Darin: Antrag des EDA vom 14.1.1992 (Beilage).
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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1992, doc. 2
volume linkBern 2023
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#1015* | |
Old classification | CH-BAR E1004.1(-)1000/9 1449 | |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates Januar 1992 (4 Bände) (1992–1992) | |
File reference archive | 4.10prov. |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#2001/161#1625* | |
Dossier title | Allgemeines (1991–1993) | |
File reference archive | B.15.21 • Additional component: Croatie |
dodis.ch/58005Antrag des EDA an den Bundesrat1
Anerkennung von Slowenien und Kroatien sowie damit einhergehende Aufnahme diplomatischer Beziehungen
Eine substantielle Gruppe wichtiger Staaten wird voraussichtlich am oder unmittelbar nach dem 15. Januar 1992 die zwei ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien anerkennen.2
Wir beantragen deshalb, dieser internationalen Entwicklung Rechnung zu tragen, Slowenien und Kroatien anzuerkennen und – im Anschluss daran – die Aufnahme diplomatischer Beziehungen einzuleiten.
Die Europäische Gemeinschaft hat am 16. Dezember 1991 allen jenen Teilrepubliken Jugoslawiens für den 15. Januar 1992 die völkerrechtliche Anerkennung in Aussicht gestellt, die bis zum 23. Dezember 1991 diesen Wunsch kundtun und die eine Reihe von Kriterien erfüllen, wie sie in der Erklärung der EG vom 16.12.1991 enthalten sind.3
Inzwischen scheint innerhalb der EG ein Konsens über die Anerkennung Sloweniens am 15.01.1992 zu bestehen. Ebenso werden wenn nicht alle so doch eine grosse Mehrheit der EG Staaten auch Kroatien anerkennen. Mazedonien und Bosnien-Herzegowina werden mit grosser Wahrscheinlichkeit aus einer Reihe von Gründen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht anerkannt.4
Eine grosse Anzahl weiterer europäischer Staaten hat eine Anerkennung der beiden Republiken in Aussicht gestellt. Dazu gehören die EFTA-Länder Schweden, Österreich und Finnland, die osteuropäischen Staaten Rumänien, Bulgarien, Ungarn, die CSFR sowie Neuseeland und Kanada. Island anerkannte Slowenien und Kroatien bereits am 19.12.1991, der Vatikan am 13.01.1992.
Unsere veröffentlichte Sprachregelung vom 17.12.19915 hält fest, dass eine Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken, sofern diese die von der EG formulierten Bedingungen erfüllen, grundsätzlich mit den Zielen der schweizerischen Aussenpolitik im Einklang steht.
Folgende Gründe sprechen denn auch für eine Anerkennung der beiden Republiken Slowenien und Kroatien durch die Schweiz:6
1.) spricht die EG am 15. Januar 1992 die Anerkennung aus, werden wie oben dargestellt, eine grosse Gruppe weiterer europäischer Staaten diesen Schritt nachvollziehen, sodass in Europa eine Mehrheit der Länder die jugoslawischen Teilrepubliken anerkannt haben wird; ein Abseitsstehen der Schweiz wäre demzufolge europapolitisch bedenklich.
2.) Die künftigen Beziehungen mit den beiden neuen Staaten würden durch ein Verschieben dieses Schrittes unnötig belastet. Die psychologische Bedeutung des Zeitpunkts der Anerkennung für den betroffenen Staat ist nicht gering zu achten.
3.) eine Lösung des Konfliktes in Jugoslawien, welcher die Reintegration der sezessionswilligen Republiken in einen gemeinsamen Staatsverband zum Ziel hätte, ist aufgrund der Entwicklung nicht mehr denkbar. Eine Anerkennung ist demnach nicht eine Frage des Prinzips sondern des Zeitpunkts.
4.) eine Anerkennung führt zur Internationalisierung des Konflikts und bietet deshalb bessere Eingreifsmöglichkeiten internationaler Gremien, v. a. der UNO.
5.) Obwohl unter vielen Gesichtspunkten nicht unbedingt vergleichbar, so ist unbestreitbar, dass die meisten Voraussetzungen für eine Anerkennung in den beiden Republiken Slowenien und Kroatien ebenso gegeben sind, wie in einigen der durch uns anerkannten Staaten der GUS.7
6.) Die Schweiz ist wegen der sehr hohen Anzahl von Jugoslawen in unserem Land «Frontstaat» in diesem Konflikt.8 Jede Massnahme zur baldigen Entschärfung und Trennung der Kampfparteien ist demnach positiv zu werten, da bei Weiterschwelen der Auseinandersetzungen die Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz zunimmt. Die Befürchtung, dass die bevorstehende Anerkennung den serbischen Widerstand verhärten könnte, hat sich bislang glücklicherweise nicht bestätigt.9
7.) Aufgrund vieler Meinungsäusserungen aus der schweizerischen Bevölkerung darf davon ausgegangen werden, dass innerhalb der Schweiz eine eindeutige Mehrheit für eine Anerkennung der beiden Republiken durch die Schweiz besteht.10
Im Sinne der vorangehenden Ausführungen liegt es im Interesse der Schweiz, Slowenien und Kroatien anzuerkennen und die Aufnahme der bilateralen Beziehungen auf diplomatischer Ebene konkret einzuleiten.
