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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 12, doc. 490
volume linkBern 1994
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001D#1000/1553#183* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(D)1000/1553 15 | |
Titolo dossier | Caratsch, R., Berlin (1937–1945) | |
Riferimento archivio | A.15.48.11 |
dodis.ch/46750 Le Directeur de la «Neue Zürcher Zeitung», E. Riet mann, au Chef du Département politique, G. Motta1
Der Unterzeichnete erlaubt sich auf Ihr Schreiben vom 17. Dezember2 die nachstehenden Bemerkungen, wobei ich mich zunächst zum Fall an sich äussern möchte.
Herr Dr. Caratsch hat zweimal, in der (Samstag-) Morgenausgabe No 2249 vom 17. Dezember und in der (Montag-) Morgenausgabe No 2263 vom 19. Dezember über die «Verfälschung des Neutralitätsbegriffes» berichtet. Veranlassung waren bezügliche Artikel des «Völkischen Beobachters» bezw. der «Berliner Börsen-Zeitung». Beiläufig bemerkt, gibt es ausser der Berliner Ausgabe des «Völkischen Beobachters» noch eine süddeutsche und eine Wiener Ausgabe, die nicht immer übereinstimmen.
Im Artikel vom 17. Dezember der N.Z.Z. resümiert Herr Dr. Caratsch den Artikel des «V.B.». Die Frage ist, ob er das sinngetreu getan hat. Man läuft beim Resümieren leicht die Gefahr der zugespitzteren Formulierung; eine wiederholte, sorgfältige Lektüre des Artikels des «Völkischen Beobachters» in No 351 vom 17. Dezember zeigt indessen, dass Herr Dr. Caratsch sich keiner extensiven Auslegung schuldig gemacht hat, wenn er sagte, dass «das Blatt auch den von Bundesrat Motta aufgestellten Neutralitätsbegriff ablehne».
Ihr Schreiben hebt sodann ausdrücklich hervor, dass der Ausdruck «Brunnenvergiftung» sich auch auf schweizerische Presseorgane bezog, was Herr Dr. Caratsch hätte wissen sollen. Nun hat Herr Prof. Dr. Weber bei uns (in der zweiten Sonntagausgabe No 2259 vom 18. Dez.) selber geschrieben: «...und die scharfen Ausdrücke betrafen zwei englische Blätter und ein französisches, von deren Äusserungen auch schweizerische Zeitungen Notiz genommen hatten.» Er hatte also den gleichen Eindruck wie Herr Dr. Caratsch, und ich möchte beifügen, dass auch die Redaktion aus dem Wortlaut Ihrer Ausführungen keine ändern Schlüsse gezogen hat. Es ist übrigens in der Presse üblich, einen grossen Unterschied zwischen einer Originalmeldung und der blossen Zitierung zu machen.
Vielleicht darf ich hier beifügen, dass Herr Dr. Caratsch, und mit ihm die schweizerische Presse, seit geraumer Zeit unter dem Eindruck der vielen Artikeln in deutschen Zeitungen stehen, die sich mit den schweizerischen Zeitungen und der schweizerischen Neutralität befassen. Wer sie liest und keine Möglichkeit der Kontrolle besitzt, muss unstreitig des Glaubens werden, die schweizerische Presse, vornehmlich aber die bekannten grossen bürgerlichen Organe, gefielen sich förmlich in Entstellungen, falschen Nachrichten und Kriegshetze. Im Artikel «Skandal in der Schweiz» der «Münchner Neuesten Nachrichten», der aus Bern vom 7. Oktober datiert ist, wird z. B. gesagt, die deutschschweizerischen Zeitungen lassen sich in zwei Gruppen unterscheiden, eine «zweite Gruppe, hauptsächlich bestehend aus der Neuen Zürcher Zeitung, den Basler Nachrichten und der Basler Nationalzeitung, stellte, abgesehen von den Kommunisten, die einzige Kriegspartei Europas dar». Es wäre ein Leichtes, seitenlange Zitate aus den verschiedensten Blättern zu bringen, die alle belegen sollen, die schweizerische Presse, und insbesondere die hauptsächlichsten Organe, sei ein wahrer Feind Deutschlands. Das ist der Eindruck, den diese Artikel erzeugen müssen; man darf sich gar nicht wundern, wenn er auch bei unsern Landsleuten in Deutschland entsteht, die von den schweizerischen Hauptorganen seit 41/2 Jahren abgeschnitten sind. Daran schuld ist namentlich auch die deutsche Praxis der Verallgemeinerung und Verdächtigung, gegen die auch anderswo scharf protestiert worden ist (vgl. Antwort Welles’). Es sei hier nur an den Vorwurf erinnert, die schweizerische Presse sei verjudet oder marschiere Arm in Arm mit dem Kommunismus. Es hat vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus keine Presse gegeben, die so wenig jüdischen Einfluss, jüdische Redakteure etc. aufwies wie die schweizerische; trotzdem ist die deutsche Presse auch heute noch gleich bei der Hand, die schweizerische Presse als verjudet darzustellen. Die N.Z.Z. muss seit Jahrzehnten alljährlich grosse Kampagnen gegen den Sozialismus und den Kommunismus führen, und doch wird sie in einem Atemzug mit der kommunistischen Presse genannt. Dies erklärt die Reaktion der schweizerischen Presse, als die «Münchner Neuesten Nachrichten» die Rede von Herrn Minister Frölicher wiedergab, mit dem ihr gewidmeten Satz3, den das Münchner Blatt auch nach Ihren Erklärungen im Nationalrat ausdrücklich aufrecht erhält.
