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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1992, doc. 21
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2200.38#2000/248#225* | |
Dossier title | Exposition 1992, Sevilla (Liasse 1) (1985–1992) | |
File reference archive | 782.3 • Additional component: Spanien |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7001C#2000/124#755* | |
Dossier title | Weltausstellung in Sevilla (1992–1992) | |
File reference archive | 2130-1 |
dodis.ch/61383Der schweizerische Botschafter in Madrid, Wermuth, an den Vorsteher des EVD, Bundesrat Delamuraz1
«EXPO 92» Sevilla. Schweizer Pavillon
Im September des vergangenen Jahres hat mich der Bundesrat zum Generalkommissär des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung «EXPO 92» in Sevilla ernannt.2 Im Hinblick auf die offenbar bevorstehende Debatte in den eidgenössischen Räten3 halte ich nun den Zeitpunkt für gekommen, dass auch ich Ihnen im Sinne eines Zwischenberichts meine Wahrnehmungen kurz bekannt gebe.4
Seit der Eröffnung der Ausstellung (20. April) weilte ich nämlich dreimal während insgesamt 14 Tagen in Sevilla und hatte dabei Gelegenheit, mich intensiv mit unserem Pavillon und der Reaktion der Besucher vertraut zu machen. Dazu kommt, dass ich im Verlaufe dieser Tage auch verschiedene Pavillons anderer Länder besuchte.5 Die während meiner Aufenthalte in Sevilla gewonnenen Eindrücke und der Umstand, dass ich bei der Ausarbeitung des Konzeptes unseres Pavillons nicht beteiligt war, erlauben mir heute ein einigermassen objektives und unbefangenes Urteil.
Was das äussere Erscheinungsbild anbelangt, präsentiert sich unser Pavillon erstklassig. Der filigranartige Kartonturm von 38 Metern Höhe dominiert in seiner Eleganz die Skyline der Ausstellung und ist zusammen mit dem aus schlichtem Holz gezimmerten Gradin zu einem Anziehungspunkt der Ausstellung geworden.
In bezug auf den Inhalt des Pavillons haben die mit der Verwirklichung des Projektes beauftragten Verantwortlichen6 den ihnen mit der Botschaft an das Parlament übertragenen Auftrag konsequent erfüllt.7 Frei von Klischees wird im Schweizer Pavillon unser Land in einer unüblichen, unerwarteten und «frechen» Art und Weise dargestellt.8 Gleich beim Eingang zur eigentlichen Ausstellung wird der Besucher mit der plakativen Anschrift «Suiza no existe» konfrontiert. Diese Anschrift – mit der auch ich anfänglich einige Mühe bekundete – hat nun offenbar viele Schweizer Besucher, vor allem der älteren Generation, verärgert. Das Gleiche gilt in bezug auf die kurze «staatskundliche», räumlich und grafisch hervorragende Darstellung der Schweiz. Neben blossen Fakten werden hier unter anderem mit wechselnden Leuchtschriften Sequenzen eingeblendet, die verschiedene typisch schweizerische Tabus kritisch beleuchten. Meines Erachtens hätte dabei neben dem Hinweis auf die Ablehnung des UNO-Beitritts durch über 70% der Schweizer Bürger9 und 37% Zustimmung zur Armee-Abschaffungs-Initiative10 beispielsweise auch das Resultat des 40-Stunden-Wochen-Referendums11 eingeblendet werden können. Die Spanier hätten wohl gestaunt, dass es ein Volk gibt, das freiwillig für die Beibehaltung einer längeren Arbeitszeit stimmt! Das gesagt: Auch mit dieser Kritik sollten wir leben können, zumal der Besucher beim Verlassen des Pavillons durch die Anschrift «je pense, donc je suisse» versöhnlich gestimmt wird.
In den übrigen Ausstellungsräumen des Pavillons werden – abgesehen von einigen Objekten schweizerischer Volkskunst – konsequent Werke und Darbietungen des modernen schweizerischen Kunstschaffens präsentiert. Über Kunst und insbesondere moderne Kunst lässt sich bekanntlich diskutieren. Die Exponate sind jedoch, besonders in ihrer Abfolge betrachtet, derart humorvoll verspielt, dass auch der mit der Moderne nicht vertraute Besucher daran Gefallen finden kann. Dazu kommt, dass die Einheimischen ein besonders enges Verhältnis zur Kunst haben, Beweis dafür sind die überfüllten Museen Spaniens. Neben den Exponaten wird unser Pavillon während der ganzen Ausstellungsdauer durch sich ablösende Schweizer Künstler (Musikanten, Clowns, Tänzer, etc.) belebt, sei es auf dem Gradin oder im Theatersaal. Es liegt in der Natur der Dinge, dass der Wert dieser Manifestationen je nach Zeitpunkt des Besuches von unterschiedlicher Qualität ist. Von den hervorragenden Mummenschanz während der Eröffnungswoche bis zu meines Erachtens auch dilettantischen Darbietungen habe ich mir während meiner Aufenthalte in Sevilla Verschiedenes angesehen. Beim Ausstellungsbesucher und wiederum besonders bei den Spaniern stossen diese Darbietungen jedoch auf ein positives Echo.12 Erstklassig sowohl im kulinarischen Angebot wie auch in der künstlerischen Ausschmückung präsentiert sich unser Restaurant. Es zählt zu den drei besten Gaststätten der Ausstellung und erfreut sich einer guten Auslastung.
