Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
2. Allemagne
2.2. Traité d’établissement
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 4, doc. 3
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E21#1000/131#24534* | |
Old classification | CH-BAR E 21(-)1000/131 2532 | |
Dossier title | Niederlassungsvertrag vom 31.5.1890, Bd 1-7 (1889–1905) | |
File reference archive | 10.3.2-09.12 |
dodis.ch/42413
Gestern Abend, anlässlich des Diner’s der Chefs de mission bei dem Reichskanzler, zu Ehren des Geburtstags des Kaisers, kam bei der Unterhaltung nach Tisch die Frage des Abschlusses eines neuen Niederlassungs-Vertrages in folgender Weise zur Sprache:
Einlässlich unterhielt sich mit mir hierüber vorerst der Ihnen dem Namen nach bereits bekannte Geh. Leg. Rath Dr. Kayser, welchem, in der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, im letzten Sommer das Dezernat der mit der Affaire Wohlgemuth zusammenhängenden Fragen übertragen war.
Derselbe war sofort, nachdem wir die Tafel verlassen hatten, sichtlich bestrebt, mit mir in Conversation zu treten. Er begrüsste mich auffallend verbindlich und kaum waren einige Gelegenheits-Phrasen gewechselt, so äusserte er den Wunsch, mit mir über den Niederlassungs-Vertrag zu sprechen. Es freue ihn ungemein – sagte er – dass die Sache in Fluss zu kommen scheine; ich möchte volles Vertrauen in ihn setzen. Er sei im letzten Sommer viel und oft verläumdet worden; man habe behauptet, es sei von seiner Seite bei dem Fürsten Bismarck gegen uns gehetzt worden, etc.; gerade das Gegentheil sei der Fall gewesen; man möge übrigens auch nicht vergessen, wie schwer sich der unmittelbare Geschäftsverkehr der Beamten des Auswärtigen Amtes mit dem Reichskanzler gestalte, wenn derselbe «aufgebracht» sei und das sei er bekanntlich im höchsten Grade gewesen. Durch die Anregung der Kündigung des Niederlassungs-Vertrages welche direkt von ihm, Kayser, ausgegangen sei, glaube er uns und der Sache vielmehr einen Dienst erwiesen zu haben, denn der Reichskanzler habe anfänglich in seiner Erregtheit viel weiter gehen, habe allen vertraglichen Verkehr mit uns abbrechen und diverse Repressions-Massregeln an der Grenze zur Ausführung bringen wollen. Schliesslich habe er sich dann aber von ihm, Kayser, bestimmen lassen, in der Kündigung des Niederlassungs-Vertrages das Mittel zur vorläufigen Beilegung der Differenzen zu suchen und von weitern Massnahmen Umgang zu nehmen.
Er, Kayser, sei nunmehr auch mit der Behandlung des Abschlusses eines neuen Niederlassungs-Vertrages beauftragt und habe gestern dem Reichskanzler hierüber Vortrag gehalten. Man sei deutscherseits aufrichtig gewillt unserm Begehren, dass materiell an den Grundlagen des Vertrages nichts geändert werde und dass unsere Asyl-Freiheit intact bleibe, unbedingt Rechnung zu tragen. Dafür müsse dann aber die Kaiserliche Regierung darauf halten, dass für die Unterhandlungen ein Modus und für die in Frage stehenden Bestimmungen eine Fassung gefunden werde, welche nicht das Gepräge eines «peccavi» ihrerseits zur Schau tragen. Zu diesem Behufe sei es entschieden angezeigt, dass man auf die früheren Interpretations-Differenzen gar nicht mehr zurückkomme, dass man die «Geschichte» vom letzten Sommer definitiv begraben sein lasse. Betreffend die Neuordnung unseres Vertragsverhältnisses sei er vorläufig der Ansicht, dass man sich vielleicht am besten finden dürfte, wenn man den Art. 22 unseres Niederlassungs-Vertrages mit Frankreich an die Stelle des Art. 2 unseres gegenwärtigen Vertrages mit Deutschland setzen würde. Er habe hievon auch dem Reichskanzler gesprochen, welcher diesem Auskunftsmittel nicht abgeneigt zu sein scheine. Es sei nun vorerst abzuwarten, ob und wann letzterer nach dieser Richtung schlüssig werde.
