Classement thématique série 1848–1945:
VII. AFFAIRES SOCIALES ET HUMANITAIRES
2. Réfugiés, émigrés
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 230
volume linkBern 1991
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1553#7797* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1553 484 | |
Dossier title | Schweiz. Zentralstelle für Flüchtlingshilfe (1938–1945) | |
File reference archive | B.55.42.03 |
dodis.ch/46987 Le Chef du Département de Justice et Police, J. Baumann, au Président de l’Office central suisse d’aide aux réfugiés, R. Briner1
Ihre Eingabe vom 22. Dezember2 hat unsere volle Aufmerksamkeit gefunden, ist doch das Problem der Flüchtlinge für uns, wie für alle Ihrer Zentralstelle angeschlossenen Organisationen schon seit langem und besonders in der gegenwärtigen Zeit eine sehr heikle und drückende Aufgabe geworden. Auch unsere Bestrebungen gehen dahin, den Flüchtlingen eine mit unsern Traditionen übereinstimmende humane Behandlung angedeihen und nichts unversucht zu lassen, ihre legale Weiterreise in Länder zu fördern, die trotz der allseitigen wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten noch aufnahmefähig sind. Auch uns ist die loyale Zusammenarbeit der Zentralstelle und der ihr angeschlossenen Organisationen mit unserer Fremdenpolizei ein Bedürfnis und wir freuen uns darüber, dass sich unsere Anschauungen über diese Grundfrage decken.
Besonders interessiert haben uns Ihre Mitteilungen über das was die hauptsächlichsten Ihnen angeschlossenen Hilfsorganisationen, die jüdische, die katholische und die evangelische Flüchtlingshilfe, die schweizerische Flüchtlingshilfe Bern (Gewerkschaftsbund) und das Schweizer Hilfswerk für Emigrantenkinder bisher geleistet haben. Abgesehen von den grossen finanziellen Aufwendungen entnehmen wir Ihrer Aufstellung, dass nach Möglichkeit versucht wird, den einzelnen Flüchtling im Hinblick auf die Weiterwanderung durch Sprachkurse und erste Einführung in gewisse manuelle Berufe vorzubereiten, sowie dass für die Leute, die nicht in Heimen und Lagern untergebracht werden können, Freiplätze gesucht werden. Wir vernehmen mit Befriedigung, dass die Hilfsorganisationen bestrebt sind, den einzelnen Fall individuell zu behandeln. Die Verwirklichung von Ziffer 5 Ihrer Begehren3 hängt ja in erster Linie davon ab, dass der einzelne Flüchtling, der von einer privaten Hilfsorganisation betreut wird und mit dem die Fremdenpolizei zu tun hat, der ersteren genau bekannt sei. Da die Fremdenpolizei sehr oft den einzelnen Ausländer nur aus den Akten kennen kann, ist es notwendig, dass die private Hilfsstelle sie auf dem laufenden hält über die Besonderheiten eines Einzelfalles und dass sie namentlich die Fremdenpolizei von allem Anfang an verständigt, wenn der Einzelne ihr Schwierigkeiten irgendwelcher Art bereitet. Die Behörde wird dadurch in die Lage versetzt, rechtzeitig mit Verwarnungen einzugreifen und dürfte mit ihrer Autorität sehr oft eine schlimmere Entwicklung des Einzelfalles verhüten können. Wir heben das besonders hervor, weil die Polizeiabteilung in jüngster Zeit Fälle zur Beurteilung erhalten hat, in denen sich als mildeste Massnahme die Internierung in einer Strafanstalt aufdrängte, während nach ihrer Überzeugung bei einem früheren Eingreifen der Behörde aller Wahrscheinlichkeit nach der Flüchtling durch eine strenge Verwarnung auf den rechten Weg hätte gebracht werden können.
