Bericht einer 10-tägigen Reise durch Zentralamerika. Analyse der Lage in Zentralamerika, insbesondere der politischen und wirtschaftlichen Situation in Guatemala.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 111
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#644* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 307 | |
Dossier title | New York (UNO), Berichte des ständigen schweizerischen Beobachters bei der Organisation der Vereinigten Nationen (UNO), Band 1 (1953–1954) |
dodis.ch/9583 Der Schweizerische Beobachter bei der Organisation der Vereinten Nationen in New York, A. Lindt, an den Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, A. Zehnder1
ZENTRALAMERIKA
Die zehntägige Reise durch San Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Costa Rica, die das Programmkomitee UNICEF’s auf Einladung der Regierung dieser Staaten unternahm, vermittelte mir auch einige politische Eindrücke2. Ich bin mir bewusst, wie unvollständig diese sein müssen. Da sie sich aber auf Gespräche mit Staatspräsidenten, Kabinettsangehörigen, Diplomaten und Leute aus dem Volke stützen, mag die folgende Darstellung einen Beitrag zur Beurteilung der politischen Entwicklung eines geographischen Gebietes bilden, die in den Vereinigten Staaten einer regen Diskussion gerufen hat.
Die historische Basis für die politische Entwicklung Zentralamerikas wird gebildet durch:
a) eine chronische politische Unstabilität. Die Regierungsmacht stützt sich nicht auf eigentliche Parteien, sondern auf Interessentengruppen. Alle diese Regierungen sind wacklig und jederzeit einem Staatsstreich ausgesetzt. In jedem dieser Länder plant im Schutze des Asylrechtes der Oppositionsführer des Nachbarlandes seinen Putch [sic].
b) die schärfsten sozialen Gegensätze. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in einer Armut, wie ich sie elender in Asien nicht vorgefunden habe. Von Costa Rica, dem sozial entwickeltsten Lande, abgesehen, fehlt überall ein eigentlicher Mittelstand. Reichtum und Armut, Cadillac und verhungerter Esel, stehen sich unvermittelt gegenüber.
c) einen Nationalismus, der sich hauptsächlich in einer etwas ohnmächtigen anti-amerikanischen Einstellung äussert.
Alle diese Elemente schienen unverrückbare Gegebenheiten. Ein Wandel scheint erst während des zweiten Weltkrieges eingesetzt zu haben, als das Bedürfnis nach sozialen Reformen sich geltend machte. Die Interessentengruppen, die sich gerade an der Macht befanden, begannen einzusehen, dass ein gewisser Rückhalt im Volke die Dauer ihres Régimes verlängern könnte. Das allgemeine Bestreben geht deshalb darauf aus, durch die Durchführung eines Minimums sozialer Reformen die Aufrechterhaltung eines Maximums der bisherigen Besitzverhältnisse zu gewährleisten. Jeder Nachbarstaat, der weitergehende Sozialmassnahmen trifft, bedroht in ganz Zentralamerika das prekäre Gleichgewicht.
Diese Sünde beging die Regierung in Guatemala. Als erste packte sie das soziale Kernproblem in Zentralamerika an, die Landreform. Da diese vornehmlich den grössten Grundbesitzer, die amerikanische «UnitedFruit Company» traf, erschlug sie zwei Fliegen auf einen Schlag: sie erfüllte das Bedürfnis nach sozialen Reformen und den nationalistischen Wunsch nach einer Befreiung vom amerikanischen Einfluss. Wurde diese Massnahme, die einen so wirksamen Hebel zur Gewinnung der Massen darstellt, unter kommunistischem Einfluss getroffen?3 Meine Informationen darüber widersprechen sich. Sicher ist, dass die meisten liberalen Politiker Zentralamerikas die Landreform befürworten. Die Wirkung der Landreform in Guatemala war diese:
1. Die südlichen Nachbarstaaten, ausnahmslos von Grossgrundbesitzern regiert, fürchteten für ihren Vermögensstand und begannen die Umsturzpläne der guatemaltekischen Oppositionsführer zu fördern.
2. Die «UnitedFruit Company», aus Angst, das Beispiel Guatemalas würde Schule machen, begann eine starke Propagandakampagne gegen die Regierung Arbenz.
3. Die USA, als offizielle Vertreterin der Interessen der «UnitedFruit Company», begann einen energischen Druck auf Guatemala auszuüben.
Es scheint, dass erst im Laufe dieser Entwicklung die Regierung Arbenz sich stärker an die Kommunisten anzulehnen begann, die, eine kleine, straff organisierte Gruppe, für die von allen Seiten bedrohte Regierung einen willkommenen Alliierten bildeten. Gründlichere und fleissigere Arbeiter als die Mitglieder der Regierungspartei, verstanden sie es, Jugendverbände und Arbeitergewerkschaften zu organisieren. Formell aber besetzen sie auch heute nur zweitrangige Posten in der Regierung. Die Armee dagegen scheint von kommunistischer Penetration bis heute freigeblieben zu sein. Wenn die Regierungspartei behauptet, dass sie keine Gefahr läuft, von ihren kommunistischen Alliierten überspielt zu werden, so begründet sie dies mit der Zuverlässigkeit der Armee und mit dem Umstand, dass Russland mit Guatemala keine gemeinsame Grenze besitzt. Die historischen Beispiele der europäischen Volksdemokratien seien deshalb für Guatemala fehl am Platz.
