gegenstand von Besprechungen gemacht werden sollen. Am 1. Oktober ds.Js. treten nun die auf zahlreichen Positionen stark erhöhten Ansätze der deutschen Zolltarifnovelle vom 17. August 1925 in Kraft. Die Schweiz hat der deutschen Regierung gegenüber schon vor Monaten darauf hingewiesen, dass diese Zollerhöhungen für viele und wichtige schweizerische Exportprodukte einfuhrhindernd, zum Teil sogar einfuhrverhindernd wirken, und die in Art. 3 des erwähnten Abkommens vorgesehenen Besprechungen verlangt. Anlässlich der Verhandlungen über das Zusatzprotokoll vom 8. September 1925 ist diese Frage zwischen den beidseitigen Delegationen neuerdings besprochen worden. Die deutsche Regierung erklärte ihr Einverständnis zur Aufnahme solcher Besprechungen. In Art. 4 des Zusatzprotokolls wurde deshalb vereinbart: «Auf Wunsch der schweizerischen Regierung sollen Ende September 1925 die in Art. 3 des eingangs bezeichneten Abkommens vorgesehenen Besprechungen zwischen den vertragschliessenden Teilen stattfinden.» Laut Mitteilung der hiesigen deutschen Gesandtschaft wird die deutsche Delegation am 2. Oktober in Bern eintreffen, so dass die erste gemeinsame Sitzung am 3. Oktober wird stattfinden können. Die deutsche Delegation soll aus ca. 12 Herren bestehen, worunter sich 5 Spezialvertreter der einzelnen Länder (Preussen, Sachsen, Bayern, Württemberg und Baden) befinden.
Wir möchten vorschlagen, schweizerischerseits mit der Führung der Verhandlungen zu beauftragen die Herren Direktor Stucki, Professor Laur, Dr. Wetter und Oberzolldirektor Gassmann.
Was nun die den schweizerischen Delegierten zu erteilende Instruktion anbelangt, so ist davon auszugehen, dass es sich vorläufig nur um den Abschluss eines modus vivendi handelt, während eigentliche Handelsvertragsverhandlungen auf breiter Basis erst in einigen Monaten, nachdem die nötigen zeitraubenden Vorbereitungen beendet sind, aufgenommen werden können. Sinn und Zweck dieses modus vivendi ergeben sich ohne weiteres aus dem oben erwähnten Art. 3 des Einfuhrabkommens vom November 1924, d.h. Gegenstand der Besprechungen sind die von Deutschland während der Geltungsdauer des Einfuhrabkommens einseitig vorgenommenen und für schweizerische Waren einfuhrhindernden Zollerhöhungen. Nach Wortlaut und Sinn des erwähnten Art. 3 handelt es sich also keineswegs um eine Erörterung der gegenseitigen Zolltarife, da ja derjenige der Schweiz seit dem November 1924 keinerlei Veränderung erlitten hat.
Wir haben deshalb die deutsche Regierung nie im Zweifel darüber gelassen, dass der zu besprechende modus vivendi nur darin bestehen könne, dass deutscherseits auf verhältnismässig wenigen, aber wichtigen schweizerischen Exportpositionen durch Zollermässigungen Einfuhrerleichterungen erteilt würden, die Schweiz dagegen bereit sei, in einem den deutschen Zollermässigungen entsprechenden Umfange Bindungen ihres heutigen Gebrauchstarifes einzugehen. Die Gewährung von Ermässigungen auf dem schweizerischen Gebrauchstarif könne dagegen nicht in Betracht kommen. Mit Rücksicht darauf, dass bekanntermassen die Schweiz einen neuen Generaltarif dem Parlament bereits vorgelegt habe, hätten schweizerische Bindungen des Gebrauchstarifes für Deutschland eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Beides, deutsche Zollermässigungen und schweizerische Zollbindungen, seien natürlich berechnet für kurze Zeit, d.h. bis zum Abschluss eines neuen eigentlichen Handelsvertrages. Die Prüfung der Frage, ob schweizerischerseits die Verhandlungen über einen eigentlichen Handelsvertrag auf Grundlage ihres Gebrauchstarifes oder des beim Parlament liegenden Generaltarifentwurfes, oder aber auf Grund eines event, provisorisch zu schaffenden Generaltarifes zu führen seien, müssten wir uns selbstverständlich Vorbehalten.
In diesem Sinne haben wir denn auch der deutschen Delegation am 8. ds.Mts. eine schweizerische Begehrenliste3 hinsichtlich eines modus vivendi überreicht. Sie ist aufgestellt worden von unserer Unterhändlerkommission und enthält, [...], nur einige der allerwichtigsten Positionen mit verhältnismässig bescheidenen Reduktionsforderungen. Wir gingen eben davon aus, dass angesichts der ganz provisorischen Natur eines solchen modus vivendi und mit Rücksicht auf die Tatsache, dass die Schweiz ihrerseits keine Zollreduktionen gewähren kann, eine Konzentration auf das Allerwichtigste und Notwendigste geboten sei. Mündlich machten wir die deutsche Delegation darauf aufmerksam, dass diese zutage tretende schweizerische Beschränkung natürlich nur für kurze Zeit in Frage kommen könne und für die kommenden Handelsvertragsverhandlungen die Schweiz sich sowohl hinsichtlich der Zahl der Positionen als auch der Höhe der Reduktionsforderungen freie Hand Vorbehalten müsse.
