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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 23, Dok. 77
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2804#1971/2#126* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2804(-)1971/2 8 | |
Dossiertitel | Notizen an Abteilungen des EPD in den Jahren 1961-1965 (1961–1965) | |
Aktenzeichen Archiv | 023.14 |
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1978/84#7248* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1978/84 491 | |
Dossiertitel | Roll-back und Kennedy Runde (1964–1967) | |
Aktenzeichen Archiv | C.41.111.0.Uch.1 • Zusatzkomponente: Vereinigte Staaten von Amerika |
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2806#1971/57#168* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2806(-)1971/57 10 | |
Dossiertitel | U.S.A. (Etats-Unis d'Amérique) (1961–1970) | |
Aktenzeichen Archiv | 17-101 |
dodis.ch/30957
Besprechung mit Aussenminister Dean Rusk vom 9. April 1965 in Genf2
Nachdem bekannt wurde, dass Dean Rusk sich kurz zu einem Treffen mit den nahöstlichen USA-Botschaftern in Genf einfinden werde, liess ich über die amerikanische Botschaft sondieren, ob eine kurze Begegnung möglich wäre. Die Antwort lautete durchaus positiv, so dass ich den Aussenminister am 9. April um 15 Uhr in Genf sprechen konnte. In Rücksicht auf seinen kurzen Aufenthalt und seine starke Beanspruchung versuchte ich, die Unterredung so kurz wie möglich zu halten. Sie dauerte immerhin 45 Minuten und Dean Rusk sagte mir beim Abschied, er hätte die Unterredung gerne noch verlängert, verstehe jedoch meine Rücksichtnahme auf seine Verpflichtungen.
Ich erklärte meinem Gesprächspartner einleitend, dass das mich unmittelbar interessierende Problem die Uhrensituation4 betreffe. Ich sei mir bewusst, dass die Behandlung des Geschäftes Herrn Herter obliege, lege aber doch Wert darauf, ihn über einige Aspekte zu orientieren, die nach meiner Ansicht weit über die bilateralen Interessen hinausgingen und die den Erfolg der Kennedy-Runde5 und damit auch gewisse Rückwirkungen auf die europäische Integration6 beträfen. Dean Rusk sagte, dass er nicht in der Lage gewesen sei, dieses Geschäft irgendwie im Detail zu verfolgen. Er hatte offenbar auch eine Notiz nicht lesen können, die ihm die amerikanische Botschaft in Bern vorbereitet hatte. Ich schloss dies aus der Beantwortung Rusks einer Frage des anwesenden Botschaftsrates Kellermann. Aus diesem Grunde ging ich in meinen Ausführungen einigermassen ins Detail. Sie seien stichwortartig wie folgt zusammengefasst:
19547: Anwendung der «escape-clause»8 durch die Administration Eisenhower, damit eine Erhöhung der Uhrenzölle um 50%, so dass sie wenigstens 50%, in einigen wichtigen Kategorien, 65% ad valorem betrugen. – Hinweis auf die vielen Vorstellungen unsererseits von diesem Zeitpunkt an. – Der neue Aspekt der Frage, der durch den «Trade Expansion Act» eingeführt wurde. – Unsere Verhandlungen für einen «roll-back» im Jahr 19639. – Den Hinweis darauf, dass die Kennedy-Runde der ganzen Frage einen ausgesprochen multilateralen Aspekt verleiht. Nachdem wir als erstes Land die amerikanische Offerte auf der ganzen Linie und ohne jede Ausnahme honorierten, sei uns nun daran gelegen, dass wir nicht den Vereinigten Staaten gegenüber den Gegenwert der rund 65-Mio.-Dollar-Uhrenexporte aus Reziprozitätsgründen von unserer Offerte zurückziehen müssten. Dies hätte notwendigerweise Reperkussionen auf andere Länder und würde den Erfolg der Kennedy-Runde schwer beeinträchtigen.
Obschon die Schweiz ein sehr kleines Land sei, habe sie doch in dieser Angelegenheit ein unproportional hohes Gewicht. Ich wies darauf hin, dass sie in bezug auf die Importe aus den EWG-Ländern mit den 2 Mia. $ an zweiter Stelle stehe (USA 2,4 Mia. $, U. K. 1,8 Mia. $). Wir hätten also ein gewisses «bargaining power», und da wir bereit seien, es im Sinne der Absichten der USA einzusetzen, hätten auch die USA ein Interesse, uns nicht daran zu hindern.
