Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 27, doc. 22
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7110#1987/20#1529* | |
Old classification | CH-BAR E 7110(-)1987/20 111 | |
Dossier title | Besuche (1976–1976) | |
File reference archive | 877.3 • Additional component: Argentinien |
dodis.ch/48957Der schweizerische Botschafter in Buenos Aires, W. Frei, an den Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, P. R. Jolles1
Europareise von Wirtschaftsminister Martínez de Hoz
Gestützt auf Pressemitteilungen aus New York, habe ich Ihnen mit Schreiben vom 23. Juni2 Kenntnis von den ersten Ergebnissen der argentinischen Wirtschaftsmission gegeben. In Buenos Aires selbst waren darüber auch nach der Rückkehr von Minister Martínez de Hoz keine konkreteren Angaben erhältlich. Immerhin verdient festgehalten zu werden, dass es sich bei den in meinem Bericht erwähnten Kreditbeträgen vorläufig nur um Zusicherungen handelt; konkrete Verträge wurden noch nicht unterzeichnet. Dies wird erst dann möglich sein, wenn Argentinien den Nachweis erbracht hat, die in solchen Fällen üblichen IWF-Auflagen erfüllen zu können.
Nachfolgend noch einige Überlegungen zu möglichen politischen Begleiterscheinungen der Mission Martínez de Hoz. Wie Sie auch in der Schweiz feststellen konnten, ist gegenwärtig eine gezielte Pressekampagne gegen die neue argentinische Regierung im Gange. Gerade im Hinblick auf den Besuch von Martínez de Hoz3 ist dies wohl kein Zufall. Kaum drei Monate nach dem Zusammenbruch des Peronismus4 wird die Militärregierung bereits dem Regime Pinochets gleichgestellt. Sie ist daran insofern selbst schuld, als es ihr nicht gelungen ist, den bereits unter dem Peronismus aufgekommenen Terrorismus von Rechts zu unterbinden. Die kürzlich erfolgten Anschläge gegen in Argentinien niedergelassene politische Flüchtlinge, die vor allem in der europäischen Presse besondere Beachtung gefunden haben, mahnen in der Tat zum Aufsehen. Die Ohnmacht der Regierung Videla, gegen diese Art von Subversion vorzugehen, lässt sich mit keinen Worten entschuldigen. Videla aber gleich Komplizenschaft mit den Tätern anzulasten, geht jedoch zu weit. Wer die drei Jahre der in der ausländischen Presse lange nur mit grosser Zurückhaltung kritisierten peronistischen Regierungen miterlebt hat, sieht die Zusammenhänge doch etwas anders. Seit Jahren sind in Argentinien Kräfte im Untergrund am Werke, die von keiner Regierung – auch nicht von den vormals demokratisch gewählten – unter Kontrolle gebracht werden konnten. Cámpora selbst hat am Tage seiner Amtsübernahme die Tore der Gefängnisse öffnen, Mörder und Terroristen laufen lassen – Perón sich anfänglich mit den jungen Bombenlegern solidarisiert. Während ihrer Herrschaft wurde Argentinien nicht nur zum Hort wirklich politisch Verfolgter des ganzen Kontinents, sondern zugleich auch Sammelbecken der südamerikanischen Guerilla5. So lange die Subversion «nur» von Links kam, fanden die Morde und Entführungen weltweit kein grosses Echo und wurden oft als Notwehrmassnahmen zur Befreiung des unterdrückten Volkes dargestellt. Als sich dann während der letzten zwei Jahre des Peronismus eine ebenso perfide, wenn auch zahlenmässig weit schwächere Reaktion von Rechts bemerkbar machte, erregte dies in der ausländischen Presse noch relativ wenig Aufsehen. Kaum ist jedoch – man ist versucht zu sagen «faute de mieux» – eine Militärregierung im Amte, so werden weltweit alle möglichen Komitees gegen Argentinien mobilisiert. Dass die Linksguerilla (ERP und Montoneros) seit der Machtübernahme vom 24. März 1976 aus dem Hinterhalt munter weitermordet und -entführt, übersieht man in diesen Kreisen geflissentlich.
Letztlich geht es bei der Beurteilung dieser traurigen Zusammenhänge um die Frage des politischen Standortes des Beobachters. Wer, wie der BUND-Korrespondent Luc Banderet, heute noch den Tagen Cámporas – der in seiner kurzen Amtszeit die gesamte Verwaltung mit Montoneros durchsetzt hat – nachtrauert, hat seinen Standort jedenfalls bezogen.
- 1
- Schreiben: CH-BAR#E7110#1987/20#1529* (877.3). Verfasst von R. Wermuth. Kopie an das Politische Sekretariat des Politischen Departements. Handschriftliche Marginalie: Remercier globalement.↩
- 2
- Schreiben von W. Frei an P. R. Jolles vom 23. Juni 1976, dodis.ch/50292.↩
- 3
- Zum Besuch vom 9. Juli 1976 vgl. die Notiz von F. Rothenbühler an E. Brugger vom 6. Juli 1976, dodis.ch/48958.↩
- 4
- Vgl. dazu Telegramm Nr. 46 von W. Frei an das Politische Departement vom 24. März 1976, dodis.ch/48923.↩
- 5
- Zur Einschschätzung der letzten Tage der Militärregierung vgl. den Politischen Bericht Nr. 1 von R. Wermuth an das Politische Departement vom 11. Februar 1976, dodis.ch/48922.↩