Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IX. LANDESVERSORGUNG
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 332
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E4001A#1000/782#317* | |
Old classification | CH-BAR E 4001(A)1000/782 73 | |
Dossier title | Brotversorgung 1912/13 (1912–1913) | |
File reference archive | 6.E-1 |
dodis.ch/43187
Der Vorsteher des Post- und Eisenbahndepartementes, L. Forrer, an die Teilnehmer der Konferenz zur Sicherung der Brotversorgung1
Wie Ihnen bekannt ist, wurde der Bundesrat im Laufe der letzten Jahre wiederholt, durch Postulate der Bundesversammlung und Eingaben der Getreidebörse Zürich, auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam gemacht, Massnahmen zur Vermehrung der inländischen Weizenvorräte zu treffen, da der jetzige Zustand unter Umständen zu einer Landeskalamität führen könnte. Diese Befürchtung ist durchaus berechtigt. Seit einigen Jahren vermindern sich während der Sommermonate die inländischen Weizenlager in bedenklicher Weise, wie folgende Zusammenstellung der Minimalvorräte jedes Jahres seit 1904 zeigt: 1904 3.718 Wagenladungen 1905 3.981 Wagenladungen 1906 2.173 Wagenladungen 1907 2.514 Wagenladungen 1908 1.115 Wagenladungen 1909 1.089 Wagenladungen 1910 974 Wagenladungen
1911 1.136 Wagenladungen
1912 1.145 Wagenladungen
Ein Minimalvorrat von ca 1000 Wagenladungen Weizen muss bei einem Jahresbedarf der Schweiz von über 40.000 Wagenladungen an ausländischem Weizen als durchaus ungenügend bezeichnet werden, da er die Brotversorgung des Landes nur für 9 Tage sicherstellt.
Als Massnahmen zur Beseitigung des Misstandes sind vorgeschlagen worden:
1. Das Bundesmonopol für den Getreidehandel (Postulat 696 der eidgenössischen Räte);
2. Umleitung der überseeischen Weizenimporte von den nördlichen schweizerischen Zufahrtslinien auf die südlichen (Postulat 708 der eidg. Räte);
3. Gewährung besonderer Begünstigungen für die Lagerung von Weizen in den inländischen Lagerhäusern;
4. Vermehrung der Weizenvorräte der Eidgenossenschaft.
Zu diesen Vorschlägen haben wir folgendes zu bemerken:
ad 1. Die Frage der Einführung des Bundesmonopols für den Getreidehandel hat Anlass zu einlässlichen Studien gegeben. Wir betrachten es jedoch nicht als Aufgabe der bevorstehenden Konferenz, sich mit dieser Massnahme, die noch nicht spruchreif ist und auf keinen Fall rasch durchgeführt werden könnte, zu befassen.
ad 2. Die Umleitung der Weizenimporte von den nördlichen auf die südlichen Zufahrtslinien durch geeignete Tarifmassnahmen ist von den Fachleuten der Getreidebranche vor allem als leicht realisierbar und zweckentsprechend empfohlen worden. Sie wiesen darauf hin, dass die Abnahme der Weizenvorräte in den Lagerhäusern von Brunnen und Morges hauptsächlich davon herrühre, dass die Getreidetransporte aus Rumänien und Russland, die von Schwarzmeerhäfen aus nach der Schweiz gehen, in den letzten Jahren immer mehr von ihren natürlichen Beförderungswegen über Genua-Pino und Marseille-Genf abgelenkt worden seien, weil die Spedition über Antwerpen- und Rotterdam-Mannheim ungeachtet des bedeutend längeren Weges billiger zu stehen komme. Bei Führung des Getreides über die Nordseehäfen sei die Lagerung in Brunnen und Morges mit Rücksicht auf die Tarifverhältnisse ausgeschlossen und es seien die schweizerischen Getreidehändler genötigt, die Lager in Mannheim, Strassburg, Kehl u.s.w. in Anspruch zu nehmen. Gelinge es, die Transporte aus Rumänien und Russland wieder ihrem natürlichen Verkehrsweg zuzuführen, so würden sich die Lagerbestände in der Schweiz sofort wieder vermehren.
Diese im Laufe der letzten Jahre eingetretene Verbilligung der Transporte über die Nordseehäfen ist zwei Ursachen zuzuschreiben:
1. Die Seefrachten ab Schwarzmeerhäfen nach den Nordseehäfen sind gegenwärtig nicht viel höher als diejenigen der viel kürzeren Strecken nach Genua und Marseille.
2. Die Konkurrenzverhältnisse bei der Rheinschiffahrt haben bewirkt, dass die Frachtsätze ab den nördlichen Häfen nach den Zentren der schweizerischen Mühlenindustrie niedriger geworden sind als diejenigen ab Genua und Marseille nach diesen Stationen.
