Attentat auf Zar Alexander II.
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 3, doc. 173
volume linkBern 1986
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#86* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 47 | |
Titre du dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 3 (1878–1880) |
dodis.ch/42152
Ich bestätige Ihnen mein soeben expedirtes Telegramm lautend:
«Über die gestern Abend spät gemeldete Explosion im Winter-Palais in
Petersburg, angeblich direkt unter dem Speisesalon der kaiserlichen Familie, sagt
der russische Regierungsbote: Am 17. Nachmittags gegen 7 Uhr erfolgte im Erdgeschoss des Winter-Palais, unter dem Hauptwachzimmer, eine Explosion, wobei von der Wache 8 Mann getödet und 45 verwundet wurden. Die Diele des Wachzimmers und mehrere Gasröhren sind beschädigt. Die amtlichen Erhebungen sind im Gange.»
Ein Mitglied der russischen Botschaft bestätigte mir vor einer Stunde den
Inhalt dieses Telegramms, mit dem Beifügen, man vermuthe, dass Dynamith in
die Gasröhren gebracht worden sei.
Dieses neue Verbrechen dürfte ohne Zweifel auch uns wieder Unannehmlichkeiten bringen. Heisst es ja doch fortwährend, Genf sei ein Hauptherd aller russischen Verschwörungen.2 Noch vor kurzer Zeit sagte mir Herr von Oubril, der bisherige russische Botschafter, anlässlich einer flüchtigen Conversation betreffend
das Moskauer Attentat. «On croit connaître les malfaiteurs, mais ils auront probablement réussi à gagner la frontière pour se rendre en Angleterre ou chez vous en Suisse, à Genève, où se trouve le centre de toutes ces conspirations. Il y a, entre
autres, un individu très dangereux, un prince... (der Name ist mir entfallen)3 qui est un des chefs du parti révolutionnaire. Il faudra pourtant voir de nouveau, s’il n’y a pas moyen de changer cet état des choses.»
Ich verhielt mich äusserst reservirt, äusserte meine Zweifel über die Richtigkeit der russischen Beurtheilung der Verhältnisse in Genf, legte Betonung auf unsere Traditionen und die bei uns allgemein herschenden Anschauungen über das verfassungsmässig anerkannte Asylrecht und fügte dann noch, halb scherzend bei, mit allfälligen internationalen Abmachungen könnte man uns allerdings Ungelegenheiten bereiten, einen praktischen Erfolg würde man aber dabei nicht erreichen, denn wir können unser jetziges Verhalten nicht ändern und England werde allen derartigen Zumuthungen sicherlich die Ohren verschliessen.
Etwas von neuen Versuchen, Deutschland und Ostreich für die Sache zu gewinnen, lag in der letzten Zeit entschieden in der Luft und nun kommt noch die gestrige Katastrophe als frisches agens dazu.
Ich werde dieser Angelegenheit fortgesetzt meine volle Aufmerksamkeit zuwenden.
Die Büdget-Berathung im preussischen Abgeordnetenhause ist von dem Centrum, wie vorauszusehen war, wieder benutzt worden, um die Kulturkampffrage zur Sprache zu bringen. Prinzipiell genommen ergieng sich die Opposition bei diesem Anlasse wieder in den heftigsten, zum Theil nichts weniger als parlamentarischen Angriffen gegen die Mai-Gesetze und deren Schöpfer und Vollstrecker, ganz in derselben Weise, wie wir dies seit Jahren gewohnt waren. Auch die gleichen Bedingungen für den Friedensschluss wurden gestellt. Eine Variante ist indess doch zu verzeichnen. Die Kämpen der ultramontanen Parthei, wie Windhorst (Meppen), Schorlemer-Alst u.s. w., behandelten den zeitweiligen Cultusminister sehr glimpflich und richteten ihre Rekriminationen fast ausschliesslich gegen den Vorgänger des letztem, Dr. Falk und dessen Mitarbeiter. Diese Kampfesweise hatte nun allerdings für die angreifende Parthei, in der Hauptsache wenigstens, nicht den gewünschten Erfolg, denn sie zwang v. Puttkammer zu der ausdrücklichen Erklärung, dass die vollständige Anerkennung der Rechte des Staates, nach wie vor, die unumstössliche Bedingung für jede Verständigung bilden müsse. Insofern hat sich also die Situation gegen früher nicht geändert. Dagegen zeigte sich der Cultusminister auch bei diesem Anlasse im Übrigen als so conciliant und zu Concessionen auf praktischem Boden geneigt, dass die Ultramontanen im Grunde mit dem Resultate ihres Feldzuges und mit der Lage der Dinge im Allgemeinen dennoch viel zufriedener sein werden, als in den vergangenen Jahren.
