dodis.ch/49256Der schweizerische Botschafter in Prag, W. Jaeggi, an die Politische Abteilung I, den Protokolldienst und den Dienst für Information und Presse des Politischen Departements1
Zeitungsartikel «Prace»
Vertraulich
Prag, 27. Oktober 1978
Mit Schreiben vom 19. Oktober2 übermittelte ich Ihnen einen Zeitungsartikel, aus welchem hervorgeht, dass die Gästeliste für mein Abschiedsdiner beim österreichischen Kollegen3 beanstandet wurde.
Am folgenden Tage bin ich von Vizeaussenminister Dusan Spacil4 darauf angesprochen worden. Er gab mir den Ratschlag, vor meiner Abreise nicht noch «eine ähnliche Dummheit» zu machen. Er wollte mir damit zu verstehen geben, dass ich zu meinem Abschiedscocktail, der gestern abend stattgefunden hat, nicht auch Unterzeichner von Charta 775 einladen sollte, was ich ohnehin nicht im Sinne hatte zu tun.
Als ich mich beim heutigen Festakt zur Feier des 60-jährigen Bestehens der Tschechoslowakei auf der Prager Burg von Herrn Vasil Bilak (dem zweiten Mann nach Staatspräsident Husak und Parteichefideologe) verabschieden wollte, erwähnte er sofort den Ihnen übermittelten Zeitungsartikel aus «Prace». Ich sagte ihm, dass ich für die Gästeliste meines österreichischen Kollegen nicht verantwortlich gemacht werden könne. Im übrigen wäre es für die in Prag akkreditierten Botschafter dienlich, vom Aussenministerium eine Namensliste jener Leute zu erhalten, die wir nicht einladen sollten. Wir können ja nicht wissen, welche Personen dem Regime genehm oder nicht genehm sind. Bilak antwortete hierauf, ein guter Diplomat sollte auch ohne solche Liste wissen, wen er einzuladen habe. Hierauf wies ich ihn darauf hin, dass man auch bei Botschafter Moc in der Schweiz gelegentlich Leute treffe, welche mit der Staatsführung der Eidgenossenschaft nicht hundertprozentig einig gingen6. Wir seien jedoch ein freies, demokratisches Land, weshalb gegen solche Kontakte mit politischen Extremisten keine Einwände erhoben würden. Zur Aufgabe eines Botschafters gehöre es, mit allen Kreisen des Landes, in welchem er tätig ist, Beziehungen zu pflegen. Nur so könne man ein objektives Bild über das Residenzland erhalten7.