Zur Frage der Internierung teilen wir Ihnen folgendes mit: Flüchtlinge werden, wie andere Ausländer auch, nur interniert, wenn die Ausschaffung sich aufdrängt, ihre Durchführung aber unmöglich ist oder als zu hart erscheint. Ein Flüchtling, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, wird nur interniert, wenn sich niemand seiner annimmt und er sonst der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen würde. Sonst ist Voraussetzung erhebliches Vergehen gegen fremdenpolizeiliche Vorschriften, z. B. illegale Einreise und Versteckhalten, unerlaubte Erwerbstätigkeit oder sonst ordnungswidriges Verhalten, z. B. schwere Disziplinwidrigkeit in einem Emigrantenlager, Erschleichen von Unterstützung mit falschen Angaben, usw. Selbstverständlich müssen auch Ausländer mit erheblichen Vorstrafen interniert werden und solche, die in der Schweiz politisch tätig waren oder mit deren politischer Tätigkeit gerechnet werden muss, wie bei den Kommunisten. Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, sie soll nur zeigen, in welcher Richtung die Internierungspraxis geht. Es wird jedoch jeder einzelne Fall sorgfältig geprüft. Emigranten, die nicht moralisch schwer belastet sind, werden in den Strafanstalten Witzwil oder Bellechasse interniert. Mit den Leitungen dieser Anstalten ist vereinbart, dass diese Internierten einem besondern Regime unterstellt sind. Sie müssen zwar während der Arbeitszeit mit den ändern Insassen der Anstalten Zusammensein und erhalten die Anstaltsnahrung. Während ihrer Freizeit und in der Nacht können sie jedoch unter sich sein; auch werden ihnen gewisse Freiheiten gewährt, die den ändern Insassen der Anstalten versagt sind, z. B. in der Unterhaltung, der Lektüre, der Korrespondenz, usw. Ihre Korrespondenz muss nicht auf Anstaltspapier geschrieben werden. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, dass der internierte Flüchtling sich nicht als zum Strafvollzug in eine Anstalt gewiesener Rechtsbrecher Vorkommen muss. Seine Internierung wird selbstverständlich auch nicht im Strafregister vorgemerkt. Der grosse Vorteil, den die genannten Anstalten bieten, besteht in den zahlreichen Arbeitsmöglichkeiten. Je nach ihrer Vorbildung und ihren Fähigkeiten können die internierten Flüchtlinge in den verschiedenen Zweigen der Landwirtschaft oder als Schneider, Schuhmacher, Schreiner, Schlosser, Buchdrucker, usw. Verwendung finden und ihre Anlagen in dem ihnen zugewiesenen Berufe voll aus werten, da die Frage der Belastung des Arbeitsmarktes sich nicht stellt. In Witzwil und Bellechasse sind auch leichtere Fälle von Nichtflüchtlingen interniert, solche zum Teil auch in der diesen Anstalten ähnlichen, zur Strafanstalt St. Gallen gehörenden Anstalt im Saxerried. Die anderen, schwereren Fälle kommen in die übrigen Strafanstalten. Diese sind auch vorgesehen zur Überführung von Internierten, die in Witzwil, Bellechasse oder Saxerried wegen ihres Benehmens nicht mehr gehalten werden können. Die Gesamtzahl der in allen Strafanstalten internierten Ausländer beträgt heute ca. 70. Davon sind ca. 50 Flüchtlinge (jüdische, politische, militärische und andere). Die übrigen sind ausgewiesene, früher vielfach von Land zu Land geschobene Schriftenlose, viele davon vorbestraft. Die Zahl der Internierten ist also sehr gering, gemessen an der Gesamtzahl aller Flüchtlinge und schriftenlosen Ausländer in der Schweiz. Die Zahl der heute in Witzwil und Bellechasse Internierten beträgt 44.
