Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 1991, doc. 33
volume linkBern 2022
Dettagli… |▼▶2 collocazioni
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2200.170#2003/176#44* | |
Titolo dossier | Prise d'otages, détenus (1990–1991) | |
Riferimento archivio | 412.1 |
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E2010A#2001/161#2551* | |
Titolo dossier | Iran-Amerika, Band 2 (1991–1991) | |
Riferimento archivio | B.22.52(Am) • Componente aggiuntiva: Iran |
dodis.ch/58395Gespräche von EDA-Staatssekretär Jacobi u. a. mit UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar in Genf1
[Operation «Grand Nettoyage»]2
1. J[acobi] erläutert schweizerisches Engagement in Geiselfrage seit April 1990, wobei folgende Punkte erwähnt werden:
– unbeantwortete Vorleistungen der Gruppen (Reed/Polhill)3
– unbeantwortete Vorleistungen Israels (Freilassung von 40 Gefangenen)
– intensive Kontakte der Schweiz mit USA, Iran, Israel; Beschränkung unserer Gesprächspartner auf Regierungen
– Bedeutung der Schweiz für Kontakte USA–Iran;4 Interesse USA an diesem Kanal für Lösung Geiselfrage
– Schweizerische Operation befasst sich
- a) mit Frage westlicher Geiseln im Libanon und den ohne Gerichtsurteil gefangen gehaltenen Personen in Israel (Ausschluss der beiden deutschen5 und der italienischen6 Geiseln, sowie der rechtmässig verurteilten Palästinenser in europäischen Gefängnissen).
- b) Information über Vermisste und Austausch von Leichen
– Schweizerische Erkenntnis, dass Schlüssel für Deblockierung Geiselfrage Lebenszeichen von Ron Arad ist.7
– Wenn ein solches einmal vorhanden sein sollte: phasenweiser Austausch aller Leichen, Geiseln und Gefangenen.
2. J[acobi] stellt folgende, durch jüngste Ereignisse aufgeworfene Fragen zur Diskussion:
– Brief Jihad an Pérez: Erweiterung der Forderung auf palästinensische, in Europa verurteilte Gefangene.8
– Problem der Doppelspurigkeiten CH–UNO, welche verhindert werden müssen.9
3. P[érez de Cuéllar] kommt seinerseits auf folgende Aspekte zu sprechen:
– Langjähriges Engagement der UNO in der Geiselfrage (seit Mitte der 80er Jahre).
– Er, Pérez de Cuéllar, habe ein persönliches Mandat, sich der Frage anzunehmen. Die Zeit dränge, soll das Problem bis zu seinem Rücktritt gelöst sein.
P[érez de Cuellar] stimmt Forderung nach Vermeidung von Doppelspurigkeiten zu. Verschiedene Kanäle (UNO, Schweiz, Schweden) haben in Vergangenheit eher zu Verzögerungen geführt. Man müsse verhindern, das Instrument der einen oder andern Gruppe zu werden. Ein erneutes Gespräch P[érez de Cuéllar]'s mit dem iranischen UNO-Botschafter in New York10 (12.8.91, 1900 h) und mit Lubrani (Mittwoch 14.8. mittag) sollte eventuell Klärung bezüglich allfälliger Aufgabenteilung Schweiz/UNO bringen. P[érez de Cuéllar] erwartet offenbar von Lubrani konkrete Geste Israels. Für Mittwoch nachmittag ist ein weiterer Kontakt P[érez de Cuéllar] resp. Picco–J[acobi] vorgesehen.
– P[érez de Cuéllar] teilt Sorge um Ausweitung der Forderung auf Palästinenser in Europa. UNO-Plan schliesst aber offenbar die beiden Deutschen und den Italiener ein. Die Forderung des Jihad wird auch als Indiz für unvollständige Kontrolle der Gruppen durch Iran gewertet. (In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu wissen, was Iran von den im Brief an P[érez de Cuéllar] enthaltenen Forderungen hält).