Wie hievor ausgeführt, glaubten wir, von der deutschen Regierung als Antwort auf unsere Begehrenliste eine Liste der deutscherseits vorzuschlagenden Bindungen des schweizerischen Gebrauchstarifs erwarten zu können. Statt dessen übergab uns nun die deutsche Gesandtschaft die in Abschrift beiliegende Liste4, laut welcher Deutschland auf der ganzen Linie nicht nur Bindungen, sondern zum Teil sehr beträchtliche Herabsetzungen des schweizerischen Gebrauchstarifes verlangt. Die Zahl der deutscherseits herausgegriffenen Positionen ist sogar bedeutend höher als diejenige der in der schweizerischen Liste enthaltenen Begehren.
Es kann nun unseres Erachtens keine Rede davon sein, dass wir auf dieser Grundlage in die Verhandlungen eintreten könnten. Wir würden damit die in Art. 4 des Zusatzprotokolles vom 8. September verankerte Grundlage dieser Verhandlungen vollständig verlassen und müssten für verhältnismässig jedenfalls nur sehr bescheidene Herabsetzungen der neuen deutschen Zölle bereits schwere und sehr gefährliche Breschen in unsern Gebrauchstarif schlagen lassen. Wenn wir auch der Auffassung sind, dass gegen entsprechende Gegenkonzessionen in einem eigentlichen Handelsvertrag die Ansätze unseres Gebrauchstarifes in dieser oder jener Position einer bescheidenen Ermässigung fähig sind, so darf dies doch nicht dazu führen, schon mit bezug auf den Abschluss eines provisorischen modus vivendi solche Reduktionen in Erwägung zu ziehen. Ein solches Vorgehen würde unsere Stellung nicht nur für die eigentlichen Vertragsverhandlungen mit Deutschland, sondern auch für die gegenwärtig hängigen Verhandlungen mit Österreich und der Tschechoslovakei und auch für künftige Verhandlungen mit ändern Ländern auf das Schwerste gefährden. Unser Gebrauchstarif - und damit auch die auf ihm fussenden Zolleinnahmen - käme auf breiter Grundlage ins Wanken, ohne dass wir irgendwie entsprechende Vorteile erzielt hätten.
Aus diesen Gründen haben wir sowohl der hiesigen deutschen Gesandtschaft, als auch durch Vermittlung unserer Gesandtschaft in Berlin der deutschen Regierung mit aller Deutlichkeit erklären lassen, dass die Schweiz auf deutsche Begehren betreffend Reduktion des schweizerischen Gebrauchstarifes nicht eintreten könne. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass gestützt auf diese Erklärung deutscherseits keine oder nur ganz ungenügende Reduktionen der neuen deutschen Zollansätze angeboten werden und dass sich deshalb die Verhandlungen über einen modus vivendi zerschlagen. In diesem Falle wird die Schweiz zu prüfen haben, ob und welche Kampfmittel ihr zur Verfügung stehen, ob insbesondere ein provisorischer Generaltarif auf Grund der dem Bundesrat in den Jahren 1921/23 eingeräumten Vollmachten zu erlassen, event, sogar in Kraft zu setzen ist5.
Falls der Bundesrat unsere Auffassung teilt, so würde die den schweizerischen Unterhändlern zu erteilende Instruktion für die Verhandlungen über den modus vivendi dahin gehen:
1. Die Verhandlungen sind auf der Grundlage von Art. 3 des Einfuhrabkommens vom 17. November 1924 zu führen.
2. Die Forderungen der schweizerischen Begehrenliste sind nach Möglichkeit durchzusetzen.
3. Als Gegenkonzessionen schweizerischerseits können vorübergehend und in einem den deutschen Zollermässigungen entsprechenden Umfange Bindungen des schweizerischen Gebrauchstarifes eingegangen werden. Eine Reduktion der Ansätze dieses Gebrauchstarifes ist dagegen abzulehnen.
4. Das allfällig abzuschliessende provisorische Abkommen muss jederzeit auf 1 Monat kündbar sein.
Wir kommen somit dazu, Ihnen zu stellen den Antrag:
1. Von den Ausführungen des Volkswirtschaftsdepartements wird in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen.
2. Diese Ausführungen gelten als Instruktion an die Unterhändler.
3. Die schweizerische Delegation wird bestellt aus den Herren Direktor Stucki, Chef der Handelsabteilung des eidg. Volkswirtschaftsdepartements, in Bern, Professor Dr. Laur, in Brugg, Dr. E. Wetter, in Zürich und Oberzolldirektor Gassmann in Bern6.
- 1
- E 1001 1, EVD, 1925. Handelsbeziehungen mit Deutschland.↩
- 2
- Vgl. Nr. 95.↩
- 3
- Nicht ermittelt.↩
- 4
- Nicht ermittelt.↩
- 5
- Vgl. Nr. 99. - Die Anwendung des Generalzolltarifs (allgemein sowie speziell in Hinblick auf die Verhandlungen mit Deutschland) wurde in der Sitzung des Vorstehers des Volkswirtschaftsdepartementes mit den Mitgliedern der schweizerischen Delegation für Handelsvertragsverhandlungen am 19.8.1925 besprochen. Protokoll in: E 7110 1/29.↩
- 6
- Der Bundesrat erhob den Antrag des Volkswirtschaftsdepartementes am 5.10.1925 zum Beschluss(E 1004 1/297, Nr. 2039).↩
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