In diese Situation hinein sei nun der Auftrag Präsident Johnsons erfolgt, die «defense essentiality» der amerikanischen Uhrenindustrie erneut zu prüfen. Wir legten uns Rechenschaft darüber ab, dass diese Verfügung positive Seiten aufweise, insofern als der Zeitpunkt der Untersuchung und ihre Dauer nun vom Willen des Präsidenten abhänge und nicht in das Ermessen der Protektionisten gestellt sei. Trotzdem bereite uns die Verzögerung Sorgen. 1967 werde die Vollmacht des Präsidenten unter dem «Trade Expansion Act» dahinfallen. Zu den sechs Monaten, die für die Prüfung der «defense essentiality» eingeräumt seien, kommen dann noch die «hearings» über den «roll-back». Das sei der Grund, warum ich meinen Gesprächspartner dringend bitte, dafür zu sorgen, dass keine weiteren Verzögerungen eintreten, da im andern Falle die oben dargelegte Gefährdung der Kennedy-Runde unvermeidlich sei.
Dean Rusk hörte aufmerksam zu und unterbrach mich wiederholt mit Fragen. Er bat Herrn Kellermann, ihm meine Darlegungen möglichst ausführlich zu unterbreiten. Er werde nicht verfehlen, sie mit den zuständigen Stellen, namentlich Herrn Herter, zu besprechen.
Im Anschluss daran entwickelte sich ein Gespräch über die europäische Integration10. Mit den allgemein bekannten Argumenten machte ich den Staatssekretär mit unseren Sorgen über die Folgen einer dauernden wirtschaftlichen Zwei-Teilung Europas bekannt und unterstrich unsere Enttäuschung darüber, dass trotz immer wiederholter Zusicherung über die liberale Haltung der EWG gegen aussen ein deutliches Zunehmen der protektionistischen Tendenzen zu konstatieren sei. Dean Rusk fügte bei, dass er diese Entwicklung aus den Schwierigkeiten der amerikanischen Agrarexporte nur zu gut kenne.
Als dritter Gesprächspunkt kam ich auf die behauptete Xenophobie der Schweiz zu sprechen, von der er sicher auch gehört habe. Dean Rusk sagte lachend, dass er tatsächlich nicht sicher gewesen sei, ob man ihm die Landung im Genfer Flughafen erlauben werde.
Durch gewisse Grössenvergleiche (Zahl der Fremdarbeiter in den Vereinigten Staaten, falls sie das gleiche Verhältnis zur Bevölkerung erreichen sollte wie in der Schweiz) etc., durch den Hinweis darauf, dass die wirkliche Xenophobie nur in ganz beschränkten Bevölkerungskreisen auftrete, vergleichbar etwa mit dem «Ku-Klux-Klan» in den Vereinigten Staaten, mit einer Schilderung der Verhältnisse in Genf, unter Hinweis auf das Referendum vom 4. April11 suchte ich die offenbar irrigen Vorstellungen des Staatssekretärs auf die richtigen Proportionen zurückzuführen, was offensichtlich gelungen ist.
Aus dem gleichen Zusammenhang hinaus, kam ich dann auf den Sitz der UNCTAD12 zu sprechen und erklärte, dass wir an sich keineswegs an diesem Zuwachs interessiert seien, aber unter dem Sitz-Abkommen nicht in der Lage wären, eine ablehnende Haltung einzunehmen. Ich informierte ihn auch über die Pläne, wenn möglich den Sitzbereich internationaler Organisationen über die Grenzen Genfs hinaus auszudehnen.
Dean Rusk erkundigte sich dann nach der Ansicht der Schweizerregierung zum Problem Vietnam13, nachdem er vorher Herrn Kellermann gebeten hatte, diese und die nächste Frage nicht in seinen Notizen zu wiederholen. Ich sagte ihm, dass ich ihm unter diesen Verhältnissen gerne meine persönliche Auffassung zur Kenntnis gebe. Wiewohl die Geschichte nicht in jeder Beziehung eine Lehrmeisterin sein könne, bestünden für mich gewisse Parallelen zwischen der heutigen Situation in Südostasien und der Situation in Europa in den dreissiger Jahren, als die Nationalsozialisten ins Rheinland14 einmarschierten und später das Protektorat über die Tschechoslowakei15 errichteten. Wäre damals Frankreich und England eingeschritten, wie es eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre, so wäre es möglicherweise nicht zur Katastrophe von 1939 gekommen. Würden die Vereinigten Staaten Südvietnam fallen lassen, so könnte sich in Südostasien eine ähnliche Kettenreaktion abspielen, die dann – um die geschichtliche Parallele zu wahren – zu einem neuen Krieg führen könnte, im Moment, da ein in einem völlig kommunistisch gewordenen Südostasien isoliertes Japan schutzbedürftig würde, wie 1939 Polen es wurde.