Auf die Seefrachtverhältnisse kann die Schweiz selbstverständlich keinen Einfluss ausüben. Dagegen wäre es den Bundesbahnen in Verbindung mit den italienischen und französischen Bahnen leicht möglich, eine wirksame Ermässigung der Frachten ab Genua und Marseille zu erzielen.
Das Eisenbahndepartement hat sich durch besondere, eingehende Erhebungen davon überzeugt, dass eine den jetzigen Konkurrenzverhältnissen angepasste Änderung des schweizerischen Getreidetarifs möglich wäre, und dass die italienischen Bahnen bereit wären, bei Massnahmen zur Wiedergewinnung der der Gotthardroute verloren gegangenen Transporte mitzuwirken. Für den Verkehr über Marseille-Genf wären besondere Massnahmen nicht nötig, da sich bei Änderung des schweizerischen Getreidetarifs entsprechende Frachtermässigungen für den schweizerischen Parcours ab Genf ergeben und die französischen Bahnen im übrigen die Taxparität mit der Gotthardroute, soweit letztere billiger ist, im Rückvergütungswege hersteilen.
Gelänge diese Verkehrsumleitung, so hätte die Schweiz den Vorteil, von mehreren Seiten her mit Getreide versorgt zu werden, was im Kriegsfall von grosser Bedeutung wäre. Den südlichen Routen müsste der Import von russischem und rumänischem Weizen zufallen, während den nördlichen Routen der zeitweise bedeutende Import von amerikanischem Weizen verbleiben würde.
Die Untersuchungen haben auch gezeigt, dass bei zweckentsprechender Gestaltung des Getreidetarifs die Bundesbahnen kein grosses Risiko laufen würden, da die Frachtermässigung hauptsächlich die längeren Strecken treffen würde, die zurzeit keine beträchtlichen Getreidetransporte aufzuweisen haben. Die Transporte via Rheinroute legen selten mehr als 100 km auf der schweizerischen Strecke zurück. Es bedarf auch nur einer verhältnismässig kleineren Verkehrsumleitung, um den Bundesbahnen ihre bisherigen Einnahmen zu erhalten. Der Eintritt einer solchen Umleitung kann als sicher angenommen werden, da der Transportweg von den Dispositionen der schweizerischen Getreidehändler abhängt, die selbstverständlich immer die billigste Route benutzen. Der Durchführung dieser Massnahme sind bis jetzt gewisse von der Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen erhobene Bedenken entgegengestanden. Es wäre zu wünschen, dass es der bevorstehenden Konferenz gelänge, diese Bedenken zu zerstreuen.
ad 3. Neben Tarifmassnahmen kommt die Gewährung von Begünstigungen für die Lagerung von Getreide in inländischen Lagerhäusern sehr in Betracht. Die von den Bundesbahnen seit 1. August ds. Js. gewährte Lagerfreiheit für ausländischen Weizen bedeutet einen ersten Schritt in dieser Richtung. Diese Erleichterung an sich genügt jedoch voraussichtlich noch nicht, um die Lager auf die notwendige Höhe zu bringen; sie wird aber in Verbindung mit den Tarifmassnahmen ihren Zweck nicht verfehlen.
Als weitere Erleichterungen sind in Vorschlag gekommen: billige Belehnung der Getreidevorräte und Gewährung von Lagerprämien auf Kosten des Bundes.
Diese Vorschläge dürften in Betracht zu ziehen sein, sofern die vorher besprochenen Massnahmen eine genügende Erhöhung der Weizenvorräte nicht bewirken sollten. Es ist anzunehmen, dass die Bundesversammlung nötigenfalls die erforderlichen Kredite hiefür bewilligen würde.
ad 4. Eine Erhöhung der eidgenössischen Kriegsvorräte an Weizen dürfte ebenfalls in Betracht gezogen werden. Näher zu untersuchen wäre hierbei, ob die Vermehrung der Vorräte oder die Gewährung von Lagerprämien an die Getreidehändler dem Lande grössere Vorteile böte.
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- Schreiben (Kopie): E 6/13. Brotversorgung der Schweiz. Das Schreiben war gerichtet an: Das Politische Departement, das Militärdepartement, das Finanz- und Zolldepartement, das Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartement, die Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen (Bern), die Generaldirektion der Schweizerischen Nationalbank (Zürich), Ständerat C. von Arx (Olten), Nationalrat L. Martin (Verrières), Nationalrat J. Hirter (Bern), Nationalrat A. Frey (Zürich), Nationalrat J. A. Balmer (Schüpfheim), E. Loosli, Präsident der Getreidebörse (Zürich), Herren Bossy und Cie, Mühlenbesitzer (Corcelles), R. Fischli, Vizepräsident des Verbandes Schweizerischer Müller (Schaffhausen), E. Laur, Sekretär des Schweizerischen Bauernverbandes (Brugg).↩