– UNO Plan sieht im wesentlichen vor: Obeid11 + 400 Gefangene gegen westliche Geiseln plus Informationen über vermisste Israelis.
– Einerseits nimmt Ron Arad in diesem Plan einen weniger ausgeprägten Stellenwert ein als in schweizerischen Überlegungen. Nach P[érez de Cuéllar] «il s’agit pour Israel de recevoir une preuve concrète, visible et tangible de bonne foi envers Israël». Anderseits haben offenbar Iraner gegenüber P[érez de Cuéllar] die Existenz Ron Arads nie so kategorisch verneint wie gegenüber uns.
1. Picco berichtet über Unterredung zwischen Pérez de Cuéllar (PC) und Lubrani (L.):
– Von israelischer Seite war wenig Neues zu hören.
– Israel ist prinzipiell an einer Lösung interessiert («on veut vider Khiam»13). Informationen über alle vermissten israelischen Soldaten bleiben aber die conditio sine qua für eine israelische Geste, d. h. für die Freilassung von palästinensischen Gefangenen.
– L[ubrani] machte keine Offerte einer israelischen Geste.
– Während des Gesprächs wurde vonseiten der UNO vorgeschlagen, dass sich Israel vorerst mit Informationen über einzelne Gefangene zufrieden gebe; die Antwort L[ubrani]'s auf diesen Vorschlag war nicht eindeutig.
– Israel geht offensichtlich davon aus, dass Iran volle Kontrolle über die Gruppen hat. L[ubrani], der die Iraner gut kennt, macht deutlich, dass Israel von dieser prinzipiellen Position nicht abrücken wird.
– Israel ist aber zu technischen Gesprächen mit der UNO bereit.
– L[ubrani] informierte P[érez de Cuéllar] auch über die Rolle der Schweiz und bevorstehendes Gespräch mit J[acobi]. Positive Einschätzung des schweizerischen Kanals.
– Laut L[ubrani] sind die Deutschen daran in der Frage der palästinensischen Gefangenen in Europa nachzugeben. J[acobi] betont, dass unsere Informationen das Gegenteil sagen und dass für uns Konzessionen (Hariri), die über das gesetzlich mögliche hinausgehen nicht in Frage kommen.
– Bilanz Piccos:
1. Die Israelis sind sehr hart.
2. Die Operation wird lange dauern.
3. Die Syrer dürften aus Rücksicht auf ihr Verhältnis zu Iran davor zurückschrecken, die Gruppen im Libanon bis Ende September zu entwaffnen. Es ist damit denkbar, dass auch nach Ende September die Geiseln im Libanon versteckt werden können, bis eine Verhandlungslösung gefunden ist.
4. Die Schweiz scheint einen besseren Zugang zu den Israelis zu haben als die UNO. Diese wiederum findet mehr Gehör bei den Iranern und den Gruppen. Damit deutet Picco eine mögliche Arbeitsteilung UNO/Schweiz an: Gegenseitige Information, wobei die Schweiz insbesondere auf die Israelis, die UNO auf die Iraner und die Gruppen einwirken könnte.
2. Picco informiert J[acobi]ausserdem über seine kürzlichen Direktkontakte mit den Entführern:
– Entführer machten klar, dass sie nach Freilassung McCarthy und Tracy eine Geste Israels erwarten und drohen mit einem negativen Zeichen von ihrer Seite falls dieses ausbleibt (Ermordung einer Geisel).
– Grosse Nervosität in Iran über Reaktion Israels. Klare Erwartung Teherans, dass jetzt eine minimale israelische Geste kommen muss.
– 50 Freilassungen aus Khiam wären absolutes Minimum.
3. Picco ist der Verantwortliche der UNO für die Geiselfrage und für uns Kontaktperson. Jederzeit kontaktierbar über
UN, New York, 212/963 57 67: Sekretärin Mrs Karam
Privatnummer in Italien: 39/422/420 515
– Briten übergeben uns Synthesebericht über die ersten Befragungen McCarthys. (Beilage)14
– Grossbritannien übt Druck auf Israel aus und hofft auf Geste der Israelis: Freilassung einiger Gefangener aus Khiam. Ein entsprechender Brief ging von Major an Shamir.
