dodis.ch/15256 Interne Notiz des Politischen Departements
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Herr Minister Long telephoniert mir von Genf aus folgendes:
Nach allen aus Helsinki eintreffenden Nachrichten wird die finnländische
Regierung den Warnungen und Ratschlägen der Mitglieder der EFTA bezüglich der Einräumung der Meistbegünstigungsklausel an Russland nicht Rechnung tragen2. Präsident Kekkonen reist am Sonntag nach Moskau und wird der
Sowjetunion auch in bezug auf das EFTA-Regime, was Finnland anbetrifft, die Meistbegünstigungsklausel einräumen.
Seinerzeit haben es Schweden und Norwegen übernommen, in Helsinki vor derart weitgehenden Konzessionen gegenüber Moskau zu warnen. Dieser
Tage ist in der finnländischen Zeitung «Maakansa», die als Sprachrohr des
Präsidenten Kekkonen gilt, ein Artikel erschienen, der den Abschluss des
Vertrags mit Finnland ankündigt.
Die logische Folge dieses Abkommens müsste es sein, dass die EFTA-Mitglieder die Aufnahme von Finnland in ihren Kreis verweigern. Es ist aber vorauszusehen, dass die drei skandinavischen Staaten aus politischen Gründen trotzdem für Finnland stimmen werden, während es Sache Englands, der
Schweiz, Österreichs und Portugals wäre, die Konsequenzen aus dem unannehmbaren Verhalten Finnlands zu ziehen. Dabei wäre die Position Österreichs besonders gefährdet. Die Sowjetunion würde nicht verfehlen, unter Berufung auf den Staatsvertrag mit Österreich3 und das Abkommen mit Finnland, nun auch von Österreich die Einräumung der Meistbegünstigung zu verlangen.
Der Rat der EFTA hat sich deshalb gefragt, ob nicht nochmals eine letzte dringliche Demarche in Helsinki unternommen werden sollte. Schweden und
Norwegen haben erklärt, ihre Möglichkeiten dazu seien durch die vorangehenden Demarchen erschöpft. Der britische Vertreter im Rat hat seiner Regierung empfohlen, sofort in Helsinki vorstellig zu werden. Falls sich London dazu entschliesst, würde man es natürlich sehr begrüssen, wenn sich die Schweiz diesem Schritt anschliessen könnte. Eine isolierte Demarche der Schweiz hat
Herr Minister Long bereits von sich aus abgelehnt.
Herr Minister Long wird mich im Laufe des Tages darüber unterrichten, welchen Entschluss London fasst. Er möchte wissen, ob das Politische Departement bereit sei, der Botschaft in Helsinki analoge Weisungen zu erteilen, falls sich
England zu einer Demarche entschliesst.
Ich habe Herrn Minister Long versprochen, Ihnen4 die Angelegenheit zu unterbreiten. Die Schweiz könnte jedenfalls nicht allein eine solche Demarche unternehmen, die man in Moskau als eine Durchkreuzung der russisch-finnischen Verhandlungen auffassen wird. Mit Rücksicht auf die exponierte Stellung
Österreichs schiene mir dagegen eine kollektive Demarche, zusammen mit
England, nicht nur vertretbar, sondern angezeigt.