Sie legen sodann gegen die von unserm «Korrespondenten praktizierte einseitige und entstellende Darstellungsweise» nachdrücklich Verwahrung ein. Der Unterzeichnete fühlt lebhaft die ganze Schwere des Vorwurfs, der in diesen Worten und den nachfolgenden Zeilen enthalten ist. Darf ich mir auch hiezu einige Bemerkungen erlauben?
Es ist wohl zu unterscheiden zwischen Neutralität im Prinzip und in deren Handhabung. Sie haben selber in Ihrer Rede vom 14. Dezember im Nationalrat den in deutschen Zeitungen unternommenen Versuch, die Neutralität des Staates mit der Neutralität seiner Bürger zu vermengen, abgelehnt, wofür wir Ihnen mit der schweizerischen Presse dankbar sind. So klar aber für uns der Begriff der Neutralität ist, so unklar, verändert und verfälscht wird er, in der Gegenwart wie in der Geschichte, immer wieder im Auslande. Wenn wir nun einen Nachbar haben, dessen Leitsatz Bewegung ist und der infolgedessen die Forderungen zu steigern und zu mehren gewohnt ist, so muss man sich ernstlich fragen, wie weit ein Entgegenkommen gehen darf. Die schweizerische Presse soll nicht entstellen, nicht lügen; gut. Sie soll überhaupt sich nicht einmischen, soll nichts sagen, soll auf jegliches Urteil verzichten; wie ist das überhaupt möglich, ohne der faktischen Gleichschaltung, aber damit auch einer Preisgabe der wirklichen Neutralität, zu verfallen? Mit dem Ignorieren deutschen Geschehens wäre es übrigens nicht getan. Wir müssten den grössten Teil der Geschehnisse in der Weltpolitik ebenfalls beiseite lassen, denn sie setzt sich zu einem massgeblichen Teil aus dem Verhältnis der Achsen- und Antikomintern-Mächte zur übrigen Welt zusammen.
Wir wissen, dass man in Bern unsere Besorgnisse für ungerechtfertigt4 hält. Wir haben hier in der Ostschweiz aber weit mehr Beziehungen und Begegnungen mannigfachster Art, haben vieles auch aus grösserer Nähe verfolgen können, haben selber viel mehr gesehen, gehört, sozusagen mit den Fingern berührt, um nicht äusserst nachdenklich zu werden. Die N.Z.Z. unterdrückt vieles, was sie aus guter und zuverlässiger Quelle weiss. Sie beschäftigt sich nur mit Vorsicht mit dem jetzigen deutschen Ernährungs-, Devisen- und Finanzproblem, um nur diese zu nennen. Sie ist in den Augen vieler sogar zu sehr zurückhaltend. Dass diese Zurückhaltung auf deutscher Seite nicht geschätzt wird, kann uns nicht befremden. Aber ich kann bei dieser Gelegenheit den Unmut nicht verschweigen, der in der deutschschweizerischen Presse weitherum herrscht, dass man in Bern nie ein gutes Wort auch für sie finden will.
Wir machen sehr oft die Erfahrung, dass «Sünden», oder was man dafür hält, einem angekreidet werden, das andere aber, was Zustimmung fand und zitiert wurde, der Vergessenheit anheimfällt. Flerr Dr. Caratsch ist nicht nur angegriffen, sondern auch öfters in gutem Sinne zitiert worden, auch vom deutschen Rundfunk. Bei uns kennt man den Umfang und die Tonart der deutschen Polemik gegen die Schweiz und ihre Presse nicht, da leider nirgends eine amtliche Sammlung besteht, im Gegensatz zu Deutschland, wo haarscharf genau Buch geführt wird. So kommt es, dass unsere Industriellen z.B., die keine Zeit zu vergleichender Zeitungslektüre haben, und die die berechtigte Sorge für Arbeitsbeschaffung erfüllt, zum Glauben gebracht werden können, die schweizerische Presse sei ein Störenfried und Hemmnis für gute Beziehungen.
Die uns am Schlüsse Ihrer Zuschrift nahegelegte Prüfung der Lage wird die N.Z.Z., ich glaube Sie dessen versichern zu können, aufs Sorgfältigste vornehmen. Wir wissen zu sehr, dass die jetzige Zeit an Schwere hinter den Kriegsjahren nicht zurücksteht, und dass die Führung der Aussenpolitik mit unendlichen Schwierigkeiten umgeben ist. Diese leichthin vermehren zu wollen, ist nicht die Absicht und die Rolle der N.Z.Z. Unser Blatt, vor allem unsere Chefredaktion und die Auslandredaktion, sind stets gerne bereit, den Kontakt mit dem Politischen Departement aufzunehmen.
- 1
- Lettre: E 2001 (D) 3/15.↩
- 2
- Non reproduite.↩
- 3
- Cf. No 476, note 3.↩
- 4
- Ungerechtfertigt est souligné avec en marge: ?. Dans sa réponse du 31.12.38 à Rietmann, Motta écrit: Es trifft nicht zu, dass Ihre Besorgnisse hier in Bern als gänzlich grundlos betrachtet werden. Das will aber auch nicht besagen, dass eine Methode, welche die Öffentlichkeit fortwährend beunruhigt und die Arbeit der Behörden stört, die richtige sei. (E 2001 (D) 3/15).↩
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