– Angst der Briten, dass eine Geisel getötet werden könnte, wenn Geste ausbleibt.
– Einschätzung des Verhältnisses Iran–Syrien im Libanon: Angst der Syrer, die Iraner zu brüskieren.
– GB wünscht, dass Schweiz in Operation GN bleibt: «for us Switzerland and the UN are the key actors»
Die Ausführungen L[ubrani]'s lassen sich folgendermassen zusammenfassen;
1. Israel schätzt den schweizerischen Kanal als praktisch und wertvoll und will ihn beibehalten. Es schätzt den diskreten Charakter unserer Arbeit.
2. Israel war erstaunt über die Initiative des Generalsekretärs, welche auf Anregung Irans eingeleitet wurde. Es ist aber bereit auch im Rahmen dieser Initiative an einer Lösung zu arbeiten.
3. Nach Einschätzung der Israelis ist Iran daran interessiert, die Geiselfrage zu lösen.
Die Iraner haben die UNO eingeschaltet:
– um möglichst wenig für eine Lösung zu bezahlen;
– um möglichst viel öffentliche Anerkennung zu ernten.
4. Die Gruppen im Libanon sind interessiert, die Geiseln loszuwerden, weil der Kontrollgewinn der syrischen und libanesischen Armee im Libanon sie dazu zwingt.
5. Israel wird nicht von bisherigen Grundsätzen abweichen.
– Als erster Schritt müssen ausreichende Informationen über das Schicksal der sieben israelischen Soldaten gegeben werden.
Gegenüber der UNO verlangte Israel sofortige Klarheit über alle sieben Vermissten; gegenüber der Schweiz war man zur phasenweisen Information bereit.
– Israel nimmt eine harte Haltung ein, im Wissen um mögliche Vorwürfe, die man ihm machen könnte. Auch im Wissen um die Gefahren, denen die Geiseln ausgesetzt sind. Konzessionen ohne Informationen über israelische Soldaten sind aber nicht akzeptabel. Gruppen würden nur weitere Konzessionen verlangen. Die Öffentlichkeit in Israel würde dies nicht akzeptieren. Israel ist nicht bereit Erpressungen nachzugeben: «The time has come to challenge their will.»
6. L[ubrani] bekräftigt im übrigen bisherige Positionen betreffend Ron Arad und Scheich Obeid. Letzterer «will be the last one to be traded».
7. Nach Einschätzung Israels würden die Deutschen in Sachen Hamadi nachgeben, wenn plötzlich in Europa inhaftierte Palästinenser in eine Lösung einbezogen würden und eine definitive Regelung an den Deutschen zu scheitern drohte.
8. Israel wird – wenn immer wir dies wünschen – die positive Rolle der Schweiz in der Öffentlichkeit erwähnen. Sollte GN erfolgreich sein, so käme ein wesentlicher Verdienst der Schweiz zugute und Israel wird dies entsprechend würdigen.
