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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 165
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#598* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 118 | |
Dossier title | Anregung durch die serbische Regierung für den Abschluss eines Handelsvertrages; Korresondenz zwischen den beteiligten Departementen, den Gesandtschaften und Vereinen; Bundesratsbeschlüsse; Übersicht über die Forderungen der Schweiz an den Vertrag; Akten der Bundesversammlung mit Bundesbeschluss vom 12.04.1907 über die Genehmigung des Vertrages (1906–1908) |
dodis.ch/43020
Der schweizerische Gesandte in Wien, F. du Martheray, an den Vorsteher des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, A. Deucher1
Ihren Instructionen gemäss hatte ich mich nach einem Besuche in Glarus und einem kurzen Aufenthalte in Wien am 17, d. Mts nach Belgrad begeben.
[...]
Die Conferenzen fanden, die erste im Ministerium des Äussern, die andere im Finanzministerium statt und wurden gemischt französisch und deutsch geführt, wobei für mich ein Dolmetsch sehr nützlich gewesen wäre.
Von vorneherein erklärte die serbische Delegation, sowie auch der Minister des Äussern Pachitch, und der Finanzminister Patchew, dass Serbien entschlossen sei der Schweiz - deren geographische und von anderen Staaten eingeschlossene Lage mit derjenigen Serbiens ähnlich sei und welche im Königreich allgemein als ein Vorbild nicht nur des Fortschrittes und der Kultur, sondern auch der politischen und wirthschaftlichen Unabhängigkeit gilt - das möglichst grosse Entgegenkommen zu zeigen. Andererseits sei es für Serbien unmöglich diejenigen Zölle, die bereits von mehrinteressirten Staaten angenommen worden sind, weiter herunter zu setzen. Ebenso sei an der Technik des serbischen Tarifs und die bereits festgelegten Zuschläge, welche in den Verträgen mit Deutschland, der Türkei, Frankreich, Rumänien und Italien aufgenommen worden sind nichts zu ändern.
[...]
Den Hauptansturm der serbischen Delegation hatte ich auf Position 77 b und 781 zu bestehen. Auf dieselbe legt Serbien das Hauptgewicht und beharrt auf seinem Begehren 15 bezw. 20. Die wenigen Tage, die ich in Serbien verbrachte, genügten, um mich zu überzeugen, dass die Frage des Viehexportes für Serbien wirklich eine Lebensfrage ist und zwar dass dieselbe in letzter Zeit acut geworden und ein politisches Moment bildet.2 Wie der Minister des Äussern Pachitch, der Finanzminister Patchew, die sämmtlichen Mitglieder der Delegation, die fremden Vertreter, sowie alle Leute mit denen ich dort in Berührung kam, Serben oder Nichtserben, bestätigten einstimmig und wiederholt, dass die einzige Chance für Serbien seine wirthschaftliche und auch politische Selbständigkeit zu erwirken, in der Lösung dieser Frage besteht. Die Geschichte Serbiens in den letzten 20 Jahren während der ganzen Dauer der Dynastie Obrenovich kennzeichnet eine absolute Abhängigkeit von Österreich. Die langen Unabhängigkeitskämpfe in Ungarn und deren Erfolge mögen wohl einen Wiederhall in Serbien gefunden haben. Die Strömung im Lande ist heute eine derartige, dass nur ein Ministerium sich halten kann, welches diese Frage zu vertreten und auch zu lösen vermag. Serbien hat übrigens in dieser Hinsicht in letzter Zeit Vieles geleistet. Während bisher der ganze Fleisch- und Viehexport nach Österreich-Ungarn gerichtet war, sind in den letzten Zeiten neue Débouchés gesucht und auch gefunden worden. Betreffend lebendes Vieh hat Serbien nicht nur eine Viehseuchenconvention von Italien erlangt, sondern auch mit einer französischen (Fraissinet) und einer italienischen Transportgesellschaft Verträge bezüglich des Viehtransportes und Transportes von frischem Fleisch abgeschlossen, wobei von der serbischen Regierung diesen Gesellschaften grosse Subventionen zugedacht wurden. Ebenso wurden im Innern des Landes mit Subvention der Regierung grosse Schlachthäuser errichtet, von welchen aus gesalzenes und geräuchertes Fleisch von englischen, bezw. italienischen Fachleuten für den Export zubereitet wird. Die erzielten Resultate sollen nach Angabe nicht nur der serbischen Regierung sondern auch des französischen und italienischen Gesandten über alle Erwartungen günstig sein und sind auch bereits grosse Bestellungen von Deutschland, Frankreich und England gemacht worden. Auch dürfte es Sie interessiren zu erfahren, dass, wie mir der Ministerpräsident sagte, seitens einiger Schweizerischer Hotels bereits Bestellungen erfolgt sind und zwar für Schmalz mit der Bedingung, dass dasselbe in kleinen Behältern importirt werde. Die Gesellschaft der Schlachthäuser hat sich sofort dieser Anforderung angepasst und die Hoffnung besteht, zumal die Qualität des Serbischen Schmalzes eine besonders gute und der Preis niedrig sein soll, dass der Export in diesem Artikel bald ein reger sein wird.
Diese wenigen Daten lassen ersehen, welch grosses Gewicht die serbische Regierung auf diese Position legt und auch haben die Minister und die serbische Delegation für den Fall, dass den Begehren Schweizerischerseits entsprochen werden könnte, das grösste Entgegenkommen für die Positionen des serbischen Tarifs, wie Käse, Yasmas, Uhren etc. in Aussicht gestellt. Dabei erlaube ich mir noch zu bemerken, dass in Serbien die Wünsche der Schweizerischen Consumenten bezüglich der Ermässigung des Fleischpreises bekannt sind.