Wer über den Stand der Unterhandlungen mit Rom nicht sonst näher vertraut ist, hat allerdings in diesen Debatten vergeblich nach «etwas mehr Licht» gespäht. Ich hörte hierüber von verschiedenen Seiten Klagen. Mit Hülfe der Auskunft, welche ich neulich hierüber erhalten (vid. mein Bericht4 vom 28. Januar l.J.) glaube ich mich aber doch hinlänglich orientirt, um mich dahin äussern zu können, dass die Situation genau so zu beurtheilen ist, wie ich dieselbe in dem erwähnten Bericht gezeichnet habe.
Auch seither habe ich wieder vernommen, dass die Unterhandlungen in Wien auf der gleichen Basis weitergeführt werden. Es wurde mir auch versichert, die Kurie habe die preussischerseits gestellte Forderung betreffend die Anzeigepflicht bei den Wahlen der Geistlichen bereits anerkannt.
Zur Zeit soll man über die Zulassung der geistlichen Congregationen und über das Fortbestehen des obersten geistlichen Gerichtshofes unterhandeln. Rom, heisst es, verlange die Aufhebung des letztem, sowie (als erste höchste Forderung) die Admission aller Congregationen. Preussischerseits sei die Geneigtheit zu erkennen gegeben worden, die Competenzen des obersten Gerichtshofes zu präzisiren und etwas enger zu ziehen und im Weitern auch die Frage zu prüfen, ob einzelne Congregationen, welche sich mit der Krankenpflege beschäftigen, wieder zugelassen werden könnten. Von einem Weichen betreffend die ändern Congregationen, besonders mit Rücksicht auf die Jesuiten, ist dagegen keine Rede.
Man paktirt also weiter und wenn nicht unvorhergesehen Hindernisse eintreten, wenn namentlich – ich wiederhole es – das Centrum in seinem blinden Eifer die Unterhandlungen nicht weiter erschwert, wenn es den Reichskanzler nicht in ändern wichtigen Fragen vor den Kopf stösst, und wenn es sich schliesslich mit dem Gedanken vertraut macht, dass der Frieden auf praktischem Boden und nicht auf dem Gebiete einer prinzipiellen Umkehr der preussischen Staats-Regierung zu suchen ist, so werden wir allmählig einer Verständigung entgegengehen. Aber jedenfalls nur allmählig, sehr allmählig, denn die Behandlung der Detailsfragen wird noch viele Schwierigkeiten bieten.
Der Bundesrath hat den Ihnen bekannten Militär-Gesetz-Entwurf, sammt Motiven, ohne Änderung genehmigt und ist diese Vorlage dem Reichstag bereits zugegangen.
Wenn einzelne Pressorgane sich dahin aussprechen, diese Vorlage habe sehr überrascht, so können mit den Überraschten nur Leute gemeint sein, welche für öffentliche Fragen wenig Verständniss haben. Für jeden, der diese Frage seit Jahren verfolgt hat, war es im Gegentheil längst eine ausgemachte Sache, dass ein solcher Vorschlag kommen werde und müsse und schon aus diesem Grunde glaubte man bei Anlass der Zolldebatten vom vorigen Jahr auch nicht einen Augenblick an die Möglichkeit der Verwirklichung der in Aussicht gestellten Steuererleichterungen.
Auch die Regierung hat aus ihrer Absicht, bezügl. Vorschläge zu bringen, nie ein Geheimniss gemacht. Es könnte sich höchstens fragen, ob man diese Vorlage schon jetzt einbringen solle oder erst im nächsten Jahre. Man entschied sich aber sehr bald für die diesjährige Session, um so für die Aufstellung des ganzen Büdgets pro 1881/1882 eine zuverlässige Basis und die nothwendige Zeit zu gewinnen.
