Darin: Schreiben von E. Stadelhofer an P. Micheli vom 16.10.1970 (Beilage).
Printed in
Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, vol. 21, doc. 43
volume linkBern 2023
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2806* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1988/16 696 | |
Dossier title | Administrative Fragen 1.1.1958 - 31.12.1970 (1958–1970) | |
File reference archive | B.73.0.3 • Additional component: Korea, Republik |
dodis.ch/65669Notiz des schweizerischen Botschafters in Tokio, Stadelhofer1
Niederschrift des mündlichen Berichts über die Zwischenfälle in Panmunjom vom 9. und 12. Oktober 1970
Am 9. Oktober vormittags hielten sich in der Conference Area (Gebiet, für dessen Sicherheit die Amerikaner und die Nordkoreaner gemeinsam verantwortlich sind) 3 Nordkoreaner und 3 Amerikaner, die dort Dienst leisteten, auf. Die Nordkoreaner drückten den Wunsch aus, eine Foto zu machen, worauf die Amerikaner sich in Position stellten. Sofort nach dem Knipsen wies einer der Nordkoreaner darauf hin, dass einer der Amerikaner nicht die obligatorische Armbinde trage. Darauf versuchen die Amerikaner, dem Nordkoreaner die Kamera aus der Hand zu schlagen, und es kam zu einer Keilerei ohne weitere Folgen.
Am 12. Oktober 09.30 h, kurz vor Beginn der Sitzung der vier Sekretäre der neutralen Überwachungskommission, hörte Hauptmann Böckli, der sich im Büro aufhielt, Lärm. Nach Verlassen des Raumes sah er, wie 5 Nordkoreaner und 5 Amerikaner im Handgemenge waren. Ein Nordkoreaner trug wiederum eine Kamera auf sich, ein anderer hatte bereits eine blutige Nase. Die erste Phase des Kampfes war relativ harmlos. Die Nordkoreaner gaben Alarm, worauf eine Verstärkung von etwa 30 Mann auf dem Platz erschien und ebenso 10 Amerikaner. Man spürte, dass es nun zu einem ernsten Streit kommen würde. Nachträglich erfuhr Hauptmann Böckli, die Differenz habe damit begonnen, dass ein Amerikaner einem Nordkoreaner den Fotoapparat aus der Hand schlagen wollte, obschon es ohne weiteres erlaubt sei, in der Conference Area Aufnahmen zu machen. Nach wenigen Minuten ergab sich eine Unterbrechung durch das Erscheinen eines amerikanischen und eines nordkoreanischen Offiziers, die sich einander gegenüberstellten. Fast zur gleichen Zeit traf eine weitere nordkoreanische Verstärkung von etwa 20 Mann ein. Das veranlasste das Herbeirufen von amerikanischen Verstärkungen, bis zu deren Eintreffen es indes normalerweise 13 Minuten dauert. Der nordkoreanische Offizier versuchte dem amerikanischen Leutnant klarzumachen, dass einer der Amerikaner wiederum keine Armbinde habe. Beide waren sehr erregt. Der Nordkoreaner beherrschte sich indes besser als sein amerikanisches Pendant, Leutnant Cooley. Letzterer sagte zum nordkoreanischen Offizier «fuck off». (Dr. Böckli hörte es persönlich mit seinem Nachfolger, Hauptmann Zaugg. Beide sollen sich in 5 m Distanz befunden haben.) Der nordkoreanische Offizier machte darauf einen weiteren Versuch, dem amerikanischen Kollegen den Grund der Beanstandung klar zu machen, indem er auf seine Armbinde wies. Es scheint, dass Leutnant Cooley die Geste missverstand, weshalb er dem Nordkoreaner auf die Finger schlug, was wie ein elektrischer Funke wirkte und die rund 50 Nordkoreaner veranlasste, sich wie auf ein Kommando auf die 15 anwesenden Amerikaner zu stürzen. Es gab ein Handgemenge mit Boxen und Fusstritten. Als am Nordende der Conference Area mit der Errichtung eines neuen Gebäudes beschäftigte nordkoreanische Arbeiter die Keilerei sahen, griffen sie beinahe spontan mit Spaten, Röhren und Leitern ein und stürzten sich vom erhöhten Bauplatz in das Getümmel.