Ihr Wunsch, von Bundes wegen besondere Internierungsmöglichkeiten in grossem Stil für Flüchtlinge zu schaffen, deren Einweisung in eine Strafanstalt nicht in Frage kommt, ist leider nicht erfüllbar. Wir zweifeln sogar an der Zweckmässigkeit solcher Lager. Ganz abgesehen von den Kosten, die ein mehrfaches der Kosten für die Unterbringung in Strafanstalten betragen würden, wäre es unmöglich, die Insassen solcher Lager nach ihren besonderen Fähigkeiten zu beschäftigen. Wenn auch einzelne verwendet werden könnten für den Innenbetrieb der Lager, so müssten alle ändern zu harter Arbeit verhalten werden, wie Torf stechen oder Meliorationsarbeiten. Es müsste besonders befähigtes Personal gesucht und angestellt werden. Da die Zahl der in einem Lager unterzubringenden Flüchtlinge verhältnismässig klein wäre, würde der Betrieb eines Lagers Kosten verursachen, die in keinem vernünftigen Verhältnis stehen würden zum Zweck der Unternehmung. Wir sind aber auch der Auffassung, dass es nicht möglich ist, über die aus staatspolitischen Erwägungen auf Bundeskosten zu erfolgenden Internierungen hinaus Flüchtlinge auf Bundeskosten in der Schweiz zu unterhalten.
Etwas anderes ist es mit dem Plan, zu schwerer körperlicher Arbeit geeignete Flüchtlinge in die Lager des bisherigen zivilen Arbeitsdienstes einzuberufen zur Verwendung für Strassenarbeiten im Dienste der Armee, jedoch hinter der Front. Nach den Mitteilungen, die wir vor geraumer Zeit von der Armee erhalten hatten, durften wir erwarten, dass dieser Plan sich in verhältnismässig kurzer Zeit verwirklichen lasse. Es hat sich jedoch leider herausgestellt, dass die Frage der Herbeiziehung der schweizerischen Arbeitslosen für im Dienste der Landesverteidigung liegende Arbeiten ein viel grösseres Ausmass annimmt als vorauszusehen war und deshalb umfangreicher Vorarbeiten bedarf. Diese Aktion ist heute im Gange. Bevor diese Organisation ausgebaut ist, ist es jedoch nicht möglich zu übersehen, was für Arbeitsgelegenheiten die Armee für die Emigranten zur Verfügung zu stellen hat. Wir dürfen jedoch hoffen, dass sich auch diese Frage in absehbarer Zeit klären werde, sodass der Plan verwirklicht werden kann. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass der Bundesrat den notwendigen Kredit zur Verfügung stellen kann. Wenn Armee und Militärdepartement die Notwendigkeit der geplanten Arbeit bejahen, so werden auch wir dem Bundesrat die Kreditvorlage befürworten.
Da auch uns daran liegt, dass wenigstens eine gewisse Zahl von Flüchtlingen wenn irgend möglich beschäftigt werden können, hat die Polizeiabteilung beim Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit die Frage aufgeworfen, ob nicht deren Verwendung bei den bevorstehenden Frühjahrsarbeiten in der Landwirtschaft möglich wäre. Das Bundesamt hat die Prüfung der Frage zugesichert.
Sie ersuchen uns ferner, beim Bundesrat einen Kredit nachzusuchen, der den der Zentralstelle für Flüchtlingshilfe angeschlossenen Hilfswerken zur Verfügung gestellt werden soll als Beitrag zum Unterhalt der Flüchtlinge während ihres Aufenthaltes in der Schweiz. Wir können uns mit diesem Gedanken nicht befreunden, sind jedoch bereit, wie bisher Beihilfen für die Weiterreise von Flüchtlingen im Einzelfall zu gewähren. Der Bund hat im vergangenen Jahre ca. 100000 Franken dafür beigesteuert. Der Bundesrat hat einen etwas höheren Betrag in den Voranschlag für 1940 aufgenommen. Sollte dieser Betrag nicht ausreichen, so sind wir bereit, dem Bundesrat auch für das laufende Jahr Nachtragskreditbegehren vorzulegen. Was jedoch die Unterstützung der Flüchtlinge für ihren Aufenthalt in der Schweiz anbetrifft, so müssen wir die Geldbeschaffung dafür den privaten Organisationen überlassen. Einzelne von diesen erhalten dafür Beiträge auch von internationalen Organisationen, denen ja die Lage in unserem Lande und die Aufgabe, die die Schweiz mit der vorübergehenden Zulassung von Flüchtlingen auf sich genommen hat, bekannt sind. Wir haben Ihrem Bericht mit Genugtuung entnommen, dass jede einzelne der Zentralstelle angeschlossene Hilfsorganisation nach wie vor bestrebt ist, durch Sammlungen ihre Fonds zu äufnen. Wir glauben auch, dass es möglich sein sollte, noch einmal eine allgemeine Sammlung durchzuführen, wenn die Wehrmannsspende durchgeführt ist und das Hilfswerk für Finnland seine Hauptaktion abgeschlossen haben wird.
