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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 21, doc. 155
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1003#1994/26#1* | |
Old classification | CH-BAR E 1003(-)1994/26 1 | |
Dossier title | Protokolle der 1.-91. Sitzung des Bundesrates (1961–1961) | |
File reference archive | 4.3 |
dodis.ch/14396
BUNDESRAT
Verhandlungsprotokoll der 49. Sitzung vom 30. Juni 19611
Verhandlungsprotokoll der 49. Sitzung vom 30. Juni 19611
Der Herr Bundespräsident eröffnet die Sitzung durch ein herzliches kurzes
Abschiedswort, in dem er Herrn Petitpierre den Dank für die dem Lande geleisteten grossen Dienste ausspricht. Herr Petitpierre dankt seinen Kollegen für das Vertrauen und die kollegiale Mitarbeit und dem Herrn Bundespräsidenten für seine freundlichen Worte.
Mitteilungen des Vorstehers des EPD
Zusammenfassung der aktuellen Probleme, die das EPD beschäftigen.
Herr Petitpierre gibt eine Zusammenstellung der hängigen Probleme und der
Probleme, die sich noch stellen können, bekannt und kündigt an, dass er eine vollständige Liste für seinen Nachfolger zurücklassen werde2.
Probleme, die sich als Folgen des letzten Krieges gestellt haben. Diese sind in Hauptsache erledigt oder in Erledigung begriffen. Es handle sich um folgende Fragen:
1. Hilfe an die kriegsgeschädigten Auslandschweizer3
Die Aktion könne gegen Ende des Jahres abgeschlossen werden. Der grösste
Teil der Geschädigten sei mit der Erledigung zufrieden. Eine kleine Gruppe, der sich s. Zt. Herr Duttweiler angenommen hatte, sei nicht zufrieden, habe aber praktisch keinen Einfluss mehr.
2. Affäre Interhandel4
Dies sei eine sehr komplizierte Angelegenheit, bei der der Bund, ohne sich einzumischen, die Gesellschaft in ihrem prozessualen Vorgehen unterstütze.
Herr Petitpierre habe Gelegenheit gehabt, mit Dean Rusk über dieses Problem zu sprechen.
3. Erblose Vermögen
Ein Antrag des JPD stehe auf der heutigen Tagesordnung5. Es sei bedauerlich, dass diese Angelegenheit bisher nur schleppend vorwärts gekommen sei6.
Allgemeine Probleme internationaler Art
Die Frage sei nicht aktuell. Hier sei nach wie vor eine Reserve gerechtfertigt. Dagegen sei es in der Ordnung, wenn man fortfahre, mit der UNO zusammenzuarbeiten, wenn sie besondere Dienste von uns verlange (Korea,
Kongo etc.)
Das Statut unserer Beobachter soll bekanntlich geändert werden. Der
Bundesrat habe dazu bereits Stellung genommen. Der Beitritt selbst sei nicht dringend, könne aber in wenigen Jahren in Frage kommen.
Ein Hauptproblem sei die Beteiligung der Schweiz an der Integration
Europas. Hier sei er weder zu optimistisch noch zu pessimistisch. Er glaube, dass die neutralen Länder sich durchsetzen werden. Für uns sei es nötig durch diplomatische und diskrete Aktionen zu versuchen, gewisse Länder für unsere
Ideen zu gewinnen. Man sollte konkrete Vorschläge ausarbeiten für die Modalitäten eines Beitrittes der Schweiz zur EWG.
4. Hilfe an Entwicklungsländer10
Man werde mit der Zeit bestimmte Grundsätze festlegen müssen, unter denen die Hilfe gewährt werden soll. Es sei aber besser, noch einige Zeit mit den Vorbereitungen zu verlieren, als sofort ohne genügende Vorbereitungen loszugehen.
5. Internationale Zusammenarbeit a) Kampf gegen den Hunger
Hier müsse man die Bedingungen für unsere Zusammenarbeit festlegen. b) Rettung der historischen Kunstdenkmäler in Libyen11 vor den Wassern des Assuanstaudammes
Es handle sich hier um ein Unternehmen der UNESCO, bei dem Schweizer eine grosse Rolle spielen (Gysin, Direktor des Landesmuseums und Prof. Stucki, Lausanne). Man müsse prüfen, ob ein Kredit gesprochen werden könne.
Wegen des Regimes der VAR sei die Aktion bei uns nicht populär. EPD und
EDI sollen die Sache prüfen.
Probleme mit einzelnen LändernUSA
Folgende Fragen seien pendent: Militärdienstleistungen junger Schweizer in den USA12, Antitrustprozess (Uhrenindustrie)13 und der schon erwähnte
Fall Interhandel.Frankreich
Revision des Regimes der «zones franches» (Aufhebung der Freihandelszone, die weder für Genf noch für Frankreich ein Interesse haben)14.
