Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
1.2. Der Handelsvertrag mit Deutschland
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 3, Dok. 192
volume linkBern 1986
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E13#1000/38#44* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 13(-)1000/38 9 | |
Dossiertitel | Kündigung des Handelsvertrages vom 13.05.1869 durch das Deutsche Reich; Verlängerung des Handelsvertrages am 22.12.1879 und 01.05.1880 [AS, 4, 367 und AS, 5, 186]; Anträge des Handels- und Landwirtschaftsdepartements an den Bundesrat betr. Revision des Handelsvertrages; Bundesratsbeschlüsse; Sitzungsprotokolle; Notizen; Fragen betr. Gewerbelegitimationskarten und Behandlung des grenznachbarlichen Verkehrs; Akten der Bundesversammlung und Bundesbeschluss (20.06.1881) betr. Genehmigung des Handelsvertrages vom 23.05.1881 sowie der Übereinkunft vom 23.05.1881 betr. den Schutz der Rechte an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst (1878–1884) |
dodis.ch/42171
Antrag des Vorstehers des Handels- und Landwirtschaftsdepartements, L. Ruchonnet, an den Bundesrat1
Nachdem die Gesandtschaft des deutschen Reichs dem Bundespräsidenten die Eröffnung gemacht hat, es sei seitens der deutschen Regierung die Geneigtheit zur Verlängerung des am 30. Juni lfd. Js. zu Ende gehenden Handelsvertrages vorhanden2, hat der Bundesrath am 25. Märzlfd. Js. der Schweiz. Gesandtschaft in Berlin die Instruction3 ertheilt, dem Auswärtigen Amte des deutschen Reichs zu eröffnen, dass der Bundesrath ebenfalls geneigt sei, zur Verlängerung des Vertrages Hand zu bieten.
Die Behörde ging von dem Standpunkte aus, dass es sich um eine Verlängerung des status quo handle. Gegenwärtig ist die Sachlage eine andere. Laut den Berichten der Schweiz. Gesandtschaft in Berlin verlangt die deutsche Regierung sowohl Streichung der Weintrauben in der Beilage A zum Vertrage vom Jahr 18694, sowie Veränderungen im Veredlungsverkehr und beim Grenzverkehr (Beilage B des cit. Vertrages).
Das Unterzeichnete Departement hat eine Commission, bestehend aus den Herren
Nationalrath Geigy,
Nationalrath Gonzenbach,
Ständerath Blumer & Bertheau-Hürlimann
auf heute einberufen, um die Angelegenheit zu besprechen. Herr Minister Roth hat den Verhandlungen beigewohnt. Nach der Commissionsssitzung hat das Departement die Frage der Prolongation, resp. Revision des Vertrages noch mit dem Bundespräsidenten, Herrn Droz, Herrn Bundesrath Hammer & Herrn Minister Roth besprochen. Letzterer hat eine Note des Auswärtigen Amtes des deutschen Reiches vom 2. lfd. Mts. vorgelegt, welche lautet wie folgt:
«An den ausserordentl. Gesandten etc.
der Schweiz. Eidgenossenschaft, Hrn. Roth!
Der Unterzeichnete beehrt sich, den ausserordentlichen Gesandten & bevollmächtigten Minister der Schweiz. Eidgenossenschaft, Herrn Roth, in Erwiderung auf die gefällige Note vom 28. Märzd. Js.5 ganz ergebenst zu benachrichtigen, dass inzwischen stattgehabte Erwägungen die Kaiserliche Regierung von der Nothwendigkeit überzeugt haben, eine fernerweite Verlängerung des Handels- & Zollvertrages mit der Schweiz vom 13. Mai 1869 von gewissen Einschränkungen der darin enthaltenen Vereinbarungen abhängig zu machen. Zunächst ist es vom Standpunkt der deutschen Interessen aus nothwendig, den Artikel «Weintrauben» in der Anlage A des genannten Vertrages zu streichen. Es wird ferner deutscherseits vom 1. Juli dieses Jahres an eine unveränderte vertragsmässige Begünstigung im Veredlungsverkehr nicht mehr zugestanden werden können. Ausserdem werden auch die in der Anlage B des Vertrages enthaltenen Bestimmungen über die Behandlung des grenznachbarlichen Verkehrs einer Revision in der Richtung zu unterwerfen sein, dass die daselbst vereinbarten Erleichterungen auf den Grenzbezirk beschränkt werden.
