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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 164
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1980/83#921* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1980/83 282 | |
Dossier title | Beziehungen der Schweiz zu Algerien (1967–1970) | |
File reference archive | B.15.21 • Additional component: Algerien |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1982/58#338* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1982/58 75 | |
Dossier title | Verstaatlichungen (1968–1972) | |
File reference archive | B.34.66.0 |
dodis.ch/32244 Interne Notiz des Politischen Departements1
Vor allem in Entwicklungsländern besteht die Gefahr – bei Algerien ist es bereits eine Erfahrungstatsache –, dass Nationalisierungsmassnahmen nicht nur die zwischenstaatlichen Beziehungen wegen den daraus resultierenden Entschädigungsforderungen belasten, sondern zusätzlich die enteignende Regierung dazu veranlassen, durch gezielte Aktionen auf andern Gebieten den entschädigungsberechtigten Staat unter Gegendruck zu setzen, um vom Kernproblem abzuweichen und den Entschädigungsanspruch «herunterzuspielen».
Algerien handelte seit dem Zeitpunkt, da die beschränkenden Massnahmen einsetzten, d. h. seit Ende 19622, ungefähr nach folgenden Gesichtspunkten:
1. Es sucht Zeit zu gewinnen, vertröstet auf später...
2. Es beschränkt sich bei den zwischenstaatlichen Desiderata nicht auf einen zumutbaren Wunschkatalog, sondern meldet extrem hohe Forderungen an.
3. Es unternimmt gezielte Aktionen, um Druck auszuüben, und steigert diese bis zu solchen mit aggressivem Charakter.
4. Nachdem sich auf diese Weise ein ganzer Ballast in den zwischenstaatlichen Beziehungen angehäuft hat, werden die Probleme gegenseitig «relativiert» (bzgl. Bedeutung und bzgl. Präzedenz).
Trotz bescheidener Erfahrung auf der diplomatischen Bühne und namhafter Störungen auf innenpolitischem Gebiet hat sich Algerien mit seinen Methoden stark nach vorne gearbeitet. Dabei hat es sich nicht nur viel – besonders zu Lasten der westlichen Industriestaaten – erkämpft, sondern auch das Gesetz des Handelns an sich zu reissen gewusst.
Um unglücklichen Entwicklungen dieser Art vorzubeugen, gilt es wohl vor allem, das Hauptproblem der gegenseitigen Belastungen raschestens aus dem Wege zu räumen und dabei das Gesetz des Handelns nicht an den Gegenspieler abtreten zu müssen. Vom Beispiel Algerien ausgehend bedeutet dies die vordringliche Regelung des Verstaatlichungskomplexes3, damit dieser nicht zum Ausgangspunkt einer (künstlich hervorgerufenen) Eskalation werde, die ihrerseits die verschiedensten Beeinträchtigungen der zwischenstaatlichen Interessen mit sich bringt.
Bereits bei dieser grundlegenden Forderung scheint mir, es fehle uns – wie wohl weitgehend bei den westlichen Kulturvölkern – an der «unité de doctrine», dies sowohl in theoretischer als auch in taktischer Hinsicht. Um schlagkräftig reagieren zu können, muss das Kernproblem in seiner Bedeutung rasch erkannt werden. Dazu gehört, dass uns dessen Vorrang gegenüber andern Belangen der zwischenstaatlichen Beziehungen zunächst auf dem internen schweizerischen Plan zum Bewusstsein kommt. Mit der Erkenntnis in der Spitze der Verwaltung ist es aber nicht getan. Dieselbe muss auch den an weitern Aspekten des zwischenstaatlichen Verkehrs interessierten Stellen (Verwaltung, Firmen, Private) vermittelt werden. Ausserdem gilt es, die Massenmedien gezielt in die Beeinflussung der öffentlichen Meinung einzuspannen. Schwieriger und auch folgenschwerer ist sodann die taktische Linie, die es nach allseitig gewonnener Erkenntnis einzuschlagen gilt. Um wirksam zu sein, müssen Druckmittel verschiedenen Grades «greifbar» gemacht werden. In enger Zusammenarbeit mit andern Dienststellen wäre raschestens ein entsprechender Katalog vorzubereiten. Das Schwergewicht der Druckmittel dürfte meistens auf handelspolitischer Ebene liegen; doch müsste die Auswahl unserer Trümpfe vielgestaltig sein.
