Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
I. KIRCHENPOLITIK
1. Der Kulturkampf
1.5. Die Inkamerationsfrage
Darin: Aepli rekapituliert die Inkamerationsfrage und findet, man solle dieses Problem nicht zur Diskussion stellen, ehe der Staatsvertrag mit Österreich über die Rheinkorrektion zustande gekommen sei. Annex vom 26.2.1886
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 316
volume linkBern 1986
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E22#1000/134#1779* | |
Old classification | CH-BAR E 22(-)1000/134 337 | |
Dossier title | Schweizerische Ansprüche gegen Oesterreich betr. das im Jahre 1803 eingezogene Besitztum kirchlicher Stiftungen (1849–1887) | |
File reference archive | 4.06.5.2 |
dodis.ch/42295
Mit Schreiben vom 27. ds. Mts.2 theilen Sie mir eine Kopie der Zuschrift des Kleinen Rats des Kantons Graubünden vom 12. gl. Mts.3 mit, und laden mich ein, mich über dieselbe vernehmen zu lassen. Unter Bezugnahme darauf, dass, so viel bekannt sei, ein Vertragsabschluss mit Österreich in S[achen der Rheinkorrektion wohl nicht, wie früher angenommen wurde, so bald erfolgen werde, ersucht die Regierung von Graubünden, die nötigen diplomatischen Schritte zur Betreibung und endlichen Erledigung der Inkamerations-Angelegenheit nicht zu länger zu verzögern.
Es ist nun vor Allem daran zu erinnern, dass ich mich in meinem Gutachten vom 26. Februar vor. Js.4 über die Frage der Zwekmässigkeit einer sofortigen Einleitung von diplomatischen Verhandlungen über die Inkamerations-Angelegenheit mit Rüksicht auf die Wirkung, welche dieselbe auf den Ausgang der in $[achen des Rheindurchstichs schwebenden Verhandlungen ausüben könnten, dahin ausgesprochen habe, dass mit jener zurükgehalten werden sollte, bis diese erledigt seien. Dabei wurde, unter anderem, darauf aufmerksam gemacht, dass man auf dem Punkte stehe, die technischen Vorarbeiten für den Rheindurchstich als erschöpft zu erklären, um sodann zur Vereinbarung des Statsvertrages überzugehen. Wenn wir heute nun auch noch nicht an diesem Ziele angelangt sind, so ist der Stand jener Frage deshalb doch der gleiche geblieben. Es kann, wie es damals von mir in Aussicht genommen worden ist, zum Beginn von Verhandlungen über den Staatsvertrag gelangt werden, wenn nur einmal das vollständig in Ausführung gebracht wird, was ich schon vor beiläufig einem Jahre in Antrag gebracht habe. Ich muss mir erlauben, bei dieser Gelegenheit Ihnen selbst, Hr. Bundespräsident, H.H. Bundesräte, meine leztjährigen Anregungen bekannt zu geben, Ihnen die Prüfung derselben zu empfehlen und daran die Hoffnung zu knüpfen, dass Sie, wenn Sie sich von ihrer Richtigkeit überzeugt haben sollten, zur Ausführung derselben mitwirken werden.
