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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 25, Dok. 36
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E7110#1981/41#1929* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 7110(-)1981/41 130 | |
Dossiertitel | West-Ost-Handel (1970–1970) | |
Aktenzeichen Archiv | 843.0.1 • Zusatzkomponente: Vereinigte Staaten von Amerika |
dodis.ch/35399 Interne Notiz der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements1 WEST-OST-HANDEL2: ÜBERWACHUNG DER AUSFUHR VON LISTENWAREN
I. In der weltpolitischen Auseinandersetzung zwischen West und Ost sind vor 20 Jahren von Seiten der westlichen Alliierten (NATO), besonders der USA, Massnahmen getroffen worden, um die Ausfuhr einer Anzahl als militärisch wichtig betrachteter Waren der zivilen Produktion nach den kommunistischen Staaten zu verhindern. Nach Ausbruch des Korea-Krieges wurde versucht, auch neutrale Staaten in dieses System einzubeziehen. Die Schweiz hat sich einem Embargo natürlich nicht anschliessen können, hat aber anderseits anerkannt, dass sie aus der Tatsache, dass eine Partei ihrem Handel mit der Gegenseite Beschränkungen auferlegt, nicht durch die Expansion ihres eigenen Handels in der einen oder anderen Richtung Nutzen ziehen soll. Dieses Prinzip des Nichtprofitierens hinderte die Schweiz jedoch nicht daran, ihren normalen Handel mit Listenwaren im traditionellen Umfang mit allen Ländern der Welt fortzusetzen.
Nach den Staaten des kommunistischen Ostblocks, inklusive China, tätigen wir solche Lieferungen schweizerischen Ursprungs zulasten eines Jahreskontingents, das sich seinerseits auf ein Gentlemen’s Agreement3 mit den amerikanischen Behörden stützt. Um diese Exporte kontrollieren zu können, haben die schweizerischen Behörden autonome Massnahmen getroffen. Die im Westen als Listenwaren bezeichneten Produkte (Internationale Liste I des COCOM) wurden der Ausfuhrbewilligungspflicht unterstellt (BRB Nr. 3 über die Warenausfuhr vom 4. September 19644). Durch interne Weisung5 sind der SEA und dem VSM die Überwachungs- und Kontingentsverwaltungsaufgaben im einzelnen übertragen worden.
Die Schweiz hat es immer aus neutralitätspolitischen Gründen konsequent abgelehnt, den Transit von Waren zu kontrollieren, die nicht in ihre Zollhoheit fallen. Die uns umgebenden NATO-Staaten haben es in der Hand, darüber zu wachen, dass kein strategisches Material via Schweiz nach einer unerwünschten Bestimmung zum Versand gelangt.
II. Im Jahre 1954 wurde das COCOM (Coordinating Committee) mit Sekretariat in Paris gegründet. Dieses ist verantwortlich für die Herausgabe und Bereinigung der Internationalen Listen, nämlich der auch von uns autonom verwendeten Internationalen Liste I (mit gegenwärtig ca. 100 Positionen, die hauptsächlich den Maschinen- und Instrumente-Sektor betreffen), der Internationalen Kriegsmaterialliste und der Internationalen Atomenergieliste.
Dem COCOM gehören die folgenden Länder an:
Belgien, BRD, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Ita lien, Japan, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, Türkei, USA.
Es sind alle EWG-Staaten in diesem Gremium vertreten. Wie bei uns, ist von jedem einzelnen Land separat eine Ausfuhrüberwachung für Listenwaren eingeführt worden, die in der autonomen Gesetzgebung verankert wurde. Die EWG hat wenigstens bisher keine Zusammenlegung der Kontrolle der einzelnen Länder zur Folge gehabt, und es ist auch nicht denkbar, dass auf diese Trennung verzichtet wird, solange
a) innerhalb des EWG-Gebietes an den Ländergrenzen Zollorgane stehen,
b) die COCOM-Mitgliedschaft der Länder nicht durch eine solche der Gemeinschaft ersetzt wird.
