Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
24. Spanien
24.1. Handelsvertragsverhandlungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 409
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7110-02#1000/1065#474* | |
Old classification | CH-BAR E 7110-02(-)1000/1065 115 | |
Dossier title | Handelsvertrag mit Spanien: Schweizerische Gesandtschaft Madrid (1928–1929) | |
File reference archive | 8.2.1 • Additional component: Spanien |
dodis.ch/45426
Hiemit bestätigen wir Ihnen den Empfang Ihrer Berichte vom 4., 7. und 9. d.M.2 Von ihrem Inhalt, wie namentlich von demjenigen der Note vom 7. Juli.3, haben wir mit grösstem Interesse aber auch, wie Sie, mit starker Enttäuschung Kenntnis genommen. Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der nun zu treffenden Entscheidungen ist die ganze Sachlage letzten Samstag nachmittag in Baden, wo sich Herr Bundespräsident Schulthess gegenwärtig zur Kur aufhält, unter seinem Vorsitz von der schweizerischen Unterhändlerdelegation einlässlich behandelt worden. Wir beehren uns, Ihnen hiemit vom Resultat dieser Besprechungen im Sinne von Instruktionen für Ihr weiteres Vorgehen Kenntnis zu geben:
Wie Sie wohl kaum anders erwartet haben, war die einstimmige und bestimmte Auffassung die, dass auf der durch die Note vom 7. d.M. geschaffenen Grundlage für die Schweiz der Abschluss eines neuen Vertrages gänzlich ausgeschlossen ist:
a) Es wird für den Bundesrat durchaus unmöglich sein, von dem durch ihn bereits betonten Prinzip der vollen Reziprozität mit Bezug auf Zollbindungen abzuweichen, d. h., entweder geben beide Staaten hinsichtlich der Höhe gewisser Zölle vertragliche Garantien oder aber beide