Darstellung der Vorgänge im Sicherheitsrat betreffend den Appell Guatemalas. Amerika setzt sich damit durch, die Behandlung der Klage an die Panamerikanische Union abzuschieben. Dies löst bei den Vereinten Nationen Befremden aus.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 112
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1970/217#5999* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1970/217 302 | |
Dossier title | Guatemala (1951–1957) | |
File reference archive | B.73.0.0 • Additional component: Guatemala |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2003-04#1970/346#155* | |
Old classification | CH-BAR E 2003-04(-)1970/346 175 | |
Dossier title | Guatémala (1954–1954) | |
File reference archive | F.01.3.78 |
dodis.ch/9377
Der Schweizerische Beobachter bei der Organisation der Vereinten Nationen in New York, A. Lindt, an den Chef der Abteilung für Internationale Organisationen des Politischen Departements, P. Micheli1
GUATEMALA
In der Beilage sende ich Ihnen eine Darstellung der Vorgänge im Sicherheitsrate, der sich am 20. Juni mit dem Appell Guatemalas zu befassen hatte2. Nachstehende Ausführungen betreffen die prinzipielle Bedeutung dieser Vorgänge.
Wie mir Hammarskjöld während der Debatte mitteilte, war er erst kurz vor der Sitzung von Botschafter Lodge über den amerikanischen Plan informiert worden, die Behandlung des Appells Guatemalas an die Organisation der amerikanischen Staaten abzuschieben3. «You can’t do that», sagte H. «It is the only thing to do», antwortete Lodge. H. hoffte, dass die Engländer seine Einwände teilen würden, stellte aber fest, dass sie Instruktion erhalten hatten, in dieser Frage dem amerikanischen Willen zu folgen. Alles sei dem Bestreben unterzuordnen, die Kluft zu schliessen, die anlässlich Indochinas zwischen London und Washington entstanden war. Mit der selbstverständlichen Ausnahme der Sowjetunion fügten sich die übrigen Mitglieder des Rates dieser anglo-amerikanischen Führung. Nach H. gefährdet dies das Ansehen des Sicherheitsrates.
Das amerikanische Vorgehen, auf die Klage eines Kleinstaates nicht eintreten zu wollen und sie an eine regionale Organisation zu verweisen, in der Washington dominiert, hat in den Vereinigten Nationen Befremden ausgelöst. Folgende Fragen werden aufgeworfen:
1. Verliert ein Staat, der einer regionalen Organisation angehört, das Recht, seine Klage direkt vom Sicherheitsrat behandeln zu lassen? Ist dies der Fall, schrumpft die Kompetenz des Sicherheitsrates auf ein bescheidenes Mass zusammen. Staaten, die aus irgend einem Grunde im Gegensatz zu ihrer regionalen Organisation geraten, sind dieser rettungslos ausgeliefert. Dies könnte sich zu Ungunsten des Westens auswirken, wenn ein östlicher Satellitenstaat sich in Opposition zur Kominform stellte und darauf von seinen kommunistischen Nachbarn angegriffen würde.
Nach dem Generalsekretär kann rechtlich nicht bezweifelt werden, dass diese Auslegung dem Sinne der Charta der Vereinigten Nationen widerspricht. Artikel 52, Paragraph 4, sagt ausdrücklich, dass durch die Anerkennung der regionalen Organisationen die Befugnisse des Sicherheitsrates nicht beschnitten werden. Washington hat einmal mehr die Sowjetunion in eine Lage manövriert, in der sie die Wahrheit sagen konnte.
2. Widerspricht die amerikanische Forderung «Hände weg von der westlichen Hemispähre» nicht der amerikanischen Grundauffassung, dass eine Teilung der Welt in Interessensphären unannehmbar sei? Amerika provoziert damit den russischen Ruf «Hände weg von der östlichen Hemisphäre».
3. Noch am 18. Juni hatte Amerika im Sicherheitsrat mit Entschiedenheit das Recht des asiatischen Kleinstaates Thailand verteidigt, die Entsendung einer «Peace Observation Commission» zu verlangen. Dabei war Thailand nicht angegriffen, sondern fühlte sich nur bedroht. Dem amerikanischen Kleinstaat Guatemala aber, der nicht nur bedroht, sondern angegriffen ist, spricht Washington dieses Recht ab, das nur eine Feststellung der Tatsachen anstrebt. Warum misst Washington mit so verschiedenen Ellen?
Die Delegationschefs, die sich einen gesunden Zynismus angewöhnt haben, stossen sich nicht daran, dass Washington in dieser Frage Machtpolitik betreibt. Sie werfen Washington aber vor, dass es mitten im kalten Kriege nicht geschickter operiert habe und es offensichtlich übersah, dass es auf lange Sicht der kommunistischen Propaganda wertvolle Munition in die Hand spielt. Einige Auswirkungen sind aber schon heute eingetreten. Die Asiaten, wie Inder und Indonesier, sehen sich in ihrer Skepsis gegenüber den Motiven der amerikanischen Politik bestärkt. Die Latein-Amerikaner sind durch die amerikanische Haltung in zwei feindliche Gruppen aufgespalten worden, wobei die eine – darunter auch Mexiko – etwas unlustig Washington verteidigt, die andere – hauptsächlich Uruguay, Chile und Argentinien – von amerikanischem Kolonialismus spricht.
Heute, da Guatemala von neuem an den Sicherheitsrat gelangt ist, scheint es wahrscheinlich, dass Amerika sich über seine Taktik klar zu werden hat. Hoppenot sagte mir heute Abend: «Wenn der russische Vertreter den formellen Antrag nach Entsendung einer Beobachtungskommission nach Guatemala stellt, wird es für die Westmächte beinahe unmöglich sein, sich dem zu widersetzen. Wäre es nicht klüger, wenn wir selbst den Antrag stellen würden?»
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2001-04(-)1970/346/175.↩
- 2
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 111, dodis.ch/9583 und das Schreiben von A. Lindt an M. Petitpierre vom 15. Juni 1954, nicht abgedruckt (dodis.ch/9583).↩
- 3
- Vgl. den politischen Bericht Nr. 3 von M. Fumasoli an M. Petitpierre vom 23. März 1954, E 2300(-)-/9001/99 (dodis.ch/9379). Vgl. auch DDS, Bd. 17, Dok. 72, dodis.ch/4185, Anm. 1.↩
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