Ich bin nicht in der Lage, die Frage nach dem Ausmass des kommunistischen Einflusses in Guatemala zu beantworten, wenn mir auch die amerikanischen Zeitungen dieses Ausmass zu übertreiben scheinen. Sicher aber ist Guatemala heute offen und eindeutig anti-amerikanisch. Dies muss in Zusammenhang mit der Einfuhr russischer Waffen gebracht werden. Mangels ausgebildeter Truppen hat diese Einfuhr das militärische Potential Guatemalas jedoch nicht wesentlich verändert. Der interamerikanische Sicherheitspakt4 würde zudem im Fall eines Angriffs Guatemalas auf seine schwachen südlichen Nachbarn eine Kollektiv-Aktion auslösen, in der die ganze militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten zum Einsatz kommen könnte. Wahrscheinlicher ist es, dass diese Waffen in die Nachbarstaaten geschmuggelt werden sollen, um dort den Oppositionsgruppen eine Machtergreifung zu ermöglichen. Dass auf diese Weise eine Zentralamerikanische Staatengruppe unter der Führung Guatemalas geschaffen werden könnte, lässt sich nicht vollständig ausschliessen. Eine militärische Bedrohung des Panamakanals5, die Dulles an die Wand malte, lässt sich aber auch in diesem hypothetischen Falle nicht vorstellen. Denn auch dieses Mächtegefüge wäre militärisch ein jämmerlicher Zwerg, mit dem im Kriegsfalle die Vereinigten Staaten in wenigen Stunden fertig werden könnten.
Politisch aber hätte eine derartige Entwicklung zur Folge, dass die Vereinigten Staaten auf die Zentralamerikanischen Stimmen in den panamerikanischen Kongressen und in den Vereinigten Nationen nicht mehr zählen könnten.
Washington hat bis jetzt seine übliche «diplomatische» Taktik angewendet, mit Worten energisch zu drohen, aber nichts zu unternehmen. Gelingt – von einem der südlichen Nachbarländer aus – die Organisation eines Staatsstreiches, und führt dieser zum Sturz Arbenz6 und zur Annullierung der Sozialreformen, werden zahlreiche wertvolle Elemente Zentralamerikas zur Überzeugung gelangen, dass nur der Kommunismus Abhilfe schaffen kann. Denn in der dünnschichtigen öffentlichen Meinung dieser Länder gilt die Regierung Arbenz nicht als kommunistisch, sondern lediglich als sozial fortschrittlich. Amerika läuft auch hier – wie in Asien – Gefahr, als Verteidiger des reaktionären status quo zu gelten.
Bleibt die Frage nach der Zielsetzung der kommunistischen Parteien. Ob verboten oder nicht, sie bestehen in allen diesen Ländern, geführt von jungen, fähigen Intellektuellen, die in Amerika oder Europa studiert haben. Moskau muss wissen, dass eine offene kommunistische Machtergreifung in jedem dieser Staaten nicht von Dauer sein kann. Deshalb macht es den Anschein, als ob die Parole der zentralamerikanischen Kommunisten darin besteht, im Hintergrunde zu bleiben und alle politischen Gruppierungen tatkräftig zu unterstützen, die durch die eine oder andere Massnahme in Gegensatz zum Hegemonie-Anspruch Washingtons getreten sind7.
- 1
- Schreiben: E 2300(-)-/9001/307. Handschriftliche Anmerkung von M. Petitpierre: En circulation.↩
- 2
- A. Lindt war neben seiner Aufgabe als schweizerischer Beobachter bei der UNO, Präsident des Exekutivkomitees des UNICEF. Zuvor war er Präsident des Programmkomitees des UNICEF gewesen.↩
- 3
- Vgl. den politischen Bericht Nr. 1 von P. F. Brügger an M. Petitpierre vom 15. Mai 1954, E 2300(-)-/-/114 (dodis.ch/9332).↩
- 4
- Es handelt sich um den interamerikanischen Verteidigungspakt von Rio de Janeiro vom 30. August 1947. Vgl. DDS, Bd. 16, Dok. 69, dodis.ch/294, Anm. 4. Zur Organisation amerikanischer Staaten (OAS) vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 72, dodis.ch/4185, Anm. 1.↩
- 5
- Vgl. Anm. 3.↩
- 6
- J. Arbenz Guzman wurde am 18. Juni 1954 durch einen Rechtsputsch des Exilpolitikers Oberst Carlos Castillo Armas mit massiver Unterstützung der USA gestürzt.↩
- 7
- Zur Beschlagnahmung einer Lieferung von schweizerischer Übungsmunition für Guatemala durch die amerikanische Besatzungsmacht im Hafen von Hamburg vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 108, dodis.ch/9325.↩
Tags
Honduras (Politics) Nicaragua (Politics) UNO – General Guatemala (Politics) Costa Rica (Politics)