In der Zwischenzeit waren zwei Amerikaner zu Boden geschlagen worden. Zuerst wurden sie mit Fusstritten in den Körper und auf den Kopf bedacht und erlitten leichtere Verletzungen. Zwei der herbeigeeilten Arbeiter stürzten sich nun auf die am Boden liegenden Amerikaner und schlugen mehrmals mit Spaten auf deren Köpfe ein. Einer von ihnen wurde dadurch schwer verletzt und wies Zeichen eines offenen Schädels auf. Es gelang, ihn bis zur Tür eines der nächstgelegenen Gebäude zu schleppen, worauf ein anderer Nordkoreaner mit Spaten und später mit einer Zementkelle den Weg zu sperren versuchte. Als Oberleutnant Jörg von der Schweizer Delegation, der sich offiziell während der Sitzungszeit in der Conference Area aufhalten muss, sich Rechenschaft gab, was geschah, stellte er sich zwischen die Kämpfenden und hielt seinen Arm ausgebreitet über den am Boden liegenden Amerikaner, um ihn zu schützen. Drei Schläge mit Spaten, die dem amerikanischen Soldaten gegolten hatten, fing Oberleutnant Jörg mit seinem Körper auf. Ein Spatenschlag traf ihn am Ellbogen und verursachte eine tiefe, aber ungefährliche Fleischwunde. Zwei weitere Schläge mit anderen Instrumenten zielten auf seine Schultern und auf seinen Oberkörper. Es gelang, den verletzten Amerikaner ins Haus zu verbringen. Wahrscheinlich rettete Oberleutnant Jörg ihm wirklich das Leben.
Von den beiden am schwersten verletzten Amerikanern, die sich in Spitalpflege befinden, dürfte einer völlig wiederhergestellt werden, der andere voraussichtlich bleibende Gehirnschäden erlitten haben. Die andern betroffenen Amerikaner und Nordkoreaner wurden ambulant behandelt.
Die dritte Phase bestand darin, dass ca. 10.00 h, als eben das Secretary Meeting begonnen hatte, die angeforderten amerikanischen Verstärkungen eintrafen. Plötzlich bemerkte Hauptmann Böckli durch ein Fenster des Konferenzraums, wie 30 Amerikaner auf den nordkoreanischen Check Point stürzten. Es kam erneut zu einem Handgemenge, diesmal steckten die Nordkoreaner am meisten Schläge ein. Die Amerikaner zogen sich zurück. Hierauf erfolgte bandenmässiger Angriff von seiten der Mordkoreaner [sic] auf amerikanischen Check Point. Steine und Ziegelsteine wurden geworfen; das kleine Gebäude wurde erheblich beschädigt.
11.30 h war es auf der Conference Area wieder ruhig geworden. Hauptmann Böckli geht ins Schweizer Lager, wo sich etwa 100–200 amerikanische Soldaten befanden. Sie hatten sich dorthin als potentielle Reserve begeben, waren aber unbewaffnet. Ohne dass ein Offizier vorhanden gewesen wäre, drangen sie in die schweizerische Küche ein. Sie steckten die dort befindlichen Messer, Gabeln etc. in ihre Taschen, um bei einer neuen Schlägerei über gewisse Kampfinstrumente zu verfügen. Nur mit einigermassen Mühe gelang es Herrn Oberli, die Küchenutensilien wieder an sich zu bringen.
Oberleutnant Jörg wurde in einem nahe gelegenen Militärspital ambulant behandelt und kehrte 16.00 h wieder ins Schweizer Camp zurück.
Den Mitgliedern der schweizerischen Delegation ist es aufgefallen, dass auf amerikanischer Seite eine gewisse Ratlosigkeit herrschte, der einzige anwesende Offizier sehr nervös war und die 100–200 Mann, die sich im Schweizer Camp aufhielten, ohne jede Führung durch einen vorgesetzten Offizier waren.
Hauptmann Böckli schloss seine Schilderung mit der Erklärung, es habe ihn am meisten beeindruckt, die Wahrnehmung machen zu müssen, wie durch den anerzogenen Hass gegen die Amerikaner und die Eskalation der Emotion bedingt, sich auf den Gesichtern der Nordkoreaner offene Mordlust gezeigt habe.
- 1
- CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2806* (B.73.0.3). Diese Notiz wurde vom schweizerischen Botschafter in Tokio, Emil Stadelhofer, verfasst. Botschafter Stadelhofer stützte sich dabei auf die mündlichen Darlegungen des stv. Chefs der schweizerischen NNSC-Delegation, Hauptmann Hans-Rudolf Böckli, der ihm nach Beendigung seiner Tätigkeit in Panmunjom auf der Rückreise in die Schweiz über die Ereignisse Bericht erstattete, vgl. das Begleitschreiben von Botschafter Stadelhofer an den Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des EPD, Botschafter Pierre Micheli, vom 16. Oktober 1970, Faksimile dodis.ch/65669.↩
Tags
Neutral Nations Supervisory Commission (NNSC)