Dean Rusk kam dann auf de Gaullezu sprechen und wiederholte seine Weisung an Herrn Kellermann, dass von diesem Gespräch nichts festzuhalten sei. Er äusserte sich in bitterster Form über die de Gaull’sche Politik und sagte abschliessend, der General gebe sich einer groben Täuschung hin, wenn er sich vorstelle, die Vereinigten Staaten würden sich je zum Satelliten Europas degradieren lassen.
Ausgehend von den Differenzen in der westlichen Politik, unterhielten wir uns noch kurz über die Aussichten der UNCTAD16 und die Wünschbarkeit des Findens einer einheitlichen Linie unter den westlichen Industriestaaten.
Abschliessend dankte ich dem Staatssekretär für die Unterredung. Er gab seinerseits der Hoffnung Ausdruck, dass sie in möglichst kurzer Frist eine Fortsetzung finden möchte. Ich hatte einleitend gesagt, meine einzige Entschuldigung für die Störung trotz seines äusserst stark belasteten Zeitplanes sei die, dass ich ihn nicht wie andere Aussenminister mit häufigen Besuchen in Washington beschwere. Er kam auf diese Bemerkung zurück, mit der Einladung, ich möchte mich doch bei Gelegenheit in Washington zeigen17.
- 1
- Notiz: E 2804(E) 1971/2 Bd. 8 (14.4).↩
- 2
- Zu dieser Besprechung vgl. auch das BR-Verhandlungsprot. der 28. Sitzung vom 13. April 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 4–5.↩
- 4
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 11, dodis.ch/30947; Dok. 33, dodis.ch/30948; Dok. 76, dodis.ch/30950 und Dok. 110, dodis.ch/30954.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 1, dodis.ch/30938, Anm. 8.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 136, dodis.ch/31944; Dok. 140, dodis.ch/31618 und Dok. 172, dodis.ch/31640.↩
- 8
- Zur «escape-clause» vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 11, dodis.ch/30947, Anm. 4.↩
- 9
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 76, dodis.ch/30950, Anm. 13.↩
- 10
- Vgl. Anm. 6.↩
- 11
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 50, dodis.ch/31620.↩
- 12
- Zur Sitzfrage der UNCTAD vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 111, dodis.ch/31695.↩
- 13
- Zu den diplomatischen Beziehungen der Schweiz mit Süd- und Nordvietnam vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 43, dodis.ch/31039 und Dok. 116, dodis.ch/31154. Zu den Reaktionen der Schweiz auf den Vietnamkonflikt vgl. die Notiz vom 23. Juni 1964, dodis.ch/18901; den Bericht von A.-L. Natural vom 25. Januar 1966 Plaidoyer pour une prise de position, dodis.ch/31179; das Telegramm Nr. 10 des Politischen Departements an die schweizerische Botschaft in Rom vom 2. Februar 1966, dodis.ch/31192; die Notiz von P. Micheli an W. Spühler vom 6. Juni 1966, dodis.ch/31609; die Notiz von H. Kaufmann vom 20. Juni 1966, dodis.ch/31172; das BR-Prot. Nr. 1347 vom 15. Juli 1966, dodis.ch/31178 und das Schreiben von H. Zimmermann an F. Schnyder vom 28. November 1966, dodis.ch/31167.↩
- 14
- Vgl. DDS, Bd. 11, Dok. 339, dodis.ch/46260.↩
- 15
- Vgl. DDS, Bd. 13, thematisches Verzeichnis: 16. Tchécoslovaquie, Etat slovaque, Protectorat de Bohême et Moravie.↩
- 16
- Vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 45. Sitzung vom 15. Juni 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 4–5: H. Schaffner ist überzeugt, dass die Welthandelskonferenz doch noch zu einem Ergebnis kommen werde, wobei F. T. Wahlen bemerkt, dass diese Konferenz einmal mehr unser Verhältnis zur UNO in Frage stelle. F. T. Wahlen befürchtet zudem, dass man immer mehr in eine Sonderstellung gerate, die uns einmal zwingen werde, unsere Einstellung zu wechseln. Das sollten wir noch aus freiem Willen tun und nicht unter dem Zwang der Verhältnisse.↩
- 17
- Allgemein zu Staatsbesuchen und Arbeitstreffen vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 108, dodis.ch/31397, Anm. 6.↩
Tags
Vereinigte Staaten von Amerika (USA) (Wirtschaft)
Vereinigte Staaten von Amerika (USA) (Allgemein) Uhrenstreit mit den USA (1946–1975)