Besprechung der schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen zu den Balkanstaaten, einschliesslich Polens.
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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 16, doc. 41
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1000/1572#454* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1000/1572 49 | |
Titre du dossier | Wirtschaftsverhandlungen und Abkommen mit Bulgarien (1943–1945) | |
Référence archives | C.44.111 • Composant complémentaire: Bulgarien |
dodis.ch/1962 Sitzungsprotokoll des Politischen Departements1 BESPRECHUNG ÜBER DIE SCHWEIZERISCHEN WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN ZU DEN BALKANSTAATEN
Troendle: Zweck dieser Besprechung ist eine Übersicht über die gegenwärtigen Beziehungen zu den Balkanstaaten zu erhalten, damit wir nicht Verhandlungen durch präzedenzielle Erledigung von provisorischen Geschäften erschweren2.
Leg. Zehnder gibt zuerst einen politischen Überblick. Wir liegen am Rande des Trennungsstriches zwischen Ost und West wie vor dem Kriege Ungarn und geraten deshalb in die Kontroverse zwischen England und Russland, das Opposition macht gegen eine Befriedung im Westen. Bei unseren Gesprächen mit den Oststaaten stossen wir immer auf Russland. Andererseits begrüssen die Oststaaten jede Hilfe, die aus dem Westen kommt, um so ein gewisses Gegengewicht gegen die russische Vormachtstellung zu erhalten. Gegenwärtig ist die Schweiz der einzige Staat im Westen, der ihnen eine solche Hilfe gewähren kann. In unserem Interesse liegt es, den Oststaaten im Rahmen des Möglichen diese gewünschte Hilfe zu gewähren. Das Politische Departement begrüsst jede Verbindung, welche die Handelsabteilung mit dem Osten anknüpfen kann. Jedenfalls ist darauf zu achten, dass wir die Oststaaten nicht vor den Kopf stossen, solange sie nicht schweizerisches Eigentum angreifen.
Troendle gibt eine Übersicht betreffend die Beziehungen zu den einzelnen Staaten:
Polen: Konkrete Geschäfte haben wir bisher nicht behandelt. Wir erwarten dagegen eine Delegation. Im Verlaufe der Verhandlungen wird es sich zeigen, wieweit schweizerisches Eigentum respektiert wird3.
Österreich: Eine provisorische Lösung konnte für die französische Zone gefunden werden; gegenwärtig finden Besprechung in Bezug auf die amerikanische Zone statt4.
Jugoslawien: Die Handelsabteilung hat Gespräche mit jugoslawischen Delegierten aufgenommen; die Reaktion der Regierung auf diese erste Fühlungnahme ist noch nicht bekannt. Vor allem mit Bezug auf den Schutz von schweizerischem Eigentum scheint Minister Zellweger den richtigen Ton gefunden zu haben5.
Ungarn: Es wurden bereits verschiedene Abgeordnete empfangen und zahlreiche Vorschläge geprüft, aber irgend eine provisorische Lösung konnte nicht gefunden werden6.
Rumänien: Ein geschäftlicher Verkehr zwischen der Schweiz und Rumänien findet gegenwärtig nicht statt. Zurzeit befindet sich ein rumänischer Delegierter in der Schweiz, der gewisse Einzelfragen abzuklären sucht. Die Aussicht, in absehbarer Zeit den Verkehr intensiver zu gestalten, ist sehr gering7.
Bulgarien: hat offenbar den regen Wunsch, mit uns Geschäfte abzuschliessen; sie scheiterten aber bisher an den Transportschwierigkeiten und dem Veto der Alliierten, die Bulgarien noch als feindlichen Staat betrachten8.
Griechenland: Es wurden verschiedene Geschäfte geprüft. Die Griechen wünschten jedoch Bezahlung in freien Schweizerfranken, was bisher nicht gestattet wurde9.
Allgemein hat die Handelsabteilung folgende Grundsätze aufgestellt:
1. Bei der Prüfung der vorgeschlagenen Geschäfte müssen wir uns an den Grundsatz halten do ut des. Vorausleistungen auf kommerzieller Basis kommen vorläufig ohne eine grundsätzliche Regelung nicht in Frage. Beim Zusammenstellen von Kompensationen zeigt es sich, dass die schweizerischen Artikel sofort in Arbeit genommen werden, die Kompensationswaren dagegen noch nicht lieferbar sind. Es stellt sich deswegen die Frage einer Zwischenfinanzierung. Für Ungarn wurde folgender Versuch gemacht. Die ungarische Nationalbank besitzt Guthaben in der Schweiz, die eingesetzt werden können, bis die ungarischen Lieferungen eintreffen. Das Risiko ist nicht so gross, weil wir immer noch die Möglichkeit haben, die schweizerische Leistung zurückzuhalten, sofern die ungarische Lieferung nicht eintrifft. Diese Möglichkeit der Finanzierung besteht aber nur bei Vorhandensein von Disponibilitäten. Ausser Ungarn kommen höchstens noch Jugoslawien und Rumänien in Frage.
2. Vielfach wird gewünscht, dass wir Balkanwaren nicht gegen Schweizerwaren, sondern gegen freie Schweizerfranken beziehen. Wir können das aber nur in Betracht ziehen, wenn es sich um besonders wichtige Waren handelt, da wir uns auf diese Weise gefährliche Präzedenzfälle schaffen. Grundsätzlich müssen wir jetzt schon sämtliche Balkanwaren in den Dienst des schweizerischen Exportes stellen. Deshalb ist es angezeigt, bei der Gewährung von Devisenzahlungen grösste Vorsicht walten zu lassen. Unter freier Devisenzahlung verstehen wir die Freigabe des Gegenwertes von Waren zur freien Zahlung im Ausland. Man wird versuchen müssen, den Gegenwert möglichst in der Schweiz zu binden, für den Ankauf von Schweizerwaren.
