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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 23, doc. 99
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001E#1978/84#3234* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(E)1978/84 728 | |
Titolo dossier | Empfang höherer britischer Persönlichkeiten in der Schweiz: Brown George, Wirtschaftsminister, London (1965–1965) | |
Riferimento archivio | B.15.50.4 • Componente aggiuntiva: Grossbritannien |
dodis.ch/31418
Notiz des Vorstehers des Politischen Departements, F. T. Wahlen1
Besuch von Wirtschaftsminister George Brown in der Schweiz
Am 25. August erhielt ich von George Brown folgendes Telephon:
Er sagte mir, er hätte sehr grosse Sorgen und wünsche, mir eine Reihe von Fragen zu unterbreiten, deren Beantwortung für ihn und Premierminister Wilson sehr wichtig sei. Er fragte, ob es mir nicht möglich wäre, auf einen kurzen Besuch nach England zu kommen. Ich musste ihm sagen, dass das aus Zeit- und andern Gründen leider unmöglich sei und fragte ihn nach dem Gesprächsstoff. Er sagte, er könne ihn mir nicht gut am Telephon darlegen und bat mich, wenigstens halbwegs an einen Treffpunkt in Belgien oder Frankreich zu kommen. Auch das musste ich abschlagen, worauf er sagte, in diesem Falle komme er in die Schweiz, unter der Voraussetzung, dass das Treffen strikte geheim gehalten werden könne. Ich schlug ihm das Bad Schauenburg vor. Er nahm sofort an und proponierte Samstag und Sonntag, den 28. und 29. August. Ich entgegnete, dass es im Interesse der Diskretion liege, wenn wir uns nicht an einem Wochenende treffen würden, weil viele Stadtbasler Samstag oder Sonntag im Bad Schauenburg verbrächten. Er hielt am Samstag für Reisetag fest, aber wir vereinbarten für unsere Unterredung Montag, den 30. August.
Das Begehren Browns setzte mich in eine gewisse Schwierigkeit, weil er aus rein persönlichen Gründen mit mir und nicht mit seinem Ressortkollegen Bundesrat Schaffner sprechen wollte. Er wiederholte mir, dass das rauhe Gespräch3, das wir bei Anlass des Churchill Begräbnisses4 führten, für ihn äusserst nützlich gewesen sei. Er sei mir dankbar für meine Härte in der Frage des Abbaues der Zollzuschläge5 und stehe mit mir in einem persönlichen Vertrauensverhältnis. Auf Grund dieser Aussagen informierte ich lediglich Herrn Bundespräsident Tschudi, der mit mir fand, dass es falsch gewesen wäre, das Begehren des Herrn Brown abzuschlagen.
Anlässlich des Gesprächs präsentierte er mir, wie das schon bei früherer Gelegenheit der Fall gewesen war, auch Fragen der englischen Innenpolitik. Er war offensichtlich sehr besorgt um die politische Entwicklung, da die Labour-Partei, trotz einer auf drei M. P. zusammengeschrumpften Mehrheit, zur Zeit eine sehr unpopuläre Deflationspolitik führen müsse. Dies hätte bereits zu einer gewissen Arbeitslosigkeit geführt. Damit im Zusammenhang stünde auch die Stellungnahme der Regierung gegenüber den farbigen Arbeitern aus dem Commonwealth. Die Emotionen auf diesem Gebiet wurden durch die zwei Niederlagen von Gordon-Walker illustriert. Aber die Regierung kann schon in Rücksicht auf die grosse Mehrheit der farbigen Länder im Commonwealth, dann aber auch wegen des Umstandes, dass die Commonwealth-Immigranten Arbeiten verrichten, die von den Engländern nicht mehr verrichtet werden wollen, keine Politik der geschlossenen Tür verfolgen. Im Gegenteil werde es nötig werden, aus menschlichen Gründen im Nachzug der Familien liberaler zu sein. Das bedeute in absehbarer Zukunft den potenziellen Nachzug von 500’000 farbigen Familien aus dem Commonwealth.
Als unmittelbar in Aussicht genommene Massnahmen, zu denen er meine Stellungnahme erwartete, nannte er die Legalisierung des Gentlemen’s Agreement zwischen den Gewerkschaften und der Industrie betreffend Lohnforderungen und Preiserhöhungen. Dieses Gentlemen’s Agreement, das er mit grosser Mühe zustande gebracht hatte, funktioniere nicht befriedigend, so dass sich die Regierung eine direkte Interventionsmöglichkeit schaffen müsse. Zu diesem Zweck sei beabsichtigt, dass alle Lohnforderungen und -absichten für Preiserhöhungen der Regierung obligatorisch gemeldet werden müssten.
