Portugal gelangt mit zwei Ersuchen betreffend den Konflikt mit Dehli über die portugiesischen Besitzungen in Indien an die Schweiz. Die Schweiz soll in Dehli offiziell vorstellig werden und Portugal möchte gerne Schweizer Beobachter nach Indien entsenden. Zweitens werden die Gründe für die Abberufung des französischen Vizekonsuls, A. Lhotte, dargelegt.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 120
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1969/121#6354* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1969/121 239 | |
Dossier title | Portugiesische Besitzungen in Indien (Anfrage an die schweiz. Regierung) (1953–1954) | |
File reference archive | B.74.25.(2) |
dodis.ch/10267
Im Auftrage von Herrn Bundesrat Petitpierre, zurzeit in Zermatt, beehren wir uns, Sie über folgende Angelegenheiten zu unterrichten:
I. Portugal: Der neue Gesandte Portugals3 hat verschiedentlich wegen des Konfliktes mit Delhi über die portugiesischen Besitzungen in Indien vorgesprochen. Er wurde alsdann Sonntag 8. dies von Herrn Bundesrat Petitpierre in Zermatt empfangen.
Portugal ist mit folgenden zwei Ansuchen an uns herangetreten: a. Portugal würde es begrüssen, wenn die Schweiz offiziell in Delhi zur Vermeidung einer weiteren Verschärfung des Konfliktes vorstellig werden
könnte. So hätten bereits verschiedene Länder in diesem Sinne gehandelt,
u. a. der Vatikan, Grossbritannien, U. S. A., Belgien, Indonesien, Brasilien,
Spanien etc. (im Einzelnen mit etwelchen Nuancen).
Im Vordergrund steht offenbar für die nächste Zukunft, wobei der 15. dies
genannt wird, die angekündigte «Befreiung» von Goa durch eine «Befreiungs-Bewegung». Goa gilt dabei als Teil des nationalen Territoriums Portugals, und nicht als Kolonie. Portugal hat seit längerer Zeit jegliche Verhandlungen über eine Abtretung an Indien abgelehnt, worauf die Indische
Gesandtschaft in Lissabon vor etwa 6 Monaten geschlossen wurde.
Dem Portugiesischen Gesandten wurde vorläufig geantwortet, es bestehen
keine Präzedenzfälle für eine derartige Intervention unsererseits. Der Chef
des EPD glaubt persönlich, dass der Bundesrat angesichts unserer grundsätzlichen Neutralitätspolitik nicht darauf eintreten könnte. Er werde je
doch für alle Fälle die übrigen Mitglieder des Bundesrates sogleich verständigen.
Angesichts unserer konstanten Praxis glaubte Herr Bundesrat Petitpierre
von einer Einberufung des Bundesrates absehen zu können. Sollte Ihnen
diese Sache zu Bemerkungen Anlass geben, so bittet Herr Petitpierre um
Bericht4. b. Portugal wird (soll) eine längere Proklamation erlassen, worin der Vorschlag der Entsendung neutraler Beobachter gemacht wird. Jede Seite
würde drei Länder bezeichnen.
Der Portugiesische Gesandte war beauftragt, abzuklären, ob die Schweiz
ein solches Mandat übernehmen würde.
Herr Bundesrat Petitpierre antwortete, dass er hiezu nicht von sich aus
Stellung nehmen, sondern die Angelegenheit gegebenenfalls dem Bundesrat unterbreiten müsste. Vorerst sei jedoch die Reaktion Delhi’s auf
diesen Vorschlag abzuwarten.
(Gegenüber der separaten Bezeichnung von je drei Mächten durch jede
Partei wäre zweifellos eine gemeinsame Bezeichnung vorzuziehen.)
Wir werden somit die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen und
den Bundesrat unterrichtet halten5.
II. Frankreich: In Genf wurden zwei als Privatdetektive tätige Schweizerbürger verhaftet, die im Begriffe waren den früheren tunesischen Justizminister Ben Youssef6 zu überwachen. Die beiden erklärten, im Auftrag des französischen Vizekonsuls Lhotte gehandelt zu haben. Dieser wie schon sein Vorgänger hätten ihnen seit 1950 zahlreiche «Aufträge» gegen Bezahlung erteilt; neben an und für sich harmlosen Aufträgen (Auszüge aus schweiz. Handelsregister, Auskünfte über Visa-Gesuchsteller etc.) finden sich darunter solche die seitens der Bundespolizei als verbotener Nachrichtendienst angesehen werden.
Nach näherer Prüfung und Rücksprache mit Herrn Bundesrat Petitpierre wurde der französischen Botschaft am 9. dies mitgeteilt7, dass sich die Abberufung des Vizekonsuls Lhotte aufdränge. Die Reaktion der Botschaft steht noch aus.
P. S. Botschaft antwortet soeben, dass L[hotte sogleich in Urlaub gehen und nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren wird.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2001(E)1969/121/239. Dieser Brief wurde von E. von Graffenried verfasst.↩
- 2
- Die Bundesratsmitglieder weilen zu diesem Zeitpunkt in den Ferien; die nächste Sitzung fand am 27. August 1954 statt vgl. E 1004.1(-)-/1/568.↩
- 4
- Vgl. das Telegramm der schweizerischen Gesandtschaft in Lissabon an das Politische Departement vom 9. August 1954. Nicht abgedruckt.↩
- 5
- Nachdem M. Petitpierre die Frage dem Bundesrat vorgelegt hatte, schrieb er am 27. August dem portugiesischen Gesandten in Bern, J. L. Archer, la Suisse, en raison de son statut de neutralité, est tenue d’observer une très grande réserve à l’égard des problèmes qui intéressent d’autres pays avec lesquels elle entretient des relations également amicales. C’est pour ce motif qu’une démarche officielle n’a pas été faite auprès du Gouvernement indien pour l’engager à accepter les propositions du Gouvernement portugais. E 2001 (E)1969/121/239.↩
- 6
- Zum Entscheid des Bundesrates vom 7. Januar 1955, S. Ben Youssef auszuweisen vgl. BR-Prot. Nr. 25 vom 7. Januar 1955 E 1004.1(-)-/1/573 und den Antrag des Polizei- und Justizdepartements vom 5. Januar 1955, E 4001(D)1973/125/52 (dodis.ch/9736). Zur Präsenz und Aktivität von Ben Youssef in der Schweiz, ibid.↩
- 7
- Nicht ermittelt.↩
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France (General) Intelligence service