Bei den eventuell hierüber einzuleitenden Verhandlungen werden endlich auch diejenigen Punkte einer Erörterung zu unterziehen sein, welche den Gegenstand der bei Unterzeichnung der Übereinkunft vom l.Mai 1880 ausgetauschten Note6 bilden.
Der Unterzeichnete beehrt sich, die gefällige Vermittlung des Hrn. Roth ganz ergebenst in Anspruch zu nehmen, um vorstehende Mittheilungen zur Kenntniss des schweizerischen Bundesrathes zu bringen. Derselbe erlaubt sich dabei zu bemerken, wie es für den Fall, dass der schweizerische Bundesrath auf entsprechende Verhandlungen einzugehen geneigt sein sollte, der Kaiserlichen Regierung erwünscht sein würde, wenn diese Verhandlungen am 10. ds. laufenden Monats hierselbst eröffnet werden könnten.
Indem der Unterzeichnete um eine baldige gefällige Rückäusserung bitten darf, benutzt er zugleich diesen Anlass, um Herrn Roth die Versicherung seiner ausgezeichneten Hochachtung zu erneuern.»
(sig.) Busch.
In Übereinstimmung mit den Herren Bundespräsident Droz, Bundesrath Hammer & Minister Roth stellt das Unterzeichnete Departement folgende1. Es sei das Anerbieten der deutschen Reichsregierung, die Unterhandlungen am 10. lfd. Mts. zu beginnen, zu acceptiren.
2. Mit denselben sei Herr Dr. Roth, Schweiz. Minister in Berlin, zu beauftragen & seien demselben als Experten beizugeben die Herren,
Nationalrath Geigy in Basel,
Nationalrath Gonzenbach in St. Gallen,
Ständerath Blumer7 in Schwanden,
Zolldirector Meyer in Bern.
3. Den Delegirten sei für die Unterhandlungen folgende Instruction zu geben:
A. Die Delegation gibt ihre Zustimmung zum Vorschläge Deutschlands betr. «Weintrauben», in der Meinung jedoch, dass Deutschland auf autonomem Wege die fernere zollfreie Einfuhr von Tafeltrauben zulasse, & zwar im Sinne von Art. 5, al. 2 des Vollziehungsreglementes betr. Vorkehren gegen die Reblaus, lautend: «Die Tafeltrauben dürfen nur dann an den Grenzen der Schweiz angenommen werden & im Innern der Schweiz circuliren, wenn sie in wohlverschlossenen, aber dennoch leicht zu untersuchenden Kisten, Schachteln & Körben verpackt sind. Das Gewicht einer gefüllten Kiste & Schachtel, oder eines gefüllten Korbes darf 10 Kilo’s nicht überschreiten.
Mit dieser, sowie mit der voriges Jahr vereinbarten Abänderung betr. die Mutterlauge ist Beilage A des Vertrages vom 13. Mai 1869 beizubehalten.
B. Veredlungsverkehr.
I. Aufrechterhaltung des Veredlungsverkehres im Sinne des bestehenden Vertrages und nach der bisherigen Praxis.
II. Eventuell, wenn Deutschland auf dieses Forderung nicht eingeht:
1. vertragsmässige Aufrechterhaltung des passiven Veredlungsverkehrs, d.h. zollfreie Wiedereinfuhr der in der Schweiz veredelten Waaren;
2. eine möglichst liberale Interpretation der deutschen Forderung betreffend das nationalisiren der zu veredelnden Waaren, durch irgend welche Vorarbeit.
3. für diejenige Branche des Veredlungsverkehrs, mit Rücksicht auf welche eine Beschränkung oder die Aufhebung erfolgen will, Aufrechterhaltung des status quo für ein weiteres Jahr, also bis zum 30. Juni 1882 als Übergangstermin.
III. Vertragsmässige Garantie einer Frist von einem Jahre für die Wiedereinfuhr der veredelten Waaren.
IV. Möglichste Erleichterung des Veredlungsverkehrs mit Rücksicht auf Zollformalitäten, z.B. betreffend Identitätscontrole.