Ich machte Herrn Brown darauf aufmerksam, dass eine solche Lösung der Regierung eine schwere, kaum zu bewältigende Aufgabe aufbürde. Ich machte ihn mit unserem auf dem Friedensabkommen von 1937 basierenden System bekannt, das die Verantwortung den Sozialpartnern überlasse. Wo der Bundesrat in diesen Fragen direkt zu entscheiden habe, so in der Festsetzung des Milchpreises, erwüchsen ihm aus dieser unerwünschten Befugnis die allergrössten Schwierigkeiten, und ich befürchte, dass solche auf Grund der geplanten Lösung für die britische Regierung in noch viel höherem Masse auftreten würden.
Eine weitere Frage beträfe die Absicht eines 5-Jahres-Planes. Dieser sollte einen mittleren Zuwachs des Bruttosozialproduktes um jährlich 3,8% vorsehen. Im Laufe der Darlegungen Browns wurde mir die dahinter steckende politische Absicht klar. Er sagte nämlich, dass für die beiden ersten Jahre ein Zuwachs von höchstens 2,5–2,8% vorausgesagt werden könne, so dass die drei späteren Jahre wesentlich über dem Durchschnitt von 3,8% liegen müssten. Ich stellte hier lediglich die Frage, ob der Plan auf der Annahme basiere, dass in der allgemeinen Weltkonjunktur keine Änderungen eintreten oder ob auch mögliche Rückschläge berücksichtigt seien. Herr Brown gab zu, dass in dieser Hinsicht die optimistischsten Erwartungen zugrunde gelegt worden seien.
Die weiteren Erörterungen galten der Stellungnahme der britischen Regierung in der europäischen Integration und insbesondere ihrer Absichten für die auf Ende Oktober festgelegte EFTA-Konferenz in Kopenhagen6. Ich brauche hier unsere Gespräche über die Ursachen und den möglichen Ausgang der EWGKrise7, die Haltung de Gaulles und die Zukunft der EWG-Kommission nicht festzuhalten, da man ohnehin auf allen diesen Gebieten auf Mutmassungen angewiesen ist. Dagegen sollen die Gespräche über die Zukunft der EFTA8 und die anlässlich der bevorstehenden Konferenz noch festzulegende britische Stellung festgehalten werden.
Herr Brown sagte mir, die britische Regierung beabsichtige, in Weiterverfolgung ihrer Wiener Initiative9 vom vergangenen Frühjahr, wiederum einen Vorstoss in der Richtung einer Verständigung mit der EWG vorzunehmen. Meine Stellungnahme zu dieser Absicht war völlig negativ10. Ich machte Herrn Brown darauf aufmerksam, dass die EWG in einer so tiefen Krise stecke, dass weder von seiten der Kommission noch von der des Ministerkomitees irgendwelche Reaktionen erwartet werden können. Unter diesen Umständen sei es unwürdig für die EFTA und es würde ihrem Ansehen in der Welt schaden, wenn erneut ein Vorstoss gemacht würde, der sicher resultatlos bliebe. Viel wichtiger schiene mir das Gespräch über die innere Stärkung der EFTA, und da müsste sich die britische Regierung darauf gefasst machen, dass von allen Partnerländern11 die Frage des Zollzuschlages wieder aufgegriffen würde. Bevor dieser Punkt erledigt sei, blieben nach meiner Auffassung alle Anstrengungen zur innern Stärkung der EFTA illusorisch.
Unter Bezugnahme auf die mir vorgängig geschilderten wirtschaftlichen und währungspolitischen Schwierigkeiten Englands, sagte mir Herr Brown, dass die Ankündigung einer Aufhebung des Zollzuschlages, auch nur teilweise, kaum in Betracht kommen könne. Dagegen beschäftige sich die englische Regierung mit dem Gedanken, für gewisse Zollpositionen Kontingente einzuführen. Er bezog sich dabei auf den Umstand, dass man seinerzeit an der Konferenz in Genf12 bei der Kritik der Zollzuschläge gesagt hätte, solche Kontingentierungen wären vorzuziehen gewesen.
Ich antwortete, dass dies in dieser absoluten Form nicht zutreffe. Die EFTA-Partner hätten in Genf geltend gemacht, dass im äussersten Notfall eine Kontingentierung wenigstens konform der EFTA-Konvention13 gewesen wäre, während die Zollzuschläge einen Bruch bedeuteten. Ich befürchte sehr, dass eine solche Absicht der britischen Regierung in diesem Zeitpunkt auf grosse Widerstände stossen würde und dass überdies gemäss der Konvention Verhandlungen mit den EFTA-Partnern über jede einzelne Zollposition nötig würden. Brown nahm diese Erklärungen zur Kenntnis, ohne sich näher über die endgültigen Absichten zu äussern.