Aufgrund dieser Erwägungen beantragen wir Zustimmung zum beigelegten Beschlussentwurf.11
- 1
- CH-BAR#E1004.1#1000/9#1015* (4.10prov.). Dieser Antrag wurde höchstwahrscheinlich von Patrick Pardo von der Politischen Abteilung I des EDA unter der Verantwortung des stv. Abteilungschefs Daniel Woker verfasst und vom Vorsteher des EDA, Bundespräsident René Felber, unterzeichnet. Der Bundesrat hat den Antrag in der Sitzung vom 15. Januar 1992 angenommen, vgl. das BR-Prot. Nr. 25, Faksimile dodis.ch/58005. Im Verhandlungsprotokoll der 1. Sitzung des Bundesrats vom 15. Januar 1992 heisst es: «Étant donné que les pays de la CE ont tous reconnu la Croatie et la Slovénie, le Président Felber propose que la Suisse fasse de même et distribue une proposition en ce sens de son département. Il n’y a pas d’objections, même si les autorités croates n’ont pas le contrôle de la totalité du territoire de cette nouvelle république. Des solutions devront être trouvées», vgl. CH-BAR#E1003#2003/92#3* (4.32).↩
- 2
- Vgl. dazu die Notiz der schweizerischen Mission bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel vom 13. Januar 1992, dodis.ch/62973.↩
- 3
- Vgl. dazu die Notiz der schweizerischen Mission bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel vom 17. Dezember 1991, dodis.ch/62976.↩
- 4
- Vgl. dazu die thematischen Zusammenstellungen Anerkennung Bosnien und Herzegowinas (1992), dodis.ch/T2323, und Anerkennung Mazedoniens (1993), dodis.ch/T2103.↩
- 5
- Vgl. dodis.ch/62888.↩
- 6
- Für das vom 16. Dezember 1991 datierende Argumentarium der Politischen Abteilung I des EDA Anerkennung von Slowenien und Kroatien: Pro und Contra vgl. dodis.ch/58524.↩
- 7
- Am 23. Dezember 1991 anerkannte der Bundesrat die zwölf Republiken der ehemaligen UdSSR, vgl. DDS 1991, Dok. 61, dodis.ch/57514.↩
- 8
- Vgl. DDS 1992, Dok. 55, dodis.ch/60645.↩
- 9
- Zur Situation im ehemaligen Jugoslawien vgl. die Lageberichte des Bundesamts für Flüchtlinge des EJPD vom 14. Januar 1992, dodis.ch/62739, sowie des Politischen Sekretariats des EDA vom 17. Januar 1992, dodis.ch/63203.↩
- 10
- Vgl. dazu bspw. die Empfehlung 91.3392 Anerkennung der Republiken Slowenien und Kroatien von Ständerat Fritz Schiesser vom 2. Dezember 1991, dodis.ch/60856, sowie die Sammlung von Presseartikeln des Dokumentationsdiensts der Bundesversammlung, CH-BAR#E1108A#1995/17#150* und CH-BAR#E1108A#1995/17#151* (30.12).↩
- 11
- Die Anerkennung wurde am Abend des 15. Januar 1992 von Bundespräsident Felber per Fernschreiben dem kroatischen Präsidenten Franjo Tuđman und dem slowenischen Präsidenten Milan Kučan notifiziert, vgl. dodis.ch/62352 und dodis.ch/62350. Die jugoslawische Regierung überreichte am 20. Januar 1992 dem schweizerischen Botschafter in Belgrad, Jean-Jacques Indermühle, eine Protestnote, vgl. dodis.ch/62443. Am 30. und 31. Januar 1992 wurden die diplomatischen und konsularischen Beziehungen zu Slowenien und Kroatien durch eine vom Chef der Politischen Abteilung I des EDA, Botschafter Jenö Staehelin, geleiteten Mission formalisiert, vgl. dodis.ch/62166.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/62350 | refers to | http://dodis.ch/58005 |
http://dodis.ch/62352 | refers to | http://dodis.ch/58005 |
http://dodis.ch/62357 | refers to | http://dodis.ch/58005 |
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Recognition of Slovenia and Croatia (1992)
Questions concerning the Recognition of States Croatia (General) Slovenia (General)