Rekrutierung Minderjähriger für die Fremdenlegion15. (Die Fremdenlegion soll Weisung erhalten haben, keine minderjährigen Schweizer mehr anzuwerben. Hier sei eine gemeinsame Aktion Deutschland, Schweiz, Beneluxländer vorgesehen gewesen, auf die jetzt wahrscheinlich verzichtet werden könne).
Die drei im Zusammenhang mit dem Miragekauf16 in Erinnerung gerufenen
Angelegenheiten (Fluglinie nach Marseille, Käseexport, Weinkontingente).
Die Frage Käseexport und Marseille scheine auf guten Wegen. – Was die
Konferenz von Evian17 betreffe, seien neue franco-algerische Kontakte aufgenommen worden für Wiederaufnahme der Verhandlungen.Deutschland
Regelung der Verhältnisse der Enklave Büsingen18. Vom Anschluss sei nicht mehr die Rede, jedoch von einem Spezialstatut. Es handle sich um ein sehr kompliziertes Problem.Guinea
Fall des gefangen gesetzten Schweizerbürgers Fritschi19 und Schwierigkeiten wegen der Angelegenheit Moumié20.
Sowjetrussland und kommunistische Länder21
Hier bleibe das Problem, das einmal energisch angepackt werden müsse, nämlich der wissenschaftlich-kulturelle Austausch mit den kommunistischen
Ländern22. Hier sei vor allem das Verhalten Zürichs in der Angelegenheit des russischen Meisterviolinisten DavidOistrach zu bedauern23. – Es müsse auf diesem Gebiete sehr viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Unsere bisherige
Haltung in diesen Fragen schade uns mehr als sie uns nütze.
Mit der Tschechoslowakei seien die Beziehungen getrübt wegen der Spionageaffären24.
Beziehungen im Allgemeinen
Zusammenfassend könne man sagen: gut bis sehr gut seien die Beziehungen zu den westlichen Staaten und vor allem zu den Entwicklungsländern, korrekt seien sie mit den kommunistischen Ländern. Sehr bedauerlich sei, dass der neue
Botschafter der Elfenbeinküste das Opfer eines schweizerischen Betrügers in
Herr Petitpierre schliesst seine Ausführungen mit dem Dank an die Kollegen für das Verständnis, das sie den Angelegenheiten des EPD immer entgegengebracht haben.
Auf eine Frage von Herrn Bourgknecht, wie es sich mit den Schulden des ehemaligen Botschafters von Peru26 verhalte, antwortet Herr Petitpierre, dass die Lieferanten bezahlt worden seien, ob die Banken noch Verluste erleiden wisse er nicht. Man könne aber sagen, dass die Angelegenheit mehr oder weniger befriedigend habe geregelt werden können.Presseorientierung
Es wird beschlossen, dass der Herr Bundespräsident die Presse orientieren wird, da im Vordergrund des Interesses die Ergebnisse der EFTA-Ministerkonferenz in London stünden. Was die Angelegenheit der erblosen
Vermögen betrifft, macht Herr Petitpierre Bedenken geltend gegen eine
Aushändigung des Bundesbeschlussesentwurfes an die Presse27. Der Rat beschliesst, die Frage erst nach Behandlung des Antrages des JPD zu entscheiden. (S. Geschäft «Erblose Vermögen in der Schweiz, Entwurf zu einem Bundesbeschluss»)28. […]29
- 1
- E 1003(-)1994/26/1. Vorsitz: F. T. Wahlen, Schriftführer: Ch. Oser, F. Weber. Diese 49. Sitzung des Bundesrates ist die letzte, an der M. Petitpierre teilnimmt.↩
- 2
- Vgl. die Notiz von M. Petitpierre an F. T. Wahlen vom 6 Juli 1961, E 2800(-)1990/106/15.Vgl. auch die handschriftliche Notizen von M. Petitpierre, E 2800(-)1990/106/1 (dodis.ch/15411).↩
- 3
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 123, dodis.ch/10342(dodis.ch/10342).↩
- 4
- Vgl. Nrn. 33 und 120 in diesem Band.↩
- 5
- Vgl. den Antrag des Justiz- und Polizeidepartements vom 27. Juni 1961, E 4110(A)1973/ 85/2.↩
- 6