Ich machte ihn dann darauf aufmerksam, dass trotz der mannigfachen Schwierigkeiten, die sich in den letzten Monaten aufgehäuft haben, die Behandlung der Kennedy-Runde14 in Kopenhagen einen breiten Raum einnehmen sollte. Gerade weil durch die EWG-Krise eine direkte Verständigung wiederum weiter in die Ferne gerückt sei, müsse diese Möglichkeit, den Graben zwischen EFTA und EWG wenigstens teilweise auszufüllen, im vollen Umfange benutzt werden.
In diesem Zusammenhang erkundigte ich mich auch über die Absichten Englands hinsichtlich der Notifizierung der Absichten auf dem Agrarsektor15, die am 16. September nächsthin stattfinden sollte. Über diesen Punkt war Herr Brown nicht orientiert.
Abschliessend bat er mich, ihm in einem Memorandum die schweizerischen Wünsche für die Haltung Englands in Kopenhagen bekanntzugeben. Ich versprach ihm, das versuchen zu wollen, obschon es sich um ein ungewöhnliches Vorgehen handelt. In einer Unterredung mit Herrn Bundesrat Schaffner von Donnerstag, den 2. September, wurde dann vereinbart, dass ich diese Auskünfte Herrn Brown im rein persönlichen Namen gebe16, um für den Bundesrat keine Verpflichtungen zu schaffen. Dementsprechend war es notwendig, die Herren Minister Stopper, Long und Jolles zu orientieren17, damit sie mir die nötigen Unterlagen beschaffen können.
Des Interesses halber sei noch erwähnt, dass Herr Brown einen ähnlichen Kontakt mit Minister Gunnar Lange herstellen wollte, währenddem er Hemmungen zu haben schien, sich auch mit Minister Haekkerup, dem derzeitigen Präsidenten der EFTA-Ministerkonferenz, in Verbindung zu setzen. Offenbar bestehen wesentliche Unterschiede im Vertrauensverhältnis zwischen den sozialistischen Ministern verschiedener Länder.
Endlich sei erwähnt, dass ich Herrn Brown über die Reaktion der Labour-Partei zur Bestimmung von Edward Heath als Leader der Opposition fragte. Zu meinem Erstaunen sagte er, dass man mit Heath zufrieden sei. Der meistgefürchtete Kandidat vom «Labour Standpoint» sei MacLeod gewesen, gefolgt von Maudling, während man Heath am wenigsten fürchtete.
- 1
- Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 728 (B.15.50). Handschriftliche Marginalie: Kopien vernichtet.↩
- 2
- Beigelegte handschriftliche Notiz von F.T. Wahlen: Auf die Notiz noch schreiben geheim und Datum einfügen.↩
- 3
- Bd. 23Dok. 65, dodis.ch/31417.↩
- 4
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 186 vom 29. Januar 1965, dodis.ch/31437.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 56, dodis.ch/31416.↩
- 6
- Vgl. dazu Doss. E 2004(-) 1971/2 Bd. 42 (065.3).↩
- 7
- Vgl. dazu die Notiz von J. Iselin vom 11. September 1965, dodis.ch/31645; das Telegramm Nr. 22 von M. Troendle an das Politische Departement vom 11. Februar 1966, dodis.ch/31574; die Notiz des Integrationsbüros Die EWG-Krise vom Juni 1965 vom 23. August 1965, E 2001(E)1978/84 Bd. 324 (C.41.775) und die Notiz von P.-H. Würth vom 28. September 1965, J 1.223 1000/1318(-) Bd. 28 (3.06.2).↩
- 8
- Zur EFTA vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 172, dodis.ch/31640, bes. Anm. 10.↩
- 9
- Zur britischen Initiative für die Bildung eines EFTA- EWG-Rats vgl. das Telegramm Nr. 78 der schweizerischen Botschaft in London an das Integrationsbüro vom 20. Mai 1965, E 2001(E) 1978/84 Bd. 325 (C.41.775.3). Allgemein zur EFTA-Konferenz in Wien vom 24. und 25. Mai 1965 vgl. das BR-Prot. vom 18. Mai 1965, dodis.ch/31627; das Rundschreiben der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements an alle diplomatischen Vertretungen vom 10. Juni 1965, dodis.ch/31936 und das BR-Verhandlungsprot. der 36. Sitzung vom 18. Mai 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 2.↩
- 10
- Zur schweizerischen Haltung vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 140, dodis.ch/31618.↩
- 12
- Für die Konferenz in Genf vom 19.–20. November 1964 vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 65, dodis.ch/31417, Anm. 11.↩
- 13
- Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) vom 4. Januar 1960, AS, 1960, S. 590–792.↩
- 14
- Zur Kennedy-Runde vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 1, dodis.ch/30938, Anm. 8.↩
- 15
- Vgl. Doss. wie Anm. 6.↩
- 16
- Schreiben von F. T. Wahlen an G. Brown vom 21. September 1965, dodis.ch/31426.↩
- 17
- Vgl. das Schreiben von H. Bühler an F. T. Wahlen vom 13. September 1965, Doss. wie Anm. 1.↩
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