V. Für den Fall, dass deutscherseits auch der passive Veredlungsverkehr streitig gemacht werden sollte, Androhung der Aufhebung der zollfreien Rückeinfuhr der in Deutschland veredelten Waaren (Stickerei).
C. Hinsichtlich der von Deutschland verlangten Abänderung der Bestimmungen der Beilage B des Vertrages werden vorläufig bestimmte Instructionen nicht ertheilt, sondern es sind zunächst die Abänderungsvorschläge Deutschlands zu gewärtigen.
D. Fabrik- & Handelsmarken. Die Delegation macht den Vorschlag, dass sich die beiden vertragschliessenden Theile gegenseitig auf dem Fusse der Gleichstellung mit den eigenen Staatsangehörigen behandeln.
E. Vertragsdauer.
Wenn Deutschland uns in einer für die Schweiz. Interessen befriedigenden Weise den Veredlungsverkehr einräumt, so wird die Delegation den Vorschlag machen, einen Handelsvertrag für die Dauer von 5 Jahren zu vereinbaren, immerhin hat aber dieselbe die Entschliessung des Bundesrathes vorzubehalten.
F. Im Falle die Verhandlungen nicht rechtzeitig zum gewünschten Resultate führen sollten, & die neue Vereinbarung am 30. Juni nächsthin (Ablauf des gegenwärtigen Vertrages) nicht ins Leben treten könnte, so wird die Delegation mit allem Nachdruck dahin wirken, dass eine Prolongation des status quo mit Streichung der «Weintrauben» auf ein Jahr zu Stande kommt. – Wenn sich im Verlauf der Negociationen überhaupt in Betreff einer neuen Vereinbarung nach Inhalt der gegenwärtigen Instruction oder in Betreff der Prolongation des status quo Schwierigkeiten ergeben sollten, so wird die Delegation beim Bundesrath neue Instructionen einholen.8
- 1
- E 13 (B)/153. Revision des Handelsvertrages mit Deutschland.↩
- 2
- Im Namen des Handels- und Landwirtschaftsdepartments richtete Bundespräsident Droz am 24. 3.1881 den Antrag an den Bundesrat, ein Schreiben an die Gesandtschaft Berlin gutzuheissen. In diesem hatte Droz ausgeführt: [...] S. Excellenz Herr General von Röder, K. Gesandter bei der schweizerischen Eidgenossenschaft hat beim Bundespräsidenten mündlich und vertraulich die Anfrage gestellt, ob schweizerischer Seits die Geneigtheit vorhanden sei, auf eine weitere Verlängerung des jetzt bestehenden Handelsvertrags auf ein Jahr, also bis 30. Juni 1882 einzugehen f...] ( E 13 (B)/153).↩
- 3
- E 1001 (E) q 1/130, Nr. 1499.↩
- 4
- AS 1866-1869, IX, S. 888-1053.↩
- 5
- Nicht ermittelt.↩
- 6
- Vgl. Nr. 169, Anm. 9.↩
- 7
- Nachdem E. Blumer mit Telegramm vom 6. 5.1881 (E 13 (B)/153) seine Ernennung abgelehnt hatte, wurde durch Präsidialverfügung vom 6. 5.1881 der von ihm vorgeschlagene Pierre Blumer, Unternehmer in Schwanden, als Experte bestimmt (E 1004 1/125, Nr. 2243).↩
- 8
- Der Bundesrat stimmte am 5. 5.1881 allen Punkten zu, wobei Punkt E neu formuliert wurde: Wenn Deutschland uns in einer für die schweiz. Interessen befriedigenden Weise den Veredlungsverkehr einräumt, so wird die Delegation die Geneigtheit aussprechen, statt blos zu einer zeitweisen Verlängerung des bisherigen, vielmehr zum Abschluss eines neuen Handelsvertrages auf die Dauer von 5 Jahren Hand zu bieten, immerhin ist aber die Entschliessung des Bundesrates vorzubehalten. [...] (E 1004 1/125, Nr. 2213). – Der vollständige Text der beschlossenen Instruktion befindet sich in: Instruktionen und Kreditive des Bundesrates 1878–1898, S. 45-47 (E 1001 (E) t 1/2). Der neue Vertrag wurde am 23.5.1881 in Berlin unterzeichnet. Vgl. den Vertragstext und die Botschaft des Bundesrates (BBl 1881, 3, S. 453-486).↩
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