- Am 12. Januar 1961 traf sich M. Petitpierre mit dem Botschafter Israels, J. I. Linton in Bern zu einer Besprechung. Daraus zieht M. Petitpierre folgenden Schluss: Il faut que nous arrivions à une conclusion. Cette affaire est en suspens depuis près de quinze ans. Les banques ou les gérants qui détiennent des biens dont le propriétaire a disparu ou ne s’est pas manifesté depuis quinze ans doivent être mis en demeure de donner des renseignements qui permettront soit de rechercher s’il y a des ayants droit, soit de prendre une décision sur le sort de ces biens. Vgl. E 2001(E)1976/17/97.Vgl. auch die Notiz von R. Kohli an M. Petitpierre vom 14. Januar 1961, E 2001(E)1976/17/97 (dodis.ch/16812). Dieser schreibt noch am selben Tag: Je vous serais obligé de suivre cette affaire, pour qu’il n’y ait pas de nouveaux retards. Cf. PVCF No 299 du 14 février 1961, E 1004.1(-)-/1/646.1 (dodis.ch/16640). Für einen Überblick (1946–1961) dieser Frage vgl. die Notiz vom 6. November 1961, ibid. (dodis.ch/16817).↩
- 10
- Vgl. das thematische Verzeichnis: VI.3. Entwicklungshilfe.↩
- 12
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 136, dodis.ch/14961.↩
- 13
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 105, dodis.ch/14866.↩
- 14
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 40, dodis.ch/15123.↩
- 15
- Vgl. Nrn. 19 und 48 in diesem Band.↩
- 16
- Vgl. das thematische Verzeichnis: IV.2. Ein- und Ausfuhr von Waffen und Kriegsmaterial.↩
- 17
- Vgl. das thematische Verzeichnis: II.3. Algerien.↩
- 18
- Vgl. E 2001(E)1976/17/269 und 269a.↩
- 19
- Vgl. den Bericht von R. Probst vom 15. Mai 1961, E 2001(E)1976/17/465 (dodis.ch/15536) und das BR-Prot. Nr. 394 vom 28. Februar 1961, E 1004.1(-)-/1/646.2.↩
- 20
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 129, dodis.ch/15568.↩
- 22
- Vgl. DDS, Bd. 21, Dok. 7, dodis.ch/14420.↩
- 23
- Verbot des Konzertes von D. Oistrach vom 15. Juni 1961 durch die zürcherische Fremdenpolizei, vgl. E 4001(D)1976/136/113.↩
- 24
- Vgl. den BRB Nr. 168 vom 27. Januar 1961, E 1004.1(-)1000/9/645.2 und E 2808(-)1974/ 13/7.↩
- 25
- J. Porquet, seit dem 1. Juni 1961 im Amt, wird am 28. Juni 1961 von M. Petitpierre empfangen, vgl. E 2800(-)1990/106/20.Über die Betrugsangelegenheit, vgl. E 2001(E)1976/17/390.↩
- 26
- W. Fry Valle-Riestra, verschieden am 9. Februar 1959 in Bern, vgl. E 2001(E)1972/33/117, und im besonderen die Note du Protocole pour Monsieur le Président de la Confédération vom 23. Mai 1960, ibid. und E 2001(E)1972/33/129.↩
- 27
- Zur Frage der Presseartikel über die erblosen Vermögen vgl. das Schreiben von E. Sasson an M. Petitpierre vom 9. Mai 1961 und das Antwortschreiben von M. Petitpierre, E 2001(E)1976/17/97 (dodis.ch/16813). Im Antrag vom 29. Juni 1961 erklärt sich das Politische Departement einverstanden mit dem Antrag des Justiz- und Polizeidepartements vom 27. Juni 1961. Es schlägt die Konsultation der interessierten Milieus vor, da gegen die in Aussicht genommene Sonderregelung von verschiedenen Seiten starke Widerstände zu erwarten sind. Das Politische Departement schlägt weiter vor, dass sich E. Mehnert, ehemaligem Direktor der Schweizerischen Verrechnungsstelle, der auf Grund seiner früheren Tätigkeit in besonderem Masse befähigt ist, sich zum Projekt äussern. Vgl. die Stellungnahme von E. Mehnert vom 28. August 1961, E 4110(A)1973/83/2 (dodis.ch/16816).↩
- 28
- Am 30. Juni 1961 richtet das Justiz- und Polizeidepartement ein Kreisschreiben an die kantonalen Behörden und betroffenen Vereinigungen, um diese zum Entwurf des Bundesbeschluss zu konsultieren, vgl. E 4110(A)1973/85/2.Als Reaktion auf die Veröffentlichung des BR-Beschlusses erschienen in der Schweiz und im Ausland Presseartikel. Zur Frage der diplomatischen Auswirkungen vgl. E 2001(E)1976/17/97.↩
- 29
- Es folgen eine Reihe schriftlicher Anträge und Präsidialvorlagen.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/14396 | is quoted in | http://dodis.ch/16640 |
http://dodis.ch/15411 | see also | http://dodis.ch/14396 |
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