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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 288
volume linkBern 1984
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1501#8* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1501 1 | |
Dossier title | Innerpolitische Berichte (Handakten Legationsrat Egger) (1920–1924) | |
File reference archive | A.12.15 |
dodis.ch/44499
La Division des Affaires étrangères du Département politique aux Légations de Suisse1
Der Bundesrat hat das Volkswirtschaftsdepartement durch seine Beschlüsse vom 16. Dezember 1919 und 20. Februar 1920 ermächtigt2, die erforderlichen Schritte zu tun, um eine provisorische Verlängerung des Handelsvertrages mit Deutschlandsowie desjenigen mit der österreichisch-ungarischen Monarchie von 1906 mit Bezug auf jeden der drei Staaten Österreich, Ungarnund Tschechoslowakien zu vereinbaren. Diese Verhandlungen sind nunmehr zum Abschlüsse gelangt.
Der Handelsvertrag mit Deutschland ist durch Notenaustausch vom 15. März in dem Sinne verlängert worden, dass er jederzeit auf drei Monate gekündigt werden kann.
Der von der Schweiz auf den 6. März 1920 gekündete Handelsvertrag mit Österreich-Ungarn wurde durch Notenaustausch mit Ungarn vom 21./25. Februar, mit Österreich vom 6. März und mit der Tschechoslowakei ebenfalls vom 6. März um drei Monate, d.h. bis 6. Juni, verlängert. Wenn der Vertrag nicht spätestens einen Monat vor diesem Termin gekündigt wird, bleibt er noch für drei fernere Monate in Kraft und so weiter.
Der Bundesrat hat den eidgenössischen Räten betreffend die Errichtung neuer schweizerischer Gesandtschaften3 im Auslande die Annahme seines Vorschlages empfohlen, in Stockholm, Warschau, Brüssel, Prag, Belgrad und Athen Gesandtschaften zu errichten und dafür die erforderlichen Kredite zu gewähren. Wenn der Bundesrat die Kompetenz zur Errichtung neuer diplomatischer und konsularischer Vertretungen für sich beansprucht, so liegt es ihm, wie bereits in der Budgetberatung in der Februarsession hervorgehoben wurde, ferne, einen Konflikt mit den eidgenössischen Räten heraufzubeschwören; er glaubt aber am besten Einsicht in die Bedürfnisse für neue Gesandtschaften und Konsulate zu haben, namentlich im gegenwärtigen Augenblick, wo die politischen Verhältnisse ungemein unbeständig sind, und wo es gilt, den berechtigten Interessen der Schweizer im In- und Auslande nachzukommen.
Im Gegensatz zum Standpunkt des Bundesrates hat die jüngst zusammengetretene ständerätliche Kommission den Mehrheitsbeschluss gefasst, es seien vorläufig nur in Brüssel, Stockholm und Warschau selbständige Gesandtschaften zu errichten, und prinzipiell seien die vom Bundesrat heute vorgesehenen Geschäftsträgerposten durch Gesandte zu besetzen. Die Errichtung dieser vorgesehenen Posten habe aber nicht auf dem Budgetwege, bzw. auf dem Wege des Nachtragskreditbegehrens, sondern durch einen dringlichen Bundesbeschlusszu erfolgen. Es mag auf den ersten Augenblick gleichgültig erscheinen, auf welchem Wege diese Errichtungen vorgenommen werden, doch darf man die Möglichkeit nicht ausser acht lassen, dass die Dringlichkeit eines Bundesbeschlusses von den Räten abgelehnt und ihm die Referendumsklausel beigefügt wird. Mit dieser Wahrscheinlichkeit muss sogar gerechnet werden, was wenig Aussicht für eine befriedigende und rasche Erledigung der hier in Betracht fallenden Fragen bietet.
Was die zukünftige Regelung der Errichtung neuer diplomatischer und berufskonsularischer Vertretungen anbetrifft, hat die ständerätliche Kommission den weiteren Beschluss gefasst, der Bundesrat möge eine Vorlage einbringen, die diese Neu-Errichtungen durch Gesetz ordnet, damit einmal die verfassungsmässigen Kompetenzen vom Bundesrat, Räten und Volk festgelegt werden.
