Wegen französischer Beschlagnahme von Maschinen der schweizerischen «Aluminium G.m.b.H» in Deutschland. Demarchen in Paris und Baden-Baden.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 70
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1968/154 42 |
dodis.ch/1989
Notiz des Politischen Departements über die Sitzung der Ständigen Wirtschaftsdelegation1
BETRIFFT ALUMINIUM G. M. B. H. RHEINFELDEN
Bei der Sitzung der Ständigen Wirtschaftsdelegation vom 3. Mai 1946 um 09.00 Uhr bei Herrn Direktor Hotz von der Handelsabteilung kam die Frage des französischen Zugriffes auf die sechs Gleichrichter beim Aluminiumwerk in Rheinfelden zur Sprache (siehe hiezu Aktennotiz vom 30. April 19462).
Anwesend waren neben Herrn Direktor Hotz, Herr Direktor Homberger und Herr Legationsrat Kappeler sowie die Herren Dr. Probst, Bonhôte, Marti und Lüthi von der Handelsabteilung, ferner die Herren Lusser und Etienne vom Eidgenössischen Amt für Elektrizitätswirtschaft sowie Herr Direktor Burger von der Verrechnungsstelle und Herr Dr. Egli vom Eidgenössischen Politischen Departement, auch der Unterzeichnete.
Herr Direktor Hombergerleitete die Diskussion kurz ein. Er machte auf die grosse Bedeutung der auf dem Spiele stehenden schweizerischen Interessen aufmerksam, streifte kurz die früher erfolgten Requisitionen (Enlèvements) von Rohmaterialien und Fertigwaren und erwähnte, dass die Wegnahme wertvollster Maschinen wie die sechs in Frage stehenden Gleichrichter eine äusserst empfindsame Angelegenheit sei. Wenn schon gegen die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz betreffend die Zerstörung des Rüstungspotentials in Deutschland und der Ausrottung gewisser Industrien wie die der Aluminiumerzeugung grundsätzlich nichts unternommen werden könne, so müsse doch mit aller Energie danach getrachtet werden, das Eigentum der betroffenen Schweizer Unternehmungen, in vorliegender Sache also der Aluminiumwerke, herauszubekommen. Die französische Haltung, die vollständig gegen die schweizerische Rechtsauffassung verstosse, müsse abgelehnt werden. Herr Direktor Homberger erkundigte sich nach dem Stand der Démarche des Politischen Departements.
Der Unterzeichnete als Vertreter des Politischen Departements gab erschöpfend Auskunft über die seit der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten zum Schutze des schweizerischen Eigentums und vor allem der grossen schweizerischen Industrieunternehmungen ergriffenen Massnahmen (Aufstellung genauer Listen im Benehmen mit dem Vorort, Weitergabe dieser Listen über Paris, London und Washington sowie die massgebenden Konsulate in Deutschland3, Verhandlungen mit Wirtschaftsdelegationen aus Baden-Baden im Oktober und November4, besondere Verhandlungen in Paris im November 19455 usw.). Während im allgemeinen das schweizerische Eigentum respektiert worden sei und die Franzosen in Baden-Baden zum Verzicht auf Requisitionen bei den Textilindustrien hätten gebracht werden können, so seien die gegen die Aluminium G. m. b. H. in Rheinfelden gerichteten Massnahmen bis jetzt nicht zu umgehen gewesen. Betroffen sei vorläufig nur die Firma in Rheinfelden, währenddem die Singener Werke nicht angetastet wurden. Es liege diesbezüglich sogar eine französische Mitteilung aus kürzester Zeit vor, wonach Singen nicht behelligt werden solle. Hingegen sei sowohl aus Paris6 wie aus Baden-Baden bekannt geworden, dass nunmehr im Rahmen der Potsdamer Beschlüsse7, zur Ausrottung gewisser Industrien, verbunden mit Reparationsmassnahmen, neben den Aluminiumwerken in Rheinfelden auch noch andere schweizerische Industrien in Mitleidenschaft gezogen werden sollen. Das Departement und die Gesandtschaft seien damit beschäftigt, hierüber Näheres zu vernehmen.