Fazit: Unser Pavillon in Sevilla erregt sowohl was sein äusseres Erscheinungsbild anbelangt wie auch durch seinen Inhalt und Darbietungen Aufsehen. Der Schweizer Pavillon überrascht, erfreut, provoziert und stösst gelegentlich auf Ablehnung. Das den Kulturverantwortlichen vorschwebende kant’sche Leitmotiv der «Cur der Narretei» wurde konsequent umgesetzt, ich möchte beifügen mit der Freiheit des Narren.
So ist es denn nicht verwunderlich, dass unser Pavillon da und dort als elitär und heute seitens der Verantwortlichen als erklärungsbedürftig bezeichnet wird.13 Dem wäre entgegenzuhalten, dass im Pavillon ein reiches Angebot an Führungen besteht, von dem allerdings wohl nur 10% der Besucher Gebrauch machen. Dies ist bei einer Fülle von über 100 Pavillons und einer an Weltausstellungen üblichen durchschnittlichen Besuchszeit pro Pavillon von ca. 15 Minuten weiter nicht verwunderlich. Meinen Bekannten, Freunden und hohen Besuchern aus der Schweiz empfehle ich stets, den Pavillon vorerst in aller Ruhe alleine zu besuchen, zumal ich davon ausgehe, dass dessen Inhalt und Botschaft für einen Landsmann ohne längere Erklärungen verständlich sein sollte. Alles in allem: Der Schweizer Pavillon ist sowohl in seiner äusseren Form wie seiner Botschaft gewagt, unkonventionell, wird diskutiert und findet grosse Beachtung. Wie ich im Verlaufe verschiedener Gespräche mit Ausstellungsbesuchern und im Quervergleich mit den Pavillons anderer Länder feststellen konnte, hebt er sich vorteilhaft vom Durchschnitt ab.14
- 1
- CH-BAR#E7001C#2000/124#755* (2130-1). Dieses Schreiben wurde vom schweizerischen Botschafter in Madrid, Roland Wermuth, unterzeichnet und richtete sich an den Vorsteher des EVD, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, in seiner Funktion als Stellvertreter des krankheitshalber abwesenden EDA-Vorstehers, Bundespräsident René Felber. Bundesrat Delamuraz bedankte sich in seinem Antwortschreiben vom 1. Juli 1992 bei Botschafter Wermuth für dessen Schilderungen, die zu einer «umfassenderen und zugleich beruhigenderen Beurteilung der Sachlage» verhelfen würden – dies nachdem der Schweizer Pavillon an der Weltausstellung in Sevilla zu Kritik in der Schweizer Öffentlichkeit geführt hatte. Trotzdem stellte Bundesrat Delamuraz die Prüfung von Verbesserungen am Schweizer Pavillon in Aussicht, vgl. das Dossier CH-BAR#E2200.38#2000/248#225* (782.3).↩
- 2
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 1815 vom 23. September 1991, dodis.ch/62508.↩
- 3
- Für die Diskussionen in National- und Ständerat vom 9. bzw. 12. Juni 1992 vgl. dodis.ch/61174 bzw. dodis.ch/60987.↩
- 4
- Am 23. April 1992 hatte der Aargauer Unternehmer Otto Suhner einen kritischen Bericht über den Schweizer Pavillon an Nationalrat Rolf Mauch geschickt, vgl. dodis.ch/62301. Dieser hatte wiederum den Bericht am 1. Mai 1992 an alle Mitglieder des Bundesrats weitergeleitet, vgl. dodis.ch/62303.↩
- 5
- Für eine Einschätzung der verschiedenen Länderpavillons in Sevilla durch die Koordinationskommission für die Präsenz der Schweiz im Ausland vgl. dodis.ch/62233.↩
- 6
- Die beiden künstlerischen Leiter des Schweizer Pavillons waren Adolf Burkhardt und Harald Szeemann. Diese hatten am 16. Mai 1992 ebenfalls auf den Bericht von Suhner reagiert, vgl. dodis.ch/62232.↩
- 7
- Für die Botschaft zur Teilnahme der Schweiz an der Weltausstellung «EXPO’92» in Sevilla und an der Spezial-Weltausstellung «Christoph Kolumbus, das Schiff und das Meer» in Genua im Jahre 1992 vom 24. Oktober 1990 vgl. dodis.ch/55854.↩
- 8
- Vgl. dazu dodis.ch/55854, S. 1038.↩
- 9
- Für die Volksabstimmung über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen vom 16. März 1986 vgl. die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T1772.↩
- 10
- Für die Volksinitiative «für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik» vom 26. November 1989 vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2240.↩
- 11
- Am 5. Dezember 1976 stimmten alle Stände sowie 78,04% des Volks gegen die Volksinitiative für die «Einführung der 40-Stunden-Woche», vgl. BBl, 1977, I, S. 532–538.↩
- 13
- Im Juni 1992 wurden an einer Sitzung unter Vorsitz des Generalsekretärs des EDA, Rudolf Schaller, Massnahmen beschlossen, um die Inhalte des Schweizer Pavillons «lesbarer und verständlicher» zu machen, vgl. die Informationsnotiz des EDA an den Bundesrat vom 23. Juni 1992, dodis.ch/62200.↩
- 14
- Für die schweizerische Beteiligung an anderen Weltausstellungen vgl. die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T1507.↩