Der Bundesrat dürfte keinen Anstand nehmen, eine solche Vorlage einzubringen; er gedenkt auch fernerhin, an seinem Standpunkt festzuhalten, der ja den Räten durch die allfällige Verweigerung der nachgesuchten Kredite stets das Vetorecht sichert. Die Ausnahmefälle, in denen es keiner Kredite bedürfte, fallen hier kaum ins Gewicht.
Die ständerätliche Kommission wird voraussichtlich am 13. April noch einmal zusammentreten, währenddem die nationalrätliche Kommission ihre auf den 12. April vorgesehene Sitzung bis auf den Termin verschoben hat, an dem ihr die endgültige Stellungnahme der ständerätlichen Kommission vorliegt.
Wir haben vernommen, dass in den letzten Tagen ein sehr reger Verkehr zwischen den deutschen und schweizerischen Kommunisten besteht. Der zürcherische Kommunist Herzog war jüngst in Stuttgart, und eine grosse Anzahl deutscher und ungarischer Kommunisten, die sich bisher in der Schweiz versteckt hielten, sind in der letzten Woche über die Grenze nach Deutschland gegangen.
Dr. Rudolf Steiner, der bekannte Apostel für die «Dreigliederung des sozialen Organismus», soll vor einiger Zeit den Jungburschen in Basel mit grossem Beifall einen Vortrag gehalten haben.
Der bekannte Sozialdemokrat Künghat sich im Januar d.J. in Berlin aufgehalten und dort verschiedentlich Versammlungen von Unabhängigen und Kommunisten besucht. Er ist beobachtet worden, wie er direkt nach einem Besuch beim Reichspräsidenten Ebert sich in eine Kommunistenversammlung in der Luisenstrasse begab.
Der hiesige französische Militârattaché hat sich in einer von ihm gesuchten Unterredung mit dem Organisator und Leiter der schweizerischen Bürgerwehren in sehr pessimistischer Weise über die Zustände in Frankreich ausgesprochen. Der Eisenbahnerstreik, den er als rein politisch-revolutionär bezeichnet, scheint der Regierung die bolschewistische Gefahr in greifbare drohende Nähe gerückt zu haben. Frankreich will eine unseren Bürgerwehren ähnliche Organisation schaffen. Der Militârattaché hat das ihm zur Verfügung gestellte Material bereits in umfangreicher Weise bearbeitet und den Leiter der Bürgerwehren ersucht, sich zu mündlichen Besprechungen nach Paris zu begeben, welcher Einladung auch Folge geleistet werden soll. Der französische Militârattaché äusserte dabei, seine Regierung habe endlich die Notwendigkeit eingesehen, dass dem Vordringen der bolschewistischen Welle nur eine geschlossene Front Widerstand leisten könne, die auch an den Grenzpfählen Deutschlands nicht Halt machen dürfe. Die Leitung der schweizerischen Bürgerwehren hat von Anfang an versucht, ihre Organisation auf dieser Basis aufzubauen und dem internationalen Nachrichtendienst besondere Aufmerksamkeit zu schenken, was ihr in mancher Hinsicht auch glücklich gelungen ist.