Als zu Beginn des Monats April die Franzosen aus Baden-Baden auf die sechs Gleichrichter aspiriert hätten, seien sofort das Amt für schweizerische Interessen in Baden-Baden sowie die Schweizerische Gesandtschaft in Paris mobilisiert worden. An beiden Orten wurden die nötigen Démarchen unternommen8.
In Paris gehen sie zur Zeit noch weiter. Nachdem die Gleichrichter in aller Hast am 7. April 1946 (Sonntag) weggebracht (Bestimmung Frankreich) worden seien, müsse nunmehr das Hauptaugenmerk auf die Rückgabe dieser Maschinen gerichtet werden. Dies sei ausserordentlich schwer zu erreichen, da sich die Franzosen auf das Argument stützen, die Werke in Rheinfelden seien ein ausgesprochener Rüstungsbetrieb gewesen, und es würden im übrigen bei gleicher Situation auch alliierte Unternehmungen nicht geschont. Der schweizerische Rechtsstandpunkt (Beanspruchung des Eigentums) werde mit aller Entschiedenheit aufrecht erhalten werden; hingegen hätten die Erfahrungen gezeigt, dass nach einer praktischen Lösung gesucht werden müsse. Zu diesem Zwecke sei das Departement auch schon an die Aluminium-Industrie-Aktiengesellschaft in Lausanne herangetreten.
Die Gesandtschaft in Paris (Herr Minister Burckhardt habe persönlich in der Sache interveniert) werde auch noch mit Herrn Rueff, dem Direktor der französischen Reparationsstelle und Präsidenten der alliierten Reparationskommission, Fühlung nehmen, um Näheres über den Plan bezüglich der Beeinträchtigung weiterer schweizerischer Unternehmungen zu erfahren, sowie um den schweizerischen Standpunkt darzulegen9. Im übrigen werde das Amt für schweizerische Interessen in Baden-Baden, auf Grund einer im französischen Aussenministerium erhaltenen Auskunft, angewiesen werden, mit dem juristischen Beirat der Militärregierung in Baden-Baden, Herrn Botschafter de Saint-Hardouin, Fühlung zu nehmen, der ein Vertrauensmann des Quai d’Orsay sei. Ob er allenfalls gegenüber den Militärs in Baden-Baden durchdringe, sei sehr fraglich. Immerhin werde er durch die Unterrichtung seitens unserer Vertretung in Baden-Baden in die Lage versetzt, den Quai d’Orsay in Paris jeweils auf dem laufenden zu erhalten.
Der Fall der Aluminium sei von jeher besonders heikel gewesen, weil die Rüstungsfrage und der deutsche Einfluss von französischer Seite stets hervorgehoben wurden. Dass die Besonderheiten dieses Falles keine Rolle spielen, geht indirekt auch aus der in der Sache der Brown, Boveri & Cie. Mannheim-Eberbach erzielten günstigen Lösung hervor. Hier gelang es nämlich dem Departement bzw. dem Konsulat in Frankfurt, im Benehmen mit Vertretern der BBCBaden die Alliierten von ihrem Plan der Zerstörung und Ausräumung des Werkes abzubringen. Auch beim Martinswerk in Köln der Aluminium-Industrie-Aktiengesellschaft sei bis jetzt eine entscheidende Phase nicht eingetreten10. Mit dieser Sache beschäftige sich das Departement ebenfalls und stehe mit dem Herrn Direktor Hardmeyer von der Aluminium in Lausanne in Verbindung.
Herr Direktor Hotzstellt fest, dass die Interessenwahrung in vorliegender Sache dem Politischen Departement obliege und nach den Darlegungen des Vertreters dieses Departementes bis jetzt alles unternommen worden sei. Die Handlungsweise der Franzosen sei absolut inakzeptabel. Daran müsse bei späterer Gelegenheit gedacht werden. Mit Fürsprecher Martivon der Handelsabteilung ist er der Auffassung, dass gegenwärtig keine Möglichkeit besteht, den Fall der Aluminium G. m. b. H. mit Wirtschaftsverhandlungen zu verknüpfen. Diese Frage wurde nämlich von Herrn Etienne sowie vom Unterzeichneten gestellt. Auch Herr Legationsrat Kappeler frug sich, ob nicht irgendwelche Möglichkeiten bestünden, an die Franzosen ausserhalb des diplomatischen Weges zu gelangen.
