Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. SICHERHEITSPOLITIK
2. Die schweizerische Neutralität
2.2. Neutralitätsgarantien
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 313
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#90* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 49 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 7 (1887–1887) |
dodis.ch/42292 Streng confidentiell
Als ich gestern den Staatssecretär des Äussern, Graf Bismark, anlässlich Ihres Auftrages vom 22. d.M.3 betreffend Pferdeausfuhrverbot, besuchte, benutzte ich selbstredend die Gelegenheit, um denselben um Auskunft über die dermalige politische Lage zu ersuchen.
Die Antwort des Grafen Bismark lautete im Wesentlichen wie folgt:
«Die Situation hat sich in der letzten Zeit nicht geändert. Wir zweifeln auch heute nicht an dem ernsten Willen der jetzigen französischen Regierung, den Frieden nicht zu stören und glauben den diessbezüglichen Versicherungen des Herrn Herbette und des Herrn Flourens aufs Wort. Wir sind überzeugt, dass die Herren Grévy, Goblet, Flourens etc. alle erdenklichen Anstrengungen machen, um eine Regierung Boulanger abzuwenden. Hiezu muss sie schon der Trieb der Selbsterhaltung veranlassen; denn darüber kann wohl kein Zweifel herrschen, dass, wenn Boulanger ans Ruder käme, die Civilisten aus der Regierung gänzlich verdrängt würden.
Bei der Unsicherheit der französischen Zustände und bei der Erregbarkeit der Franzosen liegt aber die Gefahr einer Aktionsregierung mit dem Revanche-Programm und mit Boulanger an der Spitze trotzdem immer sehr nahe.
Aus Paris ist uns gemeldet worden, Boulanger sei über die Reichstagsreden meines Vaters «très irrité». Dass die Franzosen ihre Armee an unserer Grenze verstärken wollen, ist Thatsache. Dies beweisen auch die bekannten Bretter-Ankäufe in Eisass-Lothringen durch französische Holzhändler. Diese letztere Massregel «soll eine Antwort sein» auf die offene Erklärung meines Vaters im Reichstag, dass die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres namentlich den Zweck habe, unsere Grenze gegen Westen in erhöhtem Masse zu sichern. Wir werden natürlich diese Vorgänge wachsam verfolgen müssen.
Betreffend die Nothwendigkeit der Militärvorlage mit Rücksicht auf Frankreich war für mich u. A. auch eine Äusserung sehr bezeichnend, welche neulich dem russischen Botschafter, General Schuwaloff, mir gegenüber «entschlüpfte». Er sagte mir, «Votre armée est inférieure à l’armée française». Hiebei wollte er natürlich nur von der numerischen Stärke sprechen. Wir müssen indess zugeben, dass die Franzosen z. B. auch in ihrer Artillerie weiter voran sind als wir. Sie haben neuere Geschütze und sollen puncto Bespannung vortrefflich organisiert sein.
Kurz, wir haben fortwährend allen Grund, uns in jeder Beziehung vorzusehen.
Auch im Übrigen ist die Situation unverändert. Mit Russland stehen wir gut. Wir glauben u. A. zu wissen, dass dem Kaiser Alexander das radikale Regiment in Frankreich gründlich zuwider ist und dass er mit demselben schon aus diesem Grunde eine nähere Verbindung gegen uns nicht sucht.
Sehr hat es uns gefreut, von unserem Gesandten in Bern zu vernehmen, dass sich mehrere einflussreiche Persönlichkeiten, ich glaube der Herr Bundespräsident, dann General Herzog und auch Ihr Vorgänger, Herr Hammer, ihm, Herrn von Bülow, gegenüber vertraulich dahin ausgesprochen haben, man setze in der Schweiz in unseren festen Willen, die Neutralität derselben nie zu verletzten, das vollste Vertrauen. Es war diess früher nicht so, und wir haben Herrn von Bülow beauftragt, unserer Genugthuung über diese Änderung bei passendem Anlasse Ausdruck zu geben.
Dass dieses Vertrauen der Schweiz auf uns ein durchaus begründetes ist, bedarf wohl Ihnen gegenüber keiner weitern Versicherung.
Weniger sicher dürften Sie dagegen von französischer Seite her sein. Es liegt die Vermuthung doch recht nahe, dass die Franzosen sich veranlasst sehen könnten, gegen uns eine Umgehung durch schweizerisches Gebiet zu versuchen und haben sie daher allen Grund, mit dieser Eventualität zu rechnen.»
Die bulgarische Frage hat Graf Bismark bei dieser Unterredung aus eigener Initiative nicht berührt, und da ihm nach mir noch acht Gesandte zur Audienz angemeldet waren, hielt ich es nicht für passend, ihn weiter in Anspruch zu nehmen.
Von gutunterrichteter Seite (ebenfalls aus dem Auswärtigen Amte) wurde mir indess vor zwei Tagen bemerkt, die bulgarische Frage scheine doch wieder «in Gang zu kommen». Von verschiedenen Mächten sei den in Konstantinopel akreditierten Botschaftern die Weisung zugegangen, dort mit der Bulgarischen Deputation in Verkehr zu treten und «dieselbe besser zu behandeln als es seitens der gedachten Regierungen bis anhin der Fall gewesen sei».
Aus obigen Mittheilungen des Grafen Bismark betreffend die Bretterankäufe in Elsass-Lothringen glaube ich den Schluss ziehen zu müssen, dass diessbezügliche «Reclamationen» seitens der deutschen Regierung bis jetzt nicht erfolgt und bis auf Weiteres auch nicht beabsichtigt sind.
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