Sei man einmal so weit, dass man im Auswärtigen Amt glaube, auf dieser Grundlage unterhandeln zu können, so müssen dann noch die süddeutschen Regierungen vertraulich consultirt werden. Somit dürfte immerhin noch einige Zeit Vorbeigehen, bevor die sachbezügl. vertraulichen Besprechungen des Grafen Bismarck mit mir aufgenommen werden können. Ich möge also aus einer eventuellen längern Verzögerung ja nicht etwa den Schluss ziehen, als sei das Auswärtige Amt in seinem Interesse an einer Verständigung erkaltet. Übrigens sei die Sache ja auch nicht gerade dringlich und davon, dass das Auswärtige Amt auf die Vernehmlassung der zunächst betheiligten Bundesregierungen nicht verzichten könne, werde ich gewiss ohne weiteres überzeugt sein. Er gebe mir nochmals die Versicherung dass, möge man hier betreffend die Neufassung des Art. 2 so oder anders schlüssig werden, eine materielle Änderung des gegenwärtigen Vertrages nicht beabsichtigt sei und dass also auch die eventuelle Annahme, als könnte dem Vorschlag, den Art. 2 nach Analogie des französisch-schweiz. Vertrages zu fassen, die Absicht zu Grunde liegen, unser Asylrecht zu beschränken, von vornherein ausgeschlossen sei.
Nachdem H. Kayser dann auch noch das Ihnen bereits bekannte Kündigungsmotiv betr. den Frankfurter-Vertrag (Art. II)3 berührt und die Nothwendigkeit für die deutsche Regierung, bei der Neuordnung unserer Vertrags-Verhältnisse fraglichen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, betont hatte, endigte er damit, dass er mich bat, seine Mittheilungen als streng vertraulich und rein persönlich aufzufassen, indem er beifügte, von allem dem, was er mir anvertraut, habe im Auswärtigen Amte ausser dem Reichskanzler, dem Grafen Bismarck und ihm, kein Beamter auch nur die geringste Kenntnis.
Meine Antwort auf diese verschiedenen Mittheilungen ging – Unwesentliches bei Seite gelassen – dahin, ich werde s. Z. gerne die in Aussicht gestellten Eröffnungen zur nähern Prüfung entgegennehmen und sei auch bereit, mittlerweile die Sache mit ihm, H. Kayser, gelegentlich abermals vertraulich zu besprechen (er hatte mir nämlich den Wunsch geäussert, dass ich ihn zu diesem Zwecke nächstens einmal besuche). Das Auskunftsmittel der Fassung des Art. 2 nach Analogie unseres Vertrages mit Frankreich würde allerdings den Vortheil bieten, dass vom Standpunkte der bestehenden Vertrags-Verhältnisse zu ändern Staaten für uns kein novum geschaffen würde. In der bestimmten Voraussetzung, dass deutscherseits wirklich nicht tendirt werde, mit der vorgeschlagenen Neuordnung ein Verfahren einzuführen, welches der von uns bisanhin vertretenen Anschauung betreffend Asylrecht und Freiheit der Entscheidung bei Gewährung der Niederlassung irgendwie zuwiderlaufe, trage ich im übrigen kein Bedenken zu bekennen, dass ich persönlich dem gedachten Vorschläge sympathisch gegenüber stehe und glaube ich vorderhand auch eher annehmen zu können, dass es uns gelingen werde, auf diesem Boden eine Verständigung herbeizuführen. Das sei indes nur meine persönliche Auffassung. Mit ihnen habe ich über den materiellen Theil der Sache noch gar nicht conferirt. Dann möchte ich mir noch die Frage erlauben, wie er, H. Kayser, auf dem angegebenen Wege die deutscherseits neuestens als Grund der Kündigung des jetzigen Vertrages geltend gemachten, aus dem Frankfurter Vertrag resultirenden Schwierigkeiten beseitigen zu können glaube.
Hierauf erwiderte H. Kayser, er denke, es werde sich doch eine Formel finden lassen, um diesem Hindernis aus dem Wege zu gehen und zwar etwa in erweiterter Ausführung des in den meisten Verträgen niedergelegten Grundsatzes, dass Fremden aus polizeilichen Gründen der Aufenthalt untersagt werden kann.
H. Kayser schien mir indes hierüber noch so wenig im klaren zu sein, dass ich es nicht als angezeigt erachtete, die Conversation über dieses Detail weiterzuführen.
