Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
VI. EISENBAHNEN
1. Der Bau der Gotthardbahn
1.1. Finanzierung der Bahn und Verwendung der Baurestgelder
Darin: Ausführliches Memorandum über die Problematik der Baufondsrestgelder, gedacht zur Information der deutschen und italienischen Regierung. Annex vom 20.3.1885
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 285
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E53#1000/893#487* | |
Old classification | CH-BAR E 53(-)1000/893 116 | |
Dossier title | Verwendung des Überschusses aus dem Baukapital, Baufondsrest (1883–1886) |
dodis.ch/42264
Mit Zuschrift vom [20J2d.M. haben Sie von dem Bundesrate den Auftrag erhalten der dortigen Regierung ein Memoire3 zu überreichen, welches sich auf die sog. Baufondersparnisse der Gotthardbahn bezieht. Das Unterzeichnete Departement ist gleichzeitig eingeladen worden, Ihnen diejenigen weiteren Mitteilungen zu machen, welche es in dieser Angelegenheit [als notwendig erachtet.
Es wird Ihnen Herr Minister nicht entgehen, dass die zuerst von der deutschen Regierung angeregte Frage für die Schweiz eine bedeutende Tragweite hat; die Forderung unserer Mitcontrahenten schliesst den A nspruch in sich von dem Bundesrat über die Verwendung der Subventionen Rechnung zu verlangen und damit in ein Gebiet hineinzugreifen, in welchem ihnen keinerlei Berechtigung zusteht. Seit dem Bestände des Gotthardvertrages vom Jahre 18694 hat sich über den Umfang der hierseitigen Verpflichtungen ein Anstand nie erhoben und es erscheint daher dem Bundesrate von der höchsten Bedeutung, dass dem ersten Versuche diese Verpflichtungen über das durch die Verträge bestimmte Mass auszudehnen entgegengetreten werde.
Was nun die factische und rechtliche Seite der vorliegenden Frage anbetrifft, so verweisen wir Sie auf die in dem bundesrätlichen Memorial enthaltenen Auseinandersetzungen und sind selbstverständlich zu jeder Auskunft bereit, welche Sie von uns zu verlangen in den Fall kommen sollten.
Sie ersehen aus dem Memorial, dass der Bundesrat grundsätzlich jede Pflicht bestreitet über den sog. Baufondrest einen Ausweis zu erteilen und ein Recht der beiden Staaten in bezug auf die Verwendung desselben anzuerkennen. Anderseits liegt es aber in dem hierseitigen Interesse die Differenz in möglichst enge Grenzen einzuschränken und so bald als möglich zu beseitigen und das gute Einvernehmen in einer gemeinsamen Unternehmung, welche naturgemäss noch zu manchen Erörterungen Anlass bieten wird, ungetrübt zu erhalten. Dieses Ziel setzt sich der Bundesrat namentlich in dem dritten Theile des Memorials, in welchem des näheren ausgeführt wird, das thatsächlich kein Grund vorliege die eigentliche rechtliche Streitfrage weiter zu erörtern. Es ist dieses der Punct auf welchen wir Ihre Aufmerksamkeit zunächst und hauptsächlich lenken wollen.
Die beiden Staaten verlangen von uns Rechenschaft über die Verwendung des Baufondrestes; wir bestreiten im ersten und zweiten Theil dieselbe schuldig zu sein, erklären aber im dritten, es werde der Bundesrat ganz abgesehen von der Verpflichtung gegen die Mitcontrahenten dafür sorgen, dass die Gotthardbahn auf die Hauptlinie Immensee-Pino einen Betrag von ungefähr 4,1 Millionen verwende und dass die Differenz zwischen dieser Verwendung und den zur Zeit verfügbaren Mitteln jederzeit gesichert bleibe.
Diese Zusage des Bundesrates sollte nach hierseitiger Auffassung die beiden Staaten zufrieden stellen. Was nun speciell die noch erwähnte Sicherstellung anbelangt, so verhält es sich damit folgendermassen.
Deutschland und Italien erklären: die Linie Immensee-Pino ist noch nicht ausgebaut; sobald das Bedürfniss sich einstellt muss das zweite Geleise gebaut werden und für diese Ausgabe ist der Baufondrest zu reserviren.
Wir anerkennen diese Pflicht das zweite Geleise zu bauen und fügen bei, dass wir alle Mittel besitzen um die Gotthardbahn zur Erfüllung derselben zu verhalten. Der Baufondrest würde hiezu gar nicht ausreichen, denn es ist derselbe weit geringer als die Summe (voraussichtlich 20 Millionen), welche für das [zweite]Geleise mutmasslich notwendig ist. Allein auch diese Summe wird erhältlich sein. Für’s erste ist es klar, dass eine Steigerung des Verkehrs, welche ein zweites Geleise erfordert, auch die Einnahmen der Gesellschaft in einem Masse erhöhen wird, das die Beschaffung der nötigen Mittel leicht macht und im weitern haftet der gesammte Werth der ganzen Unternehmung für die Erfüllung der fraglichen Pflicht. Wenn die Gesellschaft sich je weigern sollte derselben nachzukommen, so hat der Bund das Recht derselben die Concession zu entziehen, die Bahn zu veräussern und aus dem Erlös den Bau des zweiten Geleises zu bestreiten. Diesem gesetzlichen Recht gegenüber wird Niemand behaupten wollen, es werde sich kein Käufer finden, der die Bahn mit der Verpflichtung übernimmt «im Falle des Bedürfnisses» das zweite Geleise zu erstellen.
Wir ersuchen Sie an massgebender Stelle diesen Punct namentlich zu betonen und daneben die «Erklärung» des Bundesrates im III Theile des Memorials, mit den Worten beginnend «Gemäss den Vorschriften...» ebenfalls klar hervorzuheben und zu bemerken, dass diese Erklärung zwar keine aus den Verträgen herausgehende Verpflichtung enthalte aber einer solchen tatsächlich vollständig gleichkomme.
Schliesslich wollen wir noch beifügen, dass der Conflict ohne allen Zweifel durch die Haltung des Herrn Kinel hervorgerufen worden ist, welcher seine Rechte und Pflichten, die er als Reichsbeamter hat, nicht gehörig von denjenigen unterscheidet, die ihm als Mitglied des Verwaltungsrathes der Gotthardbahn zukommen. Wir ersuchen Sie Herr Minister diesen Punct nicht aus den Augen zu lassen und denselben in angemessener Weise zu verwerthen.
Die in dieser Zuschrift enthaltenen Aufschlüsse sind selbstverständlich nur zur Verwertung bei den mündlichen Erörterungen bestimmt, indem das Memorial mit einem einfachen Einbegleitungsschreiben überreicht werden soll.
Wir zweifeln nicht daran, dass ein genaues Eingehen auf die verschiedenen Seiten der Angelegenheit auch bei Ihnen die Überzeugung feststellen wird, dass unsere Auffassung sich mit guten Gründen vertheidigen lässt, deren Gewicht nicht verfehlen wird auch die dortige Regierung von ihren Ansprüchen abzubringen.