Neben der Obsorge für die fremdenpolizeiliche Ordnung besteht die Hauptaufgabe der Polizeiabteilung darin, zusammen mit den privaten Hilfsorganisationen, die Beziehungen mit internationalen Hilfswerken haben, Möglichkeiten für die Weiterwanderung der Flüchtlinge zu schaffen. Sie steht der Zentralstelle und den einzelnen Hilfsorganisationen zur Beratung in diesen Fragen zur Verfügung.
Sie haben erneut die Frage nach einer Gesamterfassung aller in der Schweiz sich aufhaltenden Flüchtlinge aufgeworfen. Es bestand zunächst der Plan, diese Gesamterfassung in einer Aktion direkt durch die eidgenössische Fremdenpolizei zu organisieren. Wir hatten Bedenken, da dies einen grossen Apparat erfordert hätte, und haben deshalb die Polizeiabteilung beauftragt, diese Erhebung anhand der der Fremdenpolizei zum Entscheid vorgelegten Einzelfälle zu organisieren. Es soll demnächst mit der Arbeit begonnen werden.
Zum Schlüsse möchten wir zusammenfassen, dass unseres Erachtens alle Bestrebungen dahin gehen müssen, für die Flüchtlinge möglichst bald Bewilligungen zur Einwanderung in Länder zu erhalten, in denen sie sich definitiv festsetzen und ein neues Leben aufbauen können. Diese Bestrebungen sind nicht nur ein Erfordernis, das sich aus unseren schweizerischen Interessen ergibt, sondern sie liegen ebensosehr im Interesse der Flüchtlinge selbst. Da wenigstens vorläufig mit Sammeltransporten nach bestimmten Ländern nicht gerechnet werden kann, muss jeder einzelne Fall nach dieser Richtung geprüft werden. Wir sind überzeugt, dass das Problem der Flüchtlinge durch deren Weit er Wanderung Zug um Zug gelöst werden kann, wenn alle Bestrebungen nach dieser Richtung gehen, und wollen deshalb, wie gesagt, Beiträge aus Bundesmitteln im Einzelfall leisten, soweit diese nicht aus privaten Mitteln aufgebracht werden können. Die weitere enge Zusammenarbeit der Polizeiabteilung mit Ihrer Zentralstelle und den ihr angeschlossenen Hilfsorganisationen wird sicherlich beidseitig von grossem Nutzen sein.
- 1
- Lettre (Copie): E 2001 (D) 3/484.↩
- 2
- Non reproduite. La requête de l’Office central commence par une présentation de ses activités depuis sa fondation en 1936 et des actions des autres organisations d’aide aux réfugiés fondées par les milieux juifs, catholiques, protestants et syndicaux. Ensuite, elle expose la situation des réfugiés en Suisse depuis le début de la guerre. Enfin, elle demande une augmentation des crédits fédéraux, une décentralisation de l’aide, un programme de création d’emplois et une plus grande tolérance de ta part de la police des étrangers.↩
- 3
- L’Office central demandait notamment: Humane und individuelle Handhabung der fremdenpolizeilichen Bestimmungen in Einzelfällen; Konsultierung der privaten Hilfsstellen, denen die betr. Emigranten bekannt sind, in Fällen von Massregelungen, Einweisung in Arbeitslager, Internierung etc.↩
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Policy of asylum Attitudes in relation to persecutions Religious questions