Vertraulich
Berlin, 16. Dezember 1938
Als ich gestern bei Herrn Staatssekretär von Weizsäcker vorsprach, um gegen die Pressekampagne2 des deutschen Reiseverkehrsverbandes Einspruch zu erheben und worüber ich Ihnen in einem besondern Schreiben3 berichten werde, wurde mir über die politische Lage ungefähr folgendes mitgeteilt.
Herr von Weizsäcker ist der Ansicht, dass wir ähnliche gefährliche Krisen wie im letzten Herbst auf absehbare Zeit nicht zu befürchten haben. Mit Frankreich habe sich Deutschland nun verständigt und jahrhundertalte Differenzen seien endgültig beseitigt. Auf meine Frage, ob nicht durch die Verpflichtungen der Achse und auf der ändern Seite der Entente und in Anbetracht der italienischen Aspirationen in Afrika eine Gefährdung des Weltfriedens bestehe, antwortete der Staatssekretär, dass dies seiner Meinung nach nicht der Fall sei. Der italienische Aussenminister habe ja Lord Perth erklärt, dass die italienische Regierung jene Forderungen, die in der italienischen Kammer durch Zwischenrufe geäussert worden seien, nicht zu den ihrigen mache. Er glaube auch nicht, dass Tunis einen aktuellen Programmpunkt der italienischen Politik darstelle. Sei dem wie es ist, für Deutschland werde kaum eine Kriegsgefahr aus diesen Gründen entstehen.
Interessant waren auch die Andeutungen des Staatssekretärs betreffend die Tschechoslowakei. Er bemerkte mir kurz, dass die Bindungen mit diesem Lande sich voraussichtlich demnächst noch enger gestalten werden. - Es ist wohl anzunehmen, dass eine Zollunion und vielleicht eine Währungsunion in Vorbereitung sind.
Mit Polen wird Deutschland die Freundschaft aufrecht erhalten. Der Staatssekretär bemerkte, dass Polen auch allen Grund habe, diese Politik der Freundschaft zu pflegen. Russland sei machtpolitisch in Anbetracht der innern Zustände nicht existent; von dort habe Polen nichts zu erwarten.
Die Memelfrage werde mit der Zeit durch den Anschluss an das Reich gelöst werden. Die Demarche der beiden Westmächte sei deplaziert gewesen. Während Jahren hätten sich diese Länder nicht um die Einhaltung des Memelstatuts gekümmert und jetzt plötzlich würden sie sich als Hüter eines internationalen Status aufspielen, das durch ihre eigene Haltung hinfällig geworden sei.
Die Regelung der Danziger Frage werde noch nicht in nächster Zeit erfolgen. Der Hochkommissar, unser Landsmann Herr Professor Burckhardt, erfülle seine Aufgabe ausgezeichnet. Er habe in der heiklen Stellung manche Unannehmlichkeit, aber er verstehe es ausgezeichnet, die Schwierigkeiten immer wieder zu meistern.
Da ich Herrn von Weizsäcker nur kurz sprechen konnte, bat ich, ihn noch einmal im Laufe der nächsten Woche besuchen zu dürfen. Falls Sie wünschen, dass ich ihm gewisse Fragen unterbreite, möchte ich um diesbezügliche Weisung bitten4.