Herr Direktor Hombergerdankte dem Politischen Departement für die Verfolgung der Angelegenheit und drückte den Wunsch aus, es möge auch weiterhin auf Grund des Rechtsstandpunktes (Beanspruchung des schweizerischen Eigentums) alles getan werden, was möglich sei.
Herr Etiennehob besonders hervor, dass er rein privat von Bekannten aus Baden-Baden von der vorliegenden Sache gehört habe. Der französische Oberstleutnant Fargaux in Baden-Baden habe das Vorgehen sehr bedauert. Französischerseits sei man aber auf Gleichrichter angewiesen gewesen, um die Elektrizitätsproduktion in St. Maurienne11 auszunützen. Erkundigungen in Oerlikon und bei der BBC nach Lieferung von Gleichrichtern (wegen der Lieferfristen) hätten kein befriedigendes Resultat ergeben. Man sei deshalb auf die Gleichrichter der Aluminium G. m. b. H. Rheinfelden gefallen. Die rasche Abmontierung sei im Zusammenhang gefallen mit den technischen Bedürfnissen in St. Maurienne. Weiter machte Herr Etienne auf den Rüstungscharakter der Rheinfelder Firma aufmerksam, der von französischer Seite sehr hervorgehoben werde.
Es wird folgendes zu unternehmen sein:
1. Sofortiges Schreiben nach Baden-Baden12 zwecks Fühlungnahme mit Herrn de Saint-Hardouin unter Orientierung des Amtes für schweizerische Interessen vom Schreiben der Gesandtschaft in Paris vom 30. April 1946.
2. Unterrichtung der Schweizerischen Gesandtschaft in Paris, unter Bestätigung ihres Schreibens vom 30. April 1946 von der Konferenz vom 3. Mai 1946, wobei auf die Unterredung des Herrn Bauer mit dem Unterzeichneten vom 29. April 1946 Bezug zu nehmen ist. Die Gesandtschaft muss im übrigen angewiesen werden, die Sache mit aller Entschiedenheit weiterzuverfolgen (Herr Minister Burckhardt sollte sich persönlich dafür verwenden) und den schweizerischen Rechtsstandpunkt, d. h. den Anspruch auf das schweizerische Eigentum, zu betonen.
3. Unterrichtung der Aluminium-Industrie-Aktiengesellschaft in Lausanne unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 1. Mai 1946 von der gegenwärtigen Sachlage und den neuen Schritten. Dabei ist die Frage der Entsendung einer Delegation nach Baden-Baden anzuschneiden, wovon übrigens auch das Amt für schweizerische Interessen in Baden-Baden zu verständigen ist.
4. Unterrichtung von London und Washington (Hier eventuell zuhanden der schweizerischen Delegation Stucki) von der Sachlage unter Aufwerfung der Frage, ob nicht vielleicht die Alliierten bei Frankreich irgendeinen Einfluss auf die Sache der Aluminium auszuüben vermögen13.
- 1
- (Kopie): E 2001 (D) 1968/154/42. Paraphe: PN.↩
- 2
- Vgl. E 2001 (D) 1968/154/159.↩
- 3
- Zu den Listen und ihrer Weitergabe vgl. E 2001 (D) 1968/154/54.↩
- 4
- Vgl. E 7110/1967/32/900Deutschland/14.↩
- 5
- Vgl. E 2001 (D) 1968/154/55.↩
- 6
- Das Dossier der schweizerischen Gesandtschaft in Paris zur Aluminium G. m. b. H. beginnt erst im Oktober 1946; die Akten der vorangegangenen Phase fehlen. Vgl. E 2200 Paris 1970/245/152.↩
- 7
- Zur schweizerischen Einschätzung der Potsdamer Konferenz vgl. den Rapport sur les événements de politique étrangère entre le 1er et le 20 août 1945, E 2001 (E) 1968/196/1.↩
- 8
- Vgl. E 2001 (D) 1968/154/159.↩
- 9
- Ebd.↩
- 10
- Vgl. E 2001 (D) 1968/154/158.↩
- 12
- Vgl. E 2001 (D) 1968/154/159.Für die nachfolgenden, im Dokument erwähnten Akten vgl. ebd.↩
- 13
- Vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Allgemeine Finanzbeziehungen.↩
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