An der Zustimmung des Reichstags zweifelt Niemand. Nur der Fortschritt und theilweise das Centrum, wahrscheinlich auch die Polen, werden dagegen stimmen. Die bezüglichen Debatten dürften aber jedenfalls interessant werden. Namentlich ist man auf die nähere, mündliche Motivirung durch die Regierung, bezw. den Reichskanzler gespannt, obschon man eigentlich jetzt schon über den Grundton derselben ziemlich orientirt zu sein glaubt. Die Entwicklung der Wehrkräfte Frankreichs und Russlands, wird es mutatis mutandis heissen, nöthigt Deutschland mit Ostreich gleichen Schritt zu halten.
Betreffend die Entwicklung des französischen Heerwesens erachtet man sich als hinlänglich aufgeklärt; dagegen gehen die Ansichten über die diesbez. Anstrengungen Russlands und über die viel besprochenen russischen Truppen-Anhäufungen in den gegen Deutschland gelegenen Grenzbezirken wesentlich auseinander.
Deutscherseits ist man sehr misstrauisch, trotz aller Dementis aus Petersburg. Wie unsicher man im Allgemeinen in der Beurtheilung dieser Frage ist, geht auch aus einer Mittheilung hervor, welche mir neulich der englische Botschafter, Lord Russel, machte. Er sagte mir nämlich, die englischen Consule in Russland, hierüber zum Berichte aufgefordert, hätten einstimmig gemeldet, ihnen sei von den angeblichen Truppen-Dislokationen nichts bekannt, währenddem auf der ändern Seite die englischen Consuln in Ostreich das Gegentheil melden.
Sicher ist, dass man in Berlin, namentlich in den höhern und höchsten militärischen Kreisen, Russlands wegen immer sehr preocupirt ist. Ich schliesse dies auch aus einer Unterredung, welche ich unlängst mit dem Feldmarschall Moltke (anlässlich eines Diner) hatte, und wobei er auch auf die Militärvorlage zu sprechen kam. Er betonte hiebei die Nothwendigkeit für Deutschland, stets gerüstet zu sein, da man beständig von zwei Seiten her (Frankreich und Russland) bedroht sein könne. Die russischerseits gemachten Anstrengungen und Truppendislokationen beweisen deutlich, fügte er hinzu, dass man im gegebenen Falle agressiv vorgehen wolle, denn es könne weder Deutschland noch Ostreich einfallen, Russland den Krieg zu machen. «Was wollten wir auch in Russland machen», fragte er wörtlich, «unsere Armeen müssten ja dort verhungern»; und dann zog er noch eine Paralele zwischen Frankreich und Russland betreffend die Ressourcen für die Verpflegung einer deutschen Armee.
So Moltke und so denken mit ihm, wie ich mich wiederholt überzeugen konnte, nicht nur zahlreiche Vertreter der Armee, sondern auch viele deutsche Politiker.
Betreffend die Anerkennung Rumaenien’s erwartet man in der allernächsten Zeit die erwünschte Lösung. Die deutsche Regierung, in der Eisenbahnangelegenheit nunmehr zufrieden gestellt, wird jetzt mit Frankreich und England die rumänischen Kammerbeschlüsse in der Judenfrage als vorläufig genügend anerkennen, nachdem nämlich die rumänische Regierung in irgend welcher Form die Erklärung abgegeben, dass diese Beschlüsse nur als ein commencement d’exécution der betreffenden Bestimmungen des Berliner-Friedens aufzufassen seien. Auch in dieser Frage hat der Reichskanzler sehr glücklich operirt; er verstand es, für die deutschen Interessen, in der Eisenbahnfrage, auch England und Frankreich in der Weise zu gewinnen, dass sie sich verpflichteten, Rumaenien nur gemeinsam mit Deutschland anzuerkennen.
Das selbständige Vorgehen Italien’s und neulich auch der Niederlande betreffend diese Anerkennung ist hier natürlich etwas übel vermerkt worden. Die Nachrichten über eine ernstliche Erkältung in den Beziehungen zwischen Deutschland und Italien, sei es aus obigem oder einem ändern, Grunde, gehören aber offenbar in das Gebiet der Fabrikation von grundlosen Sensations- Berichten. Ebenso, ohne Zweifel, die Versuche, der Reise des Kronprinzen nach Pegli eine politische Bedeutung zu geben.
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