Als ich dann im Begriffe war, mich nunmehr einer ändern Gruppe der Gesellschaft zuzuwenden, kam Graf Bismarck in fröhlicher Stimmung auf uns zu, mit dem Bemerken, es freue ihn sehr, dass Leg. Rath Kayser einen Anlass gefunden habe, sich mit mir über unsere Niederlassungsvertragsfrage zu unterhalten. Derartige vertrauliche Besprechungen seien das beste Mittel, um zu einer Verständigung zu gelangen. Daran, dass wir uns verständigen werden, habe er nie gezweifelt. Ich werde mich erinnern, dass er sich schon im letzten Juli, anlässlich unserer Unterredung unmittelbar vor Antritt meines Sommer-Urlaubs, in ganz gleicher Weise geäussert habe.
Auch der Reichskanzler persönlich wechselte nachher einige Worte mit mir über dieses Thema und zwar bei Schluss der Gesellschaft, als ich mich von ihm verabschiedete. Er äusserte sich hiebei, indem er mir freundlich die Hand bot, ungefähr wie folgt:
«Na, ich denke, wir bleiben die Alten. Ich habe den Niederlassungs-Vertrag kündigen müssen, weil ich den Franzosen alles das, was Sie, gestützt auf den jetzigen Vertrag beanspruchen können, unbedingt auch gewähren müsste und das kann ich nicht. Das sage ich aber nur Ihnen und zwar sehr im Vertrauen; hievon sollte amtlich und besonders in der Presse nichts, gar nichts, verlauten. Ich hoffe indes, wir werden uns über einen neuen Vertrag verständigen. Wir wollen nun sehen. Kommen wir zu keinem Vertrage, so werden wir uns deswegen doch nicht chicaniren.»
Soviel für heute.
Ich denke, wir warten nun ruhig ab, was man uns schliesslich bieten wird.
Immerhin habe ich die Absicht, Leg. Rath Kayser in den nächsten Tagen doch einmal zu besuchen und zwar namentlich deswegen, weil ich wünsche, ihn darauf aufmerksam zu machen, wie das Auskunftsmittel der Ersetzung des Art. 2 des jetzigen Vertrages durch eine Redaktion auf Grund des Art. 2 des franz.-Schweiz. Vertrages unter allen Umständen nur unter der Bedingung ernstlich in Erwägung gezogen werden könnte, dass die allfällige Auslegung, als würden wir bei Gewährung der Niederlassung Deutschland gegenüber an die Vorweisung der Immatriculations- Bescheinigung seitens der die Niederlassung nachsuchenden Deutschen irgendwie gebunden sein, von vornherein klar und deutlich ausgeschlossen bleibe. Diese Klarstellung – werde ich mutatis mutandis sagen – erachte ich, im Rückblick auf die Vorgänge vom letzten Sommer und ganz besonders gestützt auf die seinerzeitige amtliche Motivirung der Kündigung des bestehenden Vertrages, als unbedingt geboten. Da mir die Zusicherung ertheilt worden sei, man werde deutscherseits bei der Neuordnung der Vertragsverhältnisse unsere Asylfreiheit völlig intact lassen, glaube ich zwar ohne weiteres annehmen zu können, dass deutscherseits nicht daran gedacht werde, der in Frage stehenden Fassung des Art. 2 eine andere Tragweite, als die von mir geltend gemachte, beizumessen, allein nachdem ich den Wortlaut unseres Vertrages mit Frankreich näher geprüft, habe ich es doch als erwünscht betrachtet, dass wir durch eine rechtzeitige vertrauliche Meinungsäusserung über diesen Punkt spätem Missverständnissen ein für alle Mal Vorbeugen.
Sollten Sie mit meiner Auffassung der Sachlage und mit meinen Absichten betr. die weitere Behandlung dieser Angelegenheit in dem Vorstadium der vertraulichen und persönlichen Besprechungen nicht ganz einig gehen, so darf ich Sie wohl um einige wegleitende Winke ersuchen.
Noch füge ich bei, dass ich Ihnen über das gedachte Fest-Diner sonst gar nichts zu melden wüsste, indem sich der Reichskanzler hiebei, wie gewohnt, über politische Dinge nicht vernehmen liess. Nur das will ich erwähnen, dass der bisherige brasilianische Gesandte, welcher übrigens vor kurzer Zeit um seine Entlassung eingekommen ist, zu diesem Diner nicht geladen war.
- 1
- Lettre: E 21/24534.↩
- 2
- Cf. RO 1863-1866, VIII, p. 302.↩
- 3
- Cf. DDS vol. 3, no 426, dodis.ch/42405.↩
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