Nachdem, wie ich annahm, die lezten unabweislichen technischen Erhebungen stattgefunden hatten, beantragte ich in meinem Schreiben vom 2. Februar vor. Js.5 an das St. Gallische Baudepartement, die Feldkircher Protokolle vom Juli und Dezember 18856 durch den Bundesrat und die Regierung von St. Gallen genehmigen, durch dieselben die technischen Vorarbeiten für einmal als beendigt erklären zu lassen und der Statthalterei in Innsbruck hiezu mit der Bemerkung Kenntnis zu geben, dass nunmehr in Gemässheit der Note des Ministeriums des Äussern vom 19. Februar 18837 die Einleitungen zum Abschluss des Statsvertrages getroffen werden dürften. Dieser Antrag fand leider erst im Mai zustimmende Erledigung.8 Die Statthalterei gab, wie sie unterm 31. Mai an die Regierung von St. Gallen berichtete9, dem Ministerium des Innern von diesen Eröffnungen Kenntnis, fügte aber, wie kaum anders erwartet werden konnte, gleichzeitig die Bemerkung bei, dass nach dem Resultate der Expertenkommission eine umfassende Umarbeitung des Detailprojektes bevorstehe und die Kostenanschlagssumme eine Änderung erleiden werde, daher ein weiteres Vorgehen in Absicht auf den Abschluss eines Statsvertrages gegenwärtig noch nicht für angezeigt erachtet werde, und verhiess seiner Zeit Mitteilung von der Entscheidung des Ministeriums des Innern zu machen. Ob solche Mitteilung je erfolgt ist, weiss ich nicht, mir wenigstens wurde nichts darüber berichtet.
Um Mitte Juni befand sich Hr. Oberbauinspektor von Salis in Wien. Ich brachte ihn mit Hrn. Oberbaurat Indra in Berührung, der im Ministerium des Innern das Referat in S[achen der Tyroler- und Vorarlberger-Flusskorrektionen hat, und mit welchem die Durchstichfrage besprochen wurde. Man war allseitig darüber einig, dass keine genügenden Motive vorliegen, das Begehren um Beginn der Verhandlungen über den Statsvertrag weiter hinauszuschieben, da es sich bei lezterem im Grunde doch nur um drei Punkte handlen könne: 1.) um Festsezung des Traces der neuen Kanäle; 2.) der Quoten, in welchen die Unkosten von der Schweiz und von Österreich bestritten werden sollen, und 3.) der Frist, innerhalb welcher die Korrektionen auszuführen seien. Gestüzt auf diese Unterredung, zugleich überzeugt, dass nun ein entscheidender Schritt gethan werden müsse, um die Verhandlungen über den Statsvertrag herbeizuführen und im Einverständnis mit Hrn. Oberbauinspektor von Salis, stellte ich durch Schreiben vom 18. Juni vor. Js.10 an das St. Gallische Baudepartement die Anträge: 1. Der Statthalterei von Tyrol und Vorarlberg das Bedauern darüber auszusprechen, dass sie auch jezt noch den Zeitpunkt zum Beginn jener Verhandlungen nicht als vorhanden betrachten könne und die Eröffnung beizufügen, dass man sich darüber nun direkte an das Ministerium wenden müsse. 2. Den Bundesrat zu ersuchen in einer einlässlichen Note an das K.u.K. Ministerium des Äussern, die hohe Dringlichkeit, die Unterhandlungen über den Statsvertrag nicht weiter zu verschieben, auseinander zu sezen. 3. Diese Note nur zur persönlichen Übergabe an den Minister des Äussern zuhanden stellen zu lassen und 4. endlich fürzusorgen, dass sie mir etwa bis Mitte September, jedenfalls vor der Wiedereröffnung der Session des Reichsrats eingehändigt werde, damit ich ihr durch persönliche Verwendung beim Minister des Innern, der während der Reichsratssizungen für längere Besprechungen keine Zeit finden könnte, lezteren Eingang zu verschaffen im Falle wäre. Mit diesem Vorgehen war, wie mir das Baudepartement berichtete, der Regierungsrat von St. Gallen einverstanden, infolge dessen derselbe sich in einem vom 3. August datirten entsprechenden Schreiben11 an den Bundesrat gewendet hat. Bei meiner Anwesenheit in Bern, im verwichenen Spätsommer, hatte ich mir erlaubt, sowohl dem Hrn. Oberbauinspektor, als dem Hrn. Vorstand des Departements des Inneren die Behandlung dieser Angelegenheit noch besonders mündlich zu empfehlen.
