Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 20
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2804#1971/2#446* | |
Old classification | CH-BAR E 2804(-)1971/2 73 | |
Dossier title | Besuche von Persönlichkeiten (1960–1965) | |
File reference archive | 170.5 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1976/17#3547* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1976/17 507 | |
Dossier title | Italienische Saisonarbeiter in der Schweiz (Teil 1-9) (1961–1963) | |
File reference archive | B.41.11.1 • Additional component: Italien |
dodis.ch/18766
Ich empfing heute den italienischen Arbeitsminister, Herrn Fiorentino Sullo, in Begleitung von Unterstaatssekretär Storchi und Botschafter Baldoni.
Man hatte mir den Besuch als Höflichkeitsbesuch notifiziert, und ich war unter dem Eindruck gewesen, dass Herr Sullo die Herren Bundesräte Schaffner und Tschudi vorher sehen würde2. Auf meine Rückfrage stellte sich gestern heraus, dass keine derartigen Arrangements getroffen worden waren und dass Herr Botschafter Baldoni offenbar auch die Reise nach Zürich und Basel ohne Kontaktnahme mit eidgenössischen Stellen organisierte, es sei denn, er hätte sich mit den Verhandlungspartnern im BIGA oder im Amt für Sozialversicherung in Verbindung gesetzt.
Herr Sullo trug mir zuerst seine Anerkennung über den guten Empfang vor, den ihm die Kantone und die besuchten Unternehmungen bereitet hatten. Er kam dann auf die Verhandlungen3 zu sprechen und gab ziemlich unverblümt zu verstehen, dass die italienischen Behörden jetzt auf einen raschen und für sie günstigen Abschluss drängen mussten. Er operierte dabei u. a. auch mit den Konzessionen, die Italien von Seiten Frankreichs und der Deutschen Bun desrepublik gemacht worden seien und mit dem Prospekt der Harmonisierung der Arbeits- und Niederlassungsbewilligungen im EWG-Raum.
Dann kam er auf den massiven Druck der italienischen Gewerkschaften zu sprechen, die nach seiner Version einheitlich, d. h. von den «Democristiani» bis zu den Kommunisten, eine Ausreisesperre gegenüber der Schweiz für italienische Arbeiter verlangen, falls die Bedingungen, zu deren Träger sich die Regierung gemacht hat, schweizerischerseits nicht angenommen wurden.
Ich sagte Herrn Sullo, dass ich in keiner Weise in der Lage sei, materiell zu verhandeln und ihm irgendwelche Versprechungen zu machen, und gab bei dieser Gelegenheit meinem Bedauern Ausdruck, dass keine Besprechungen mit den Herren Bundesräten Schaffner und Tschudi oder ihren Chefbeamten vorgesehen seien. Im Übrigen erinnerte ich Herrn Sullo an die nun fast ein Jahrhundert alte italienische Saisonauswanderung in die Schweiz, die für beide Teile grosse Vorteile gehabt habe, und sagte ihm auch, dass wir wohl das einzige Land seien, das ein so grosses Kontingent italienischer Arbeiter ohne wesentliche Reibungen und Störungen zu beschäftigen im Stande sei. Ich machte ihn auch darauf aufmerksam, dass schon mindestens einige der Forderungen, die italienischerseits aufgestellt werden, nicht auf Grundlage von Kompetenzen des Bundes, sondern der Kantone gelöst werden müssten, was selbstverständlich mit Zeitverlusten verbunden sei.
Nachdem Herr Sullo nochmals eine – wenn auch versteckte – Drohung äusserte und die Formulierung brachte, dass wenn wir mit den Kantonen, so hätte er mit den Gewerkschaften zu rechnen, musste ich ihm sagen, dass wir nicht gewohnt seien, unter Druck zu verhandeln. Der Schluss des Gespräches beschränkte sich dann auf allgemeine Höflichkeitsformeln. Herr Sullo betonte, dass er auch nicht erwartet hatte, von mir Zugeständnisse zu erhalten; er hätte jedoch gehofft, bei mir als einem Kenner Italiens volles Verständnis zu finden. Er stellte mir dann die Übermittlung eines Memorials in Aussicht, in welchem die italienischen Behörden ihre Forderungen formulieren wollten.
Abschliessend ist zu sagen, dass sich sowohl der Besuch des Herrn Sullo bei den Kantonen wie sein Besuch bei mir in ungewöhnlichen Formen abspielte. Wieweit dies eine Temperamentsfrage des Arbeitsministers ist und wieweit wir es mit der Haltung der italienischen Regierung als solcher zu tun haben, ist schwer zu sagen. Jedenfalls scheint es klar, dass die Weiterführung und der Abschluss der Verhandlungen sich äusserst schwierig gestalten werden.
- 1
- E 2001(E)1976/17/507. Kopien dieser Notiz gingen an die Bundesräte L. von Moos, H. P. Tschudi und H. Schaffner sowie an die Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements.↩
- 2
- Zu dieser Angelegenheit vgl. auch DDS, Bd. 22, Dok. 22, dodis.ch/18968.↩
- 3
- Es handelt sich um die Verhandlungen betreffend die Erneuerung des Abkommens über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte (abgeschlossen am 22. Juni 1948). Vgl. E 2001(E)1976/17/508 und 509. Siehe auch DDS, Bd. 21, Dok. 151, dodis.ch/14400 sowie Nrn. 103 und 180 in diesem Band.↩
Tags
Italy (General) Italy (Economy) Foreign labor