dodis.ch/47867
Le Chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique,
P. Bonna, au Ministre de Suisse à
Berlin, H. Frölicher
1
Wie Ihnen wohl aus der Presse bekannt geworden ist, hat die Gestapo am 21. August 1944 in einem Eisenbahnzug 318 ungarische Juden ohne Voranmeldung an die schweizerische Grenze gebracht. Dieses Vorgehen steht zwar mit den internationalen Gepflogenheiten kaum im Einklang und dürfte auch an den Bestimmungen des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages2 keine Stütze finden. Trotzdem hielten es die Bundesbehörden nicht für zweckmässig, deswegen bei der deutschen Regierung Vorstellungen zu erheben, wobei sie sich von der Erwägung leiten Hessen, damit das Los der noch in Deutschland verbliebenen ungarischen Juden möglicherweise zu erschweren und den etwaigen Abtransport weiterer Gruppen dieser Unglücklichen in Frage zu stellen3.
Die 318 jüdischen Flüchtlinge sind, wie Sie wissen, von der Schweiz aufgenommen worden; sie scheinen aus einem grössern Lager in Bergen-Belsen bei Hannover ausgewählt worden zu sein, wo sich dem Vernehmen nach noch an die 1300 weitere ungarische Juden befinden. Deutscherseits scheint die Absicht zu bestehen, auch diese übrigen 1300 ungarischen Juden nach dem Ausland und zwar, wie gerüchteweise verlautet, nach Spanien abzuschieben. Andererseits haben die Bundesbehörden Kenntnis davon erhalten, dass wegen der Entlassung dieser Gruppe von ungarischen Juden Besprechungen zwischen gewissen deutsch-ungarischen Stellen unter Beteiligung von Vertretern des SS-Sicherheitshauptamtes und ausländischen sowie schweizerischen Juden in der Schweiz angebahnt und dass dabei wegen der Erlegung von Lösegeldern oder etwaiger anderer Gegenleistungen Projekte entwickelt worden sind, die es amtlichen Stellen unmöglich machen, sich in das Gespräch einzuschalten.
Schweizerischerseits herrscht aber durchaus die Geneigtheit vor, für die ungarischen Juden vom Lager Bergen-Belsen etwas zu tun. Da aus den vorerwähnten Besprechungen der Eindruck gewonnen werden muss, dass man sich auch deutscherseits diesen Leuten gegenüber nicht intransigent verhalten will, sind wir zu dem Entschluss gelangt, den Versuch zu unternehmen, durch einen offiziellen Schritt beim Auswärtigen Amt den Versuch zu machen, die Entlassung nach der Schweiz zu erreichen.
Wir denken uns, dass dieser Schritt, der an hoher Stelle, mindestens beim Staatssekretär4, einzuleiten wäre und am besten in die Form einer mündlichen Demarche, allenfalls unterstützt durch eine kurze Aufzeichnung, zu kleiden wäre, etwa nachstehenden Gedankengängen folgen könnte.
Ausgehend von der etwas ungewöhnlichen Überstellung der 318 ungarischen Juden vom Monat August letzthin könnte die Bereitschaft der Schweiz ausgedrückt werden, ein Mehreres für die noch in Bergen-Belsen verbliebenen Juden zu tun. Falls Deutschland die Anwesenheit dieser Leute, wie man aus dem Vorkommnis vom August glaubt schliessen zu dürfen, als Belastung empfindet, wäre die Schweiz durchaus geneigt, bei der Ernährung und Bekleidung, sowie überhaupt bei der Betreuung mitzuwirken, sofern nicht vorgezogen wird, diese Aufgabe dem IKRK zu überlassen. Sie würde aber gegebenenfalls noch weiter gehen und gerne darin einwilligen, diese Juden für solange in die Schweiz aufzunehmen, bis ihnen die Weiterreise, allenfalls nach den Vereinigten Staaten oder ändern überseeischen Gebieten, offen stünde. In diesem Falle würden die Bundesbehörden aber Wert darauf legen, wenn die Überstellung nach der Schweiz durch vorgängige Besprechungen zwischen den beiderseitigen amtlichen Stellen ordnungsgemäss geregelt würde.
Je nach dem Gange der Unterhaltung könnte es auch nichts verschlagen, wenn eindringlich darauf hingewiesen würde, dass die Judendeportationen nach dem Osten und die Nachrichten, die über diese Massnahmen in die Öffentlichkeit dringen, unsere öffentliche Meinung aufs äusserste bewegen und dass die Bundesbehörden nur mit tiefster Besorgnis feststellen können, welche schwere Belastung sich nicht nur heute, sondern wie zu befürchten steht, noch auf Jahre hinaus für die schweizerisch-deutschen Beziehungen daraus ergebe. Auch von diesem Gesichtspunkt aus wäre eine Zusicherung des Inhalts, dass weitere Verschickungen nach dem Osten eingestellt werden, geeignet, sehr erfreuliche Rückwirkungen zu zeitigen.
Wir sehen dem Ergebnis über den Erfolg Ihres Schrittes, an dem uns Einiges gelegen ist, mit lebhaftem Interesse entgegen und bitten Sie, Herr Minister, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung zu genehmigen5.