Zu weiterer Motivirung des von mir beantragten Verfahrens muss ich speziell noch darauf aufmerksam machen, dass es nun durchaus notwendig erscheint, wenn ein entscheidender Schritt gethan werden soll, um endlich zur Negozirung des Statsvertrages zu gelangen, in dem angedeuteten Sinne vorzugehen. Bei den wiederholten mündlichen Erörterungen der Rheinkorrektionsangelegenheit suchte mich Graf Taafe, der Minister des Innern, stets damit zu beruhigen, dass er sagte, dieselbe sei in das Tableau der im Reiche succesive in Ausführung zu bringenden Flusskorrektionen bereits aufgenommen. Wann sie aber an die Reihe kommen werde, konnte ich nie erfahren. Ich habe viel mehr mit Rüksicht auf die dem Reichsrate bereits vorgelegten Anträge über die Flusskorrektionen in Galizien, auf die grossartigen Kanalprojekte in Böhmen, auf die Verbauungen und Korrektionen in Südtyrol, u.s.w. nicht die Hoffnung, dass, wenn nicht besondere Einwirkungen stattfinden, sobald an die Rheinkorrektion gedacht werde. Weitere, bloss mündliche Mahnungen, könnten daher absolut zu nichts führen, und erschien deshalb das unmittelbare, den ganzen Ernst der Frage betonende Eingreifen des Bundesrates durch das Mittel des Ministeriums des Äussern ganz unerlässlich. Das leztere darf hier deshalb besonders in Anspruch genommen werden, weil mir eines Teiles Graf Kalnoky schon beim Antritt der Gesantenstelle die Versicherung gegeben hat, dass er selber einen Wert darauf seze, dass die Rheinkorrektionsfrage endlich einmal zum Abschlüsse gelange, und weil er ändern Teils ohnehin bei jeder Gelegenheit seine Bereitwilligkeit an den Tag legt, den Wünschen der Schweiz in freundlichster Weise entgegenzukommen. Ich darf daher auf seine Unterstüzung beim Ministerium des Innern rechnen.
Leider ist nun aber im Laufe des lezten Jahres nichts geschehen und sind, man kann es nicht leugnen, die Zeitverhältnisse für Förderung unserer Sache seither nicht günstiger geworden. Die ausserordentlichen finanziellen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung für Kompletirung der Kriegsbereitschaft werden nicht dazu beitragen, die Neigung für Übernahme neuer finanzieller Verpflichtungen zu erhöhen. Indessen darf doch daran erinnert werden, dass es sich hier ja noch nicht darum handeln würde, jezt schon bestimmte Kredite zur Ausführung der Rheinkorrektion zu verlangen, sondern für einmal nur um eine Vereinbarung über die Grundbedingungen, unter welchen sie ausgeführt werden soll und welche in den obigen drei Punkten angedeutet worden sind. Dieses Ziel, mit welchem schon viel gewonnen wäre, dürfte wenigstens auch gegenwärtig erreicht werden können.
In der Voraussezung, dass Sie, Herr Bundespräsident, Herren Bundesräte, dazu Hand bieten werden, kann also auch jezt noch darauf hingewiesen werden, dass die Verhandlungen über die Rheinkorrektion fortdauern, dass sie durchaus keine Unterbrechung erleiden dürfen und daher heute noch die gleichen Gründe, wie leztes Jahr, vorhanden sind, die Inkamerationsbeschwerden von Graubünden einmal ruhen zu lassen.
- 1
- Bericht: E 22/1779.↩
- 2
- Es sollte heissen vorigen Monats (E 22/1779).↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Als Annex abgedruckt.↩
- 5
- E 2200 Wien 1/99.↩
- 6
- E 20/87.↩
- 7
- Ibid.↩
- 8
- Vgl. das Schreiben der Regierung von St. Gallen an die Statthalterei Innsbruck vom 21. 5.1886 (E 2200 Wien 1/99).↩
- 9
- E 2200 Wien 1/99.↩
- 10
- Ibid.↩
- 11
- E 20/87.↩
Tags