Die Liste der serbischen Forderungen wäre somit bis auf die Positionen ex 25, ex 29, 77b und 78 erledigt. Die serbische Delegation stellte jedoch noch das Begehren um Aufnahme dreier neuer Forderungen in den Vertrag und zwar bezieht sich
1) die erste auf das bereits oben Angeführte betreffend Einfuhr und den Transit von Schlachtvieh, Fleisch, Wurstwaren etc. und rohen animalischen Producten serbischer Provenienz.
[...]
2) Die zweite Forderung betrifft die Tarif Nr. 71 unseres Tarifes «Honig». Serbien möchte diese Position in seine Forderungsliste noch einschieben und dafür einen Zoll von 10 frs per 100 Kilogramm zugestanden erhalten.
3) Desgleichen bittet Serbien für wollene Bodenteppiche, nicht sammtartig gewebt, aber mit Franzen (venues au tissage) einfach geknüpft und ohne Näharbeit eine Reduzirung des Zolles auf 25 per 100 Kilog. Diese Teppiche sind eine altberühmte Specialität und ein Product der Hausindustrie Serbiens, es sind dies die Originale der Teppiche, welche Bulgarien bei uns als «Gladak-Teppiche» einzuführen wünscht, so dass die von Ihnen an Bulgarien angebotene Concession in der Fassung: «ex 481. Tapis de pieds non tissés à la façon du velours, avec chaîne en fils de laine écrue retorse et trame en fils de laine teinte, même avec franges venues au tissage et simplement nouées», auf dieselben genau passen würde. Nebenbei bemerkt sind die serbischen Teppiche weit schöner in Muster und Farben als die bulgarischen Nachahmungen. Selbstverständlich habe ich von dem an Bulgarien angebotenen Zoll von 20 keine Erwähnung gethan, so dass, wenn sie sich zu dieser Concession entschliessen sollten, uns für Bulgarien noch immer die Möglichkeit einer Herabsetzung um 5 bliebe. Somit sind wir mit den serbischen Forderungen zu Ende.
Was die Schweizerischen Forderungen anbelangt, erklärte die Serbische Delegation zum Vornhinein, dass der neue serbische Tarif dadurch erhöht sei, dass zu den Sätzen des früheren Tarifs der Obrt hinzugerechnet wurde und dass aus fiskalischen Gründen im Allgemeinen auf alle Artikel eine kleine Erhöhung vorgesehen sei. Eine Rückkehr auf den status quo ante wäre somit nicht möglich, zumal die Staatsausgaben, die mit jedem Jahre höher werden, als Grundlage dieser Berechnung galten.
[...]3 Damit Sie früher in den Besitz vorstehenden Berichtes gelangen, behalte ich mir vor meine Bemerkungen und Vorschläge unverzüglich nachfolgen zu lassen, möchte aber jetzt schon darauf hinweisen, dass es dringend wäre, wenn auf das Zustandekommen des Vertrages, wie er jetzt vorgeschlagen ist, Werth gelegt wird, den Abschluss desselben so bald als möglich herbeizuführen und so wenig als möglich an dem bis jetzt allerdings nur unverbindlich Zugestandenen zu ändern. Der für uns ganz besonders günstige politische Moment kann mit jedem Tage eine Umgestaltung erfahren. Versuche bezüglich Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Österreich-Ungarn sind in den letzten Tagen bereits unternommen worden. Sollten dieselben gelingen, so würden unsere Chancen sofort vermindert werden4.
- 1
- Schreiben: E 13 (B)/251.↩
- 2
- Zu den einzelnen Positionen siehe Bundesgesetz betreffend den schweizerischen Zolltarif vom 10. Oktober 1902 in: AS 1905, NF 21, S. 65 ff.↩
- 3
- Es folgt die Behandlung der einzelnen Positionen btr. Käse (den Serbien selbst produziert) und Textilien (Sonderposition für Glarner Artikel mit Ursprungszeugnissen).↩
- 4
- Am 3. Februar 1907 sandte du Martheray eine ausführliche Darstellung des kommerziellen Unabhängigkeitskampfes Serbiens gegen Österreich- Ungarn und schloss mit den Worten: Ce qu’il y a de sûr c’est que c’est la Suisse qui a le plus d’intérêt à traiter dans ce moment; c’est elle d’ailleurs qui, sur la demande des industriels de Claris, a fait les premières avances. La Serbie montrait même au commencement une assez grande indifférence. Néanmoins, la brouille avec l’Autriche- Hongrie aidant, et la conclusion des traités avec les différents Etats cités plus haut étant venue assurer les chances d’émancipation de la Serbie, j’ai trouvé, à mon arrivée à Belgrade des dispositions plus favorables que je n’avais osé l’espérer d’abord. Après dix jours de pourparlers, je suis rentré à mon poste, d’où j’ai adressé au Département Fédéral du Commerce sur l’état des négociations le rapport dont j’ai l’honneur de Vous adresser ci-joint copie. En terminant je me permets d’ajouter que si la Suisse désire un traité avec la Serbie - et j’estime qu’elle y trouvera des avantages plus grands qu’elle ne le prévoit aujourd’hui - deux conditions s’imposent: 1) se hâter, car l’Autriche- Hongrie a déjà compris la grosse erreur qu’elle a commise vis-à-vis de la Serbie et saisira le premier moyen qui s’offrira à elle pour réparer sa bévue; 2) donner à la Serbie le coup de main qu’elle demande et l’aider à sortir de la situation de dépendance économique, avec laquelle son orgueil national, subitement réveillé, est décidé à rompre, autrement dit lui accorder quelques facilités ou du moins quelque satisfaction morale relativement à l’exportation de son bétail - question aujourd’hui nationale et vitale pour elle (E 13 (B)/251).↩