Wie gemeldet2, empfing mich Staatssekretär Rusk gestern, am ersten Tag nach meinem Eintreffen in Washington, zu meiner Antrittsvisite. Im Lauf unserer kurzen aber betont freundlichen Unterhaltung berührte er zwei wichtige Fragen und äusserte sich dabei in einer Weise, die Sie vielleicht interessieren wird:
Nach einem Hinweis auf meine Tätigkeit im Schosse der UN stellte er mir inoffiziell – nur gesprächsweise, wie er sagte – die Frage, ob es der Schweiz konstitutionell möglich wäre, der Weltorganisation beizutreten3. Ich bemerkte dazu, dass es sich für die Schweiz, die seinerzeit dem Völkerbund4 angehört habe, nicht so sehr um eine Grundsatz- als vielmehr um eine Frage der praktischen Realitäten handle, die übrigens gerade jetzt in der schweizerischen Öffentlichkeit mit einigem erneutem Interesse diskutiert worden sei. Bisher habe in der Schweiz die Auffassung vorgeherrscht, dass unter den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen die formelle Nicht-Mitgliedschaft (die keineswegs etwa ein Desinteressement bedeute) sich sowohl vom Gesichtspunkt der Wahrung der Interessen des Landes selbst als auch im Hinblick auf die Leistung «guter Dienste» aufdränge, wie sie z. B. seinerzeit im Fall des Konflikts zwischen Frankreich und dem um seine Unabhängigkeit kämpfenden Algerien5 möglich waren. Oder nun, wie Rusk einwarf, im Falle Kuba6.
Eine weitere Bemerkung des Staatssekretärs gab mir Gelegenheit, das intensive schweizerische Interesse an der Kennedy-Runde7 zu betonen. Rusk, der sich dieser Tatsache durchaus bewusst war, äusserte mit tiefem Ernst die Hoffnung, dass die europäischen Staaten, in der Auseinandersetzung um eigene Gegensätze befangen, nicht diese historisch einmalige Gelegenheit zu einer Liberalisierung des Welthandels verpassen möchten. Es sei höchst bemerkenswert, dass es Kennedy gelungen sei, die fragliche Gesetzgebung, die wichtigste seit Jahrzehnten, im Kongress durchzubringen. Umso mehr wäre es zu bedauern, wenn die in dieser Gesetzgebung vorgesehenen Liberalisierungsmöglichkeiten nicht rechtzeitig realisiert werden könnten. Niemand könne voraussagen, ob im Kongress, wenn die nun gebotene Gelegenheit nicht innerhalb der gesetzten Frist ausgenützt würde, nicht wieder protektionistische Tendenzen die Oberhand gewinnen würden.
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