Die Behörden eines jeden COCOM-Mitgliedes unterhalten besondere Überwachungsinstanzen, welche für die Erteilung von länderweise separaten Überwachungsdokumenten zuständig sind. Es gibt z. B. kein EWG-Importzertifikat, sondern italienische Einfuhrzertifikate, deutsche Unbedenklichkeitserklärungen, französische certificats d’importation usw.
III. Die Berücksichtigung der gleichen Warendefinitionen für die Ausfuhrüberwachung führt zur Parallelität unserer der Ausfuhrbewilligungspflicht unterstellten Positionen gemäss Brüsseler Nomenklatur mit denjenigen der EWG-Mitgliedstaaten. In der Handhabung dieser Bewilligungspflicht ist jedoch die Schweiz stark privilegiert. Während die EWG-Länder unter dem COCOM verpflichtet sind, für Waren der Internationalen Liste I gegenüber dem Ostblock ein totales Embargo aufrechtzuerhalten, d. h. keine Ausfuhrbewilligungen zu erteilen, können wir als neutrales Land gestützt auf das Gentlemen’s Agreement mit den Amerikanern jährlich bis zum Betrag von 35 Mio. Franken solche Waren schweizerischer Fabrikation frei nach den Ostländern exportieren6.
Das gesamte Überwachungskapitel ist motiviert durch politische Sicherheitsüberlegungen und hat weder mit wirtschaftlichen noch zolltarifarischen Verhandlungsaspekten etwas zu tun. Ein allfälliger Vertrag mit der EWG, der auch für den Handel mit Listenwaren zwischen der Schweiz und den EWG-Staaten die Zollfreiheit bringen würde, dürfte keine Änderung der bestehenden Regelung notwendig machen. Der Zollansatz spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für Weststaaten unter sich bestehen dank den als Deckung benützten Garantiedokumenten keine Überwachungsprobleme, weil die Verfahren in den einzelnen Ländern längstens eingespielt sind.
Änderungen müssten ins Auge gefasst werden, wenn schweizerische Maschinen und Geräte anstelle des schweizerischen Ursprungs EWG-Ursprung erhielten und die Kontrolle schweizerischer Zollgrenzposten gegenüber EWG-Nachbarstaaten beendigt, d. h. die Löschung autonomer schweizerischer Ausfuhrbewilligungen dahinfallen würde. Dann könnten wir die Bedingungen unseres vorteilhaften Gentlemen’s Agreement mit den USA nicht länger erfüllen.
- 1
- Notiz (Kopie): CH-BAR#E7110#1981/41#1929* (843.0.1). Verfasst und unterzeichnet von M. Krell. Kopien an P. Languetin und H. Sieber.↩
- 2
- Zu den Entwicklungen des Ost-West-Handels und der Osthandelsbeziehungen der Schweiz vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 109, dodis.ch/3981; DDS, Bd. 18, Dok. 84, dodis.ch/7231; Dok. 105, dodis.ch/8820 und Dok. 106, dodis.ch/7230; DDS, Bd. 23, Dok. 119, dodis.ch/31851; DDS, Bd. 24, Dok. 41, dodis.ch/33135; Dok. 135, dodis.ch/33630 und Dok. 189, dodis.ch/33136 sowie DDS, Bd. 25, Dok. 58, dodis.ch/35754, und Dok. 176, dodis.ch/35755. Vgl. ferner Anm. 3.↩
- 3
- Zum sogenannten Gentlemen’s Agreement bezüglich des Ost-West-Handels vgl. bes. DDS, Bd. 18, Dok. 25, dodis.ch/7202; DDS, Bd. 19, Dok. 124, dodis.ch/10152, und DDS, Bd. 24, Dok. 189, dodis.ch/33136.↩
- 4
- BR-Prot. Nr. 1572 vom 4. September 1964, CH-BAR#E1004.1#1000/9#690*.↩
- 5
- Weisung von A. Weitnauer vom 19. Juni 1970, CH-BAR#E7001C#1982/117#593* (2410.1). Vgl. ferner die Notiz Überwachung der Ausfuhr von Listenwaren von E. Stopper vom 22. Juni 1964, CH-BAR#E7001C#1975/64#324* (2430.1).↩
- 6
- Vgl. dazu das Schreiben von F. Schnyder an P. R. Jolles vom 10. März 1970, dodis.ch/35448.↩
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