Skepsis Zehnders zur Gründung einer schweizerischen Sektion der europäischen Liga zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Diese sei zu nahe am Europarat und der Westunion, als dass die schweizerischen Vertreter wirksam arbeiten könnten.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 98
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1967/113#15811* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1967/113 864 | |
Dossier title | Ligue européenne de coopération économique, Bruxelles (1951–1951) | |
File reference archive | B.64.127 |
dodis.ch/8541 Der Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, A. Zehnder, an den Generaldirektor der Schweizerischen Kreditanstalt, E. Reinhardt1
Ich danke Ihnen sehr für Ihren interessanten Bericht vom 5. d. M.2 über die Brüsseler-Zusammenkunft der Ligue européenne de coopération économique. In der Zwischenzeit haben sich auch unsere diplomatischen Vertretungen in Frankreich3 und Belgien4 zu der Angelegenheit geäussert.
Wie sie, so hat auch Herr Minister Lardy von der jüngsten Veranstaltung einen im allgemeinen günstigen Eindruck erhalten. Er, wie auch die Gesandtschaft in Paris, wissen über die Liga Vorteilhaftes zu berichten. Weniger befriedigt von den Resultaten der letzten Konferenz scheinen die Organisatoren selber gewesen zu sein: nach ihnen sind die Resolutionen, die gefasst wurden, allzu allgemein und nichtssagend ausgefallen. Bei der vorsichtigen und zurückhaltenden Einstellung der Engländer werden sich meines Erachtens jedoch andere Ergebnisse noch auf lange Zeit hinaus kaum erwarten lassen.
Was die Gründung einer Schweizer Sektion der Liga anbetrifft, so frage ich mich, ob man sich nicht besser weiterhin abwartend verhalten sollte. Die wirtschaftlichen Integrationsprobleme, die sich für Europa stellen, werden ja bereits ausgiebig in schon bestehenden Vereinigungen (z. B. der Internationalen Handelskammer) diskutiert; dort, wie auch anderswo, haben wir Gelegenheit, die Sonderstellung, in der wir uns befinden, darzulegen. Wenn ich auch keineswegs verkenne, dass sich aus einer schweizerischen Beteiligung an der Liga an sich willkommene Kontakt- und Aufklärungsmöglichkeiten ergeben könnten und dass auch wir ein Interesse haben, uns über die Einigungsbestrebungen zu orientieren und allenfalls darauf einen gewissen Einfluss auszuüben, so scheint mir doch diese Neugründung einer unbedingten Notwendigkeit nicht zu entsprechen. Eines ihrer Ziele scheint übrigens die Förderung des Zuständigkeitsbereichs des Europarats zu sein. Nachdem die Schweiz diesen Bestrebungen, soweit sie den politischen Bereich betreffen, bekanntlich ablehnend gegenübersteht5, könnte sich auch die schweizerische Sektion der Liga schon bald in die Stellung eines Mitgliedes gedrängt sehen, das in den Augen der übrigen Beteiligten vielleicht etwas allzu sehr durch die Betonung der schweizerischen Sonderstellung auffallen würde. Erfahrungsgemäss ist es aber besser, solchen, für die Sektion wenig angenehmen und dem Ansehen des Landes keineswegs förderlichen Situationen auszuweichen.
Sie sehen, dass sich meine ursprünglich eher positiv gehaltene Einstellung bei näherer Prüfung aller Gesichtspunkte etwas gewandelt hat: einmal vermag mich die neue Doppelspurigkeit im Studium europäischer Wirtschaftsfragen nicht recht zu befriedigen. Und sodann gibt mir auch die enge Verknüpfung der Liga mit Europaunion6 und Europarat zu denken. Ich bin mir dabei durchaus bewusst, dass eine schweizerische Sektion rein privaten Charakter aufweisen würde; sie könnte daher die Schweiz in keiner Weise verpflichten. Ihre Äusserungen werden unter Umständen aber doch als schweizerische Stellungnahme gewertet werden und entsprechend vorsichtig abzufassen sein. Ob derartige, mit gewichtigen Vorbehalten belastete Formulierungen unseren Interessen dienen, wage ich zu bezweifeln.
Ich bin gerne bereit, die Sache gelegentlich auch noch mündlich mit Ihnen zu behandeln.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2001(E)1967/113/864. Paraphe: ND.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. die Schreiben von G. Bauer an A. Zehnder vom 21. Mai 1951. Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Vgl. das Schreiben von E. Lardy an A. Zehnder vom 30. Mai und 6. Juni 1951. Nicht abgedruckt.↩
- 5
- M. Petitpierre hat einige Tage zuvor im Nationalrat Stellung zum Europarat bezogen. Vgl. die Antwort von M. Petitpierre vom 14. Juni 1951 auf die am 12. April 1951 eingereichte Interpellation von E. Boerlin, NR-Prot. vom 14. Juni 1951, E 1301(-)-/ I/402, S. 358–379, insbesondere S. 375–377. Für die Begründung der Interpellation durch Boerlin vgl. E 1301 (-)-/ I/402, S. 356–358 (beide dodis.ch/8741).↩
- 6
- Es handelt sich hierbei wahrscheinlich um die Westunion, das im März 1948 durch den Brüsseler Vertrag begründete kollektive Selbstverteidigungsbündnis mit Frankreich, Grossbritannien und den Benelux-Staaten. Die Westunionstaaten haben am 26. Januar 1949 die Bildung des Europarats beschlossen.↩
Tags
Non Governmental Organisations (NGO)