Der Kampf in der Öffentlichkeit um die Vorlage betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund beginnt in der letzten Zeit sehr lebhafte Formen anzunehmen. Nachdem unmittelbar nach dem Entscheid der Bundesversammlung vom 5. März die Aufklärungskampagne mit Energie eingesetzt hat, ist in den nächsten Wochen die endgültige offizielle Stellungnahme sämtlicher politischen Parteien zu gewärtigen. Besondere Bedeutung kommt gegenwärtig der Stellungnahme der Delegiertenversammlung des schweizerischen Bauernverbandes zu, die Freitag, den 26. März, in Bern zusammentrat und an der die Bundesräte Schulthess und Chuard über die Völkerbundsfrage referierten. Der Verbandsvorstand unter der Führung von Professor Laur beantragte der Delegiertenversammlung Zustimmung zur Beitrittserklärung. In der Versammlung meldeten sich nur ganz vereinzelte Gegner zum Wort. Mit 214 gegen 4 Stimmen wurde dem Antrag des Vorstandes beigestimmt, welches Resultat sein Echo bei der schweizerischen Bauernsame sicher nicht verfehlen wird. Auf die Haltung der Bauernschaft, bei der wohl die Entscheidung beim kommenden Abstimmungskampfe liegt, dürfte die entschiedene Stellungnahme zahlreicher Führer, insbesondere auch von den neu ins Parlament gewählten Vertretern, von Wirkung sein; sie ist anlässlich der letzten Session der Bundesversammlung und namentlich auch in der nationalrätlichen Völkerbundskommission im Sinne des Beitritts bereits zur Geltung gekommen. Nachdem vor kurzem der Vorstand der Grütlipartei durch einstimmig gefassten Beschluss den Angehörigen der sozialdemokratischen Volkspartei empfohlen hat, für den Beitritt zu stimmen, ist nunmehr nur noch die sozialistische Partei als solche gegen den Antrag des Bundesrates. Sie ist jedoch die einzige Gruppe, die mit relativ geschlossenen Reihen kämpft, wenn auch sie, namentlich in den romanischen Kantonen nicht durchwegs einhellig ist, wie eine jüngst im waadtländischen Grossen Rat gefasste Abstimmung zeigt, wo von 10 Sozialdemokraten nur 5 gegen den Beitritt stimmten.
Die Propaganda zugunsten des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund ist in dem von Ständerat Usteri präsidierten schweizerischen Aktionskomitee für den Völkerbund zentralisiert, nachdem das von Herrn alt-Bundesrat Comtesse präsidierte «Komitee für Aufklärung über den Völkerbund» auf eine gesonderte Aktion im Inland verzichtet hat. Die Führung des Aktionskomitees liegt in den Händen eines leitenden Ausschusses, es besteht ausser dem Präsidenten aus den Herren Nationalrat Baumberger, J. Syz, den Professoren Bovet, Fleiner, Egger, Stadtpräsident Nägeli, Dr. Schneller und Regierungsrat Tobler. In allen Kantonen suchte der Ausschuss besondere kantonale Aktionskomitees ins Leben zu rufen, was ihm bis jetzt in den meisten (wenigstens den grösseren) Kantonen gelungen ist. Daneben werden u.a. besondere Vortragskurse abgehalten und in vielen Ortschaften, zur Zeit hauptsächlich auf dem Lande, allgemeine Versammlungen veranstaltet, an denen Befürworter und Gegner der Völkerbundsvorlage als Referenten auftreten. Die schwierige Aufgabe, den verschiedenen Schichten des Volkes das komplizierte Problem auseinanderzusetzen – neben dem Text des Bundesbeschlusses vom 5. März werden laut Bundesratsbeschluss den Stimmberechtigten auch der gesamte Wortlaut des Völkerbundsvertrages sowie der London er Deklaration vom 13. Februar ausgestellt – sucht das Komitee u.a. in der Weise zu lösen, dass es allen Kreisen angepasste Broschüren herausgibt. In dieser Hinsicht sind namentlich die kürzlich erschienenen Schriften von Nationalrat Baumberger, Professor Laur und S. Zurlinden zu erwähnen.
Gegenüber dem Aktionskomitee hat sich in den letzten Wochen ein schweizerisches Komitee gegen den Eintritt der Schweiz in den Völkerbund gebildet, das bis zur Stunde namentlich in Zürich (unter dem Vorsitz von Dr. Eugen Curti-Forrer) tätig zu sein scheint und die bürgerlichen Gegner der Völkerbundsvorlage zu einer gemeinsamen Aktion gruppieren will. Das Resultat des Abstimmungskampfes, der bei der Intensität, mit der er geführt wird, dem Bundesrat in der aktiven Völkerbundspolitik eine grosse Reserve auferlegt, mag letzten Endes in nicht unwesentlichem Masse von der allgemeinen politischen Situation und der Haltung der Grossmächte im Moment der Abstimmung beeinflusst sein, welche Faktoren, wie die Erfahrungen der letzten Wochen beweisen, automatisch auf die Stimmungen im Lande zurückwirken. [...]
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