3. Eine gewisse Vorsicht ist am Platze bei der Lieferung von Waren in den Balkan, da uns die Bezugsstaaten später eventuell den Vorwurf machen können, dass die Waren nach Russland gegangen seien und dass wir somit ihre Kaufkraft an Russland verschleudert hätten.
Die Sachbearbeiter der Handelsabteilung kommen auf Einzelheiten, die ihre Länder betreffen zurück: Bauer: Jugoslawien: Vorläufig ist nur die Rede von Kompensationen. Die Verhandlungen sind aber äusserst mühsam und die angebotenen Artikel nicht sehr interessant. Rumänien: Der Clearingsaldo gehört der rumänischen Nationalbank; um damit schweizerische Exporte zu finanzieren, müssen wir deshalb ihre Zustimmung haben. Der in der Schweiz befindliche Abgeordnete soll die Aufgabe haben, bereits bezahlte schweizerische Waren auf den Weg zu bringen. Allgemein bemerkt Herr Bauer, dass wir mit Devisenzahlungen auch deshalb vorsichtig umgehen müssen, da wir sonst später Schwierigkeiten haben, diese Waren ins Clearing einzubeziehen und ihm deshalb die nötigen Mittel entziehen. Schneebeli: Mit Bezug auf Ungarn hat Dr. Troendle das Wesentlichste bereits erwähnt. Feststeht, dass auf den bisherigen Vertrag nicht mehr basiert werden kann. Der freie Kurs des Pengö soll bereits 1.– Fr. gleich 1000 Pengö betragen. Griechenland: Das Clearing besteht, über das aber keine Geschäfte mehr abgewickelt werden können. Bis heute sind keine der verschiedenen Kompensationsvorschläge zur Ausführung gelangt. Was die Bezahlung anbetrifft, ist Zahlung in freien Schweizerfranken oder in Dollar vorgeschlagen worden. Wir haben aber Zahlung auf ein besonderes Konto verlangt, das für den Einkauf schweizerischer Waren verwendet werden kann. Otz: Bulgarien: Das wichtigste Problem, das sich uns stellt, ist die Abtragung des Clearingsaldos. Die Alliierten sind aber gegen Einzahlungen ins Clearing. Wir haben bereits in mehreren Fällen Befreiung von der Clearingeinzahlungspflicht gestattet. Dr. Troendle ist ebenfalls der Auffassung, dass wir die Liquidierung des Clearingsaldos auf später verschieben und allgemeinen Verhandlungen vorbehalten.
Dr. Ammann fügt bei, dass ein Abgesandter der albanischen Nationalbank sich in der Schweiz befindet; er halte es für möglich, mit ihm gewisse kleinere Geschäfte abzuschliessen.
Dr. Zehnder bemerkt, dass er sich über diesen Abgesandten erkundigt und von der Bundesanwaltschaft erfahren habe, dass er wegen Hochstapelei gesucht sei.
Dr. Aebi wünscht, dass bei der Prüfung von Kompensationsvorschlägen nicht allzu sehr auf das Bedürfnis an der ausländischen Lieferung abgestellt wird. Die Hauptsache soll sein, dass die ausländische Ware in der Schweiz abgesetzt werden kann (z. B. Sliwowitz). Die Hauptsache ist, dass wir für unseren Export Kaufkraft schaffen.
Troendle ist ebenfalls der Auffassung, dass eine spezielle Gleichwertigkeit der Kompensationen nicht nötig sei. Wir müssen alle Waren beziehen, die irgendwie in der Schweiz abgesetzt werden können. Nur so können wir die für unseren Export nötige Kaufkraft im Balkan schaffen. Als weiteres Prinzip möchte er festhalten, dass wir mit keinem Balkanstaat einen Vertrag abschliessen werden, ohne die Regelung der alten Schulden. In den meisten Fällen wird es aber noch einige Zeit gehen, bis offizielle Verhandlungen stattfinden können. In der Zwischenzeit werden wir provisorische Lösungen suchen müssen. Bei diesen Einzelgeschäften werden wir nicht stark auf die alten Schulden abstellen. Wir müssen in erster Linie dafür sorgen, dass der Export nach dem Balkan wieder auflebt. Dabei vergessen wir das Alte ja nicht. Wenn wir nicht jetzt Geschäfte unabhängig von der alten Regelung abschliessen, werden sie überhaupt nicht durchzuführen sein.
- 1
- E 2001 (E) 2/602. Paraphe: AR. An der Sitzung sind anwesend: A. Zehnder und H. Hess (Protokoll), alle EPD; M. Troendle, T. Frey, H. V. Otz, A. Ammann, H. Schneebeli und F. Bauer, alle EVD; P. Aebi, Vorort; E. Mürner, SVS.↩
- 2
- Zur Frage der Kreditgewährung an die Balkanstaaten vgl. auch DDS, Bd. 16, Dok. 38, dodis.ch/315.↩
- 4
- Vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Österreich – Wirtschaftsbeziehungen.↩
- 5
- Vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Jugoslawien – Wirtschaftsbeziehungen.↩
- 9
- Vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Griechenland.↩
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