- 1
- CH-BAR#E2010A#2001/161#2551* (B.22.52(Am)). Diese Notiz wurde von Peter Maurer, dem diplomatischen Sekretär des Staatssekretärs des EDA, verfasst. Kopien gingen an den Vorsteher des EDA, Bundesrat René Felber, an den Direktor der Politischen Direktion, Staatssekretär Klaus Jacobi, an den Generalsekretär des EDA, Botschafter Rudolf Schaller, an Botschafter Pierre-Yves Simonin und Christian Fotsch von der Politischen Abteilung II, an den Sekretär des Vorstehers des EDA, Georges Martin, sowie an Maurer selbst. Weitere Kopien gingen an die schweizerischen Botschaften in Washington, Tel-Aviv und Teheran. Sämtliche Gespräche fanden in Genf statt, wo UNO-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar mit verschiedenen involvierten Konfliktparteien über die Frage der Geiseln und Gefangenen insbesondere im Libanon verhandelte und danach erstmals auch die Öffentlichkeit darüber informierte. Aufgrund von anderweitigen morgendlichen Terminen reiste Staatssekretär Jacobi am 12., 14. und 15. August 1991 jeweils mittags nach Genf. Vgl. die Agenda des Jahres 1991 von Staatssekretär Jacobi im Dossier CH-BAR#E2860-01#2006/99#17* (11).↩
- 2
- Mit dem Begriff «Grand Nettoyage» wurde eine von der Schweizer Diplomatie mittels diskreten Verhandlungen angestrebte Aktion zur gegenseitigen Befreiung von Geiseln und Gefangenen insbesondere im Kontext des Libanonkonflikts bezeichnet. Zu diesem Zweck wurden seit April 1990 regelmässig vertrauliche Kontakte mit den Regierungen in Teheran, Washington, Tel-Aviv und auch Damaskus gepflegt. Dabei wurden die Standpunkte und Angebote der anderen Konfliktparteien übermittelt und versucht, durch eine graduelle Annäherung auf eine Gesamtlösung hinzuarbeiten. Die Schweiz erhielt dafür kein offizielles Mandat, ihre Vermittlungstätigkeit wurde jedoch sehr geschätzt. Auch andere Akteuere engagierten sich in dieser Sache, insbesondere die UNO, welcher es schliesslich im Herbst 1991 gelang, einen relativ weitgreifenden Austausch auszuhandeln. Doch auch in dessen Folge wurden weiterhin zahlreiche westliche und andere Geiseln sowie Kriegsgefangene zurückgehalten. Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Operation «Grand Nettoyage» (1990–1991), dodis.ch/T1956.↩
- 3
- Bereits im April 1990 wurden die beiden US-amerikanischen Geiseln Frank Reed und Robert Polhill im Libanon freigelassen.↩
- 4
- Zum Stand der Vertretung der US-amerikanischen Interessen im Iran vgl. dodis.ch/59993.↩
- 5
- Heinrich Strübig und Thomas Kemptner.↩
- 7
- Ron Arad war ein israelischer Militärpilot, der am 16. Oktober 1986 bei einem Einsatz gegen Stellungen der PLO im Südlibanon abgestürzt war. Er galt seither als verschollen. Für Einschätzungen dieses Verhandlungsgegenstands durch die Schweizer Diplomatie vgl. dodis.ch/54806 und dodis.ch/60373.↩
- 8
- Am 11. August 1991 überreichte der im Libanon freigelassene britische Journalist John McCarthy in London ein Schreiben der schiitischen Organisation «Islamischer Jihad» an UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar, in welchem diese ihre Bereitschaft zu Verhandlungen signalisierte und ihre Bedingungen bekannt gab. Dem EDA wurde am 12. August 1991 eine französische Version übermittelt, vgl. dodis.ch/60402.↩
- 9
- Zu den unterschiedlichen Verhandlungsstrategien der Schweiz und der UNO vgl. insbesondere die Notiz von Peter Maurer vom 19. Dezember 1991, dodis.ch/58409.↩
- 10
- Kamal Kharazi.↩
- 11
- Der schiitische Geistliche und spirituelle Anführer der Militärbewegung «Islamischer Amal», Scheich Abdel Karim Obeid, war am 28. Juli 1989 von einem israelischen Kommando gefangen genommen worden. Er wurde im Januar 2004 freigelassen.↩
- 12
- Der UN Assistant Secretary-General for Political Affairs, Giandomenico Picco, wurde von UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar zum persönlichen Gesandten für die Geiselverhandlungen ernannt.↩
- 13
- Khiam war ein von der südlibanesischen Armee kontrolliertes Gefängnis, in welchem hauptsächlich libanesische Gefangene festgehalten wurden, die sich an Aktionen gegen Israel beteiligt hatten.↩
- 14
- Vgl. das Faksimile dodis.ch/58395.↩
Tags
Operazione «Grand Nettoyage» (1990–1991)
Libano (Generale) Israele (Generale) ONU – Generale Buoni uffici