Die Anwendung von Druckmitteln erhält bei uns rasch einen Beigeschmack, nicht zuletzt wegen der äusserst unbekümmerten Wahl derselben durch gewisse Regierungen. Nun stehen uns aber völkerrechtlich durchaus einwandfreie Mittel zur Verfügung, und deren Anwendung stellt lediglich die Kunst einer aktiven Aussenpolitik dar. Die Politik der zaghaften kleinen Schritte wird von einem Land «à la Algérie» nur als Schwäche und Naivität ausgelegt und weckt bei ihm stets neuen Appetit. In wenigen Jahren hat sich – besonders im Rahmen des öst-westlichen Spannungsbereiches – bei einer grossen Zahl von Staaten (vor allem bei neu entstandenen) eine Grundhaltung entwickelt, die von der Diplomatie ein beträchtliches Umdenken erfordert. Es scheint mir daher nur richtig, dass der Fall Algerien zum Anlass einer Art Standortbestimmung genommen wird.
Die Bedeutung einer Verstaatlichungsaktion kann sehr variieren, sowohl hinsichtlich des Umfanges wie auch bezüglich der Entschädigungsbereitschaft. Algerien steht hierbei «links aussen» (460 Fälle, keine Entschädigungsklauseln). Im Zeichen eines dynamischen Wirtschaftsdenkens, das sich in der Schweiz stark in den Vordergrund gespielt hat, besteht nun die Gefahr, die Bedeutung einer Verstaatlichungsaktion geringer einzusetzen und deren Regelung den dynamisch gelagerten Interessen hintenanzustellen. Meines Erachtens erfordert eine Standortbestimmung, dass die Nationalisierungen auch unter diesem Gesichtspunkt einer Prüfung unterzogen werden und eine «unité de doctrine» vor allem mit der Handelsabteilung des EVD gewährleistet wird. Die Interessen liegen hier auf sehr verschiedener Ebene. So geht es dem Polit. Departement nicht einfach um die Schadloshaltung unserer Landsleute und das Einhandeln eines ziffermässig umschreibbaren materiellen Vorteils; weit wichtiger ist für dasselbe die Einhaltung der völkerrechtlichen Grundsätze, die Vermeidung von Präzedenzfällen, die Schule machen könnten, usw. Das Volkswirtschaftsdepartement seinerseits vertritt die direkten materiellen Interessen unseres Aussenhandels; je nach Konjunkturlage kommt dessen Postulaten verschieden starkes Gewicht zu. Der Entscheid über den Vorrang der Interessen wird aber stets ein politischer sein müssen, der sich vornehmlich auf grundsätzliche Überlegungen abzustützen hat.
Die obigen Betrachtungen beschränkten sich auf den (vielleicht besonders typischen) Fall, da die Nationalisierung mit der spolativen Absicht des Urhebers den Ausgangspunkt einer Eskalation bildet. Die aus einer solchen Konstel lation gewonnenen Erkenntnisse sind aber – mutatis mutandis – auch auf andere Vorkommnisse anwendbar, demnach auch allfällige Aktionspläne.
Besten Dank für Ihre Darlegungen. Dass wir uns stets um eine «Standortbestimmung» und um eine «unité de doctrine» bemühen, beweist gerade der Fall Algerien, sind wir doch zur Überzeugung gelangt, dass mit diesem Land Globalverhandlungen5 geführt werden müssen. Im Rahmen dieser Globalverhandlungen haben bekanntlich zwei Phasen stattgefunden6. Diese Methode hat u. U. auch ihre Nachteile. Es kann sich als notwendig erweisen, Schritt für Schritt Einzelfragen einer Lösung entgegenzuführen7.
- 1
- Notiz: E2001E#1980/83#921* (B.15.21). Verfasst von T. Voegeli.↩
- 2
- Vgl. dazu DDS, Bd. 22, Dok. 185, dodis.ch/30419.↩
- 3
- Vgl. dazu z. B. DDS, Bd. 23, Dok. 26, dodis.ch/31967, und DDS, Bd. 24, Dok. 159, dodis.ch/32242, bes. Anm. 2.↩
- 4
- Ergänzung von M. Jaccard vom 26. August 1969.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 104, dodis.ch/33713, Anm. 7.↩
- 6
- Vgl. dazu die Notiz von R. Probst an F. Blankart und E. Klöti vom 27. Juni 1969, Doss. wie Anm. 1.↩
- 7
- Handschriftliche Marginalie vom 3. September 1969: eingesehen.↩
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