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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 104
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2807#1974/12#443* | |
Old classification | CH-BAR E 2807(-)1974/12 46 | |
Dossier title | Algerien (1967–1969) | |
File reference archive | 09 |
dodis.ch/33713 Notiz für den Vorsteher des Politischen Departements, W. Spühler1 Schweizerisch-algerische Beziehungen: Jüngster Stand
Die schon seit einiger Zeit andauernden, auf verschiedene Faktoren zurückzuführenden Spannungen in den schweizerisch-algerischen Beziehungen veranlassten uns, unser Verhältnis zu diesem Lande einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Im Einvernehmen mit der Handelsabteilung und anderen Dienststellen sind wir nach einlässlicher Analyse der Situation zur Überzeugung gelangt, dass wir die Initiative zu einer Auflockerung der erstarrten Fronten ergreifen sollten. Dies schon im Hinblick auf die beträchtlichen schweize rischen Interessen, die es zu wahren gilt, dann aber auch deshalb, weil Algerien mit seinem Reichtum an Erdöl und Naturgas sowie als Absatzgebiet schweize rischer Erzeugnisse und für Dienstleistungen ein potentiell interessanter Partner für uns darstellt.
Inoffizielle Sondierungen2, die Herr Botschafter Long kurz vor Antritt seiner neuen Funktionen an der Spitze des GATT3 dieses Frühjahr in Algier unternahm, vermochten das Eis etwas zu brechen. Diese Fühlungnahme zeigt eindeutig, dass auch auf algerischer Seite der Wunsch nach einem Abbau der bestehenden Hindernisse vorhanden ist. Diese Erkenntnis gab uns Anlass, im vergangenen Juli Herrn Marcuard, Delegierten für Technische Zusammenarbeit und früheren Botschafter in Algerien, mit einer eigentlichen, vertraulichen Aufklärungsmission in Algier zu betrauen4. Wir haben damit unsere Bereitschaft zur Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen5 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Dank diesen beiden Sondermissionen gelang es denn auch, die Atmosphäre zu verbessern. Wir zeigten uns dem von algerischer Seite geäusserten Wunsch für Globalverhandlungen zugänglich, in deren Verlauf die Gesamtheit der hängigen Probleme zwischen den beiden Staaten zu prüfen wäre. Dass es sich bei der Verhandlungsbereitschaft unserer Partner nicht nur um leere Worte handelte, bewies die Tatsache, dass die inzwischen im Sinne eines «test case» abgehaltenen Besprechungen zwischen Herrn Moser, Vizedirektor bei der Handelsabteilung, und einer algerischen Delegation zum Abschluss eines auch für die Schweiz interessanten Kompensationsgeschäftes Wein-Käse6 geführt haben.
Im Bestreben, nichts unversucht zu lassen, um eine Entspannung und wenn möglich die Wiederherstellung des früheren guten Einvernehmens herbeizuführen, haben wir beschlossen, dem Bundesrat die Aufnahme von Globalverhandlungen mit Algerien zu beantragen7. Diese werden sich schweizerischerseits voraussichtlich auf folgende Punkte konzentrieren: – Handelsfragen, wobei auch die allfällige Anpassung des schweizerischalgerischen Handelsvertrages aus dem Jahre 19638 erörtert werden soll; – Nationalisierung schweizerischer Vermögenswerte: Entschädigungsfrage9; – Kreditfrage: allfällige Gewährung eines ERG-gedeckten Rahmenkredites
für Lieferungen schweizerische Investitionsgüter; – Technische Zusammenarbeit: wir denken dabei weniger an eigentliche neue,
sondern eher an den Ausbau bereits laufender Projekte10; – Haftfälle und Radioproblem11: allfälligen schweizerischen Konzessionen
in den obigen Punkten müssten natürlich algerische Zugeständnisse für
eine befriedigende Regelung der nach wie vor ungelösten Haftfälle und
im Gebiet der Störungen des Landessenders Beromünster durch die
Sendestation Ain-Beida gegenüberstehen.
Die Beschwerden, welche die Algerier wahrscheinlich an den Verhandlungstisch mitbringen werden, dürften sich vornehmlich auf die noch immer ungelöste Frage des ehemaligen FLN-Kriegsfonds (sog. Khider-Affäre12), die angebliche politische Tätigkeit algerischer Oppositionselemente in der Schweiz, vermehrte Zusammenarbeit im Wirtschaftssektor (Kredite, Investitionen usw.), Zulassung von algerischen Arbeitskräften in unserem Lande und eventuell noch auf andere Begehren beziehen.
Als Delegationschef nehmen wir Herrn Botschafter Raymond Probst, Dele gierten für Handelsverträge, in Aussicht, der neben den handelspoli tischen Fragen auf Grund seiner früheren Tätigkeit im Politischen Departement auch mit den politischen Aspekten der zu behandelnden Probleme vertraut ist. Begleitet würde Herr Probst von Mitarbeitern der Handelsabteilung und des Politischen Departements sowie nötigenfalls von Experten.
- 1
- Notiz: E2807#1974/12#443* (09). Verfasst von E. Klöti und unterzeichnet von M. Gelzer. Von P. Micheli an W. Spühler weitergeleitet.↩
- 2
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 79, dodis.ch/33711.↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 24, dodis.ch/33255, Anm. 6.↩
- 4
- Zur Mission von S. Marcuard vgl. Notes sur mon voyage en Algérie du 2 au 6 juillet 1968, dodis.ch/33983.↩
- 5
- Vgl. dazu die Notiz von M. Gelzer an P. Micheli vom 14. November 1967, dodis.ch/34012; die Notiz von R. Probst an H. Schaffner vom 24. Juli 1969, dodis.ch/34011 und das Schreiben von J.-D. Grandjean an P. Micheli vom 29. September 1969, dodis.ch/34007.↩
- 6
- Vgl. dazu die 3 Briefwechsel betr. Kompensationen Wein gegen Schweizer Käse; das Problem des direkten oder indirekten Importes von Wein; die Ausfuhr von Rindern nach Algerien gegen Eröffnung eines Zusatzkontingents von algerischem Rotwein vom 11. November 1969, K 1(-) 2747.↩
- 7
- Vgl. das BR- Prot. 1525 vom 30. September 1968, dodis.ch/33994. Zu den Globalverhandlungen vgl. ferner die Notiz von E. Klöti an J. Ruedi vom 29. März 1968, dodis.ch/33992; den Bericht von R. Probst vom Oktober 1968, dodis.ch/33995 und das BR- Prot. Nr. 317 vom 26. Februar 1969, dodis.ch/33982.↩
- 8
- Handelsabkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Algerischen demokratischen Volksrepublik vom 5. Juli 1963, AS, 1990, S. 248–251.↩
- 9
- Vgl. dazu das Protokoll der Sitzung vom 27. Mai 1969 der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats vom 16. Juli 1969, dodis.ch/33052, S. 22 f. und die Notiz von O. Long vom April 1968, dodis.ch/33987. Zu den Nationalisierungen vgl. ferner DDS, Bd. 24, Dok. 159, dodis.ch/32242.↩
- 10
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 101, dodis.ch/32839, Anm. 11.↩
- 11
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 137, dodis.ch/33712.↩
- 12
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 41, dodis.ch/31499; DDS, Bd. 24, Dok. 88, dodis.ch/33019, und die Notiz von R. Probst vom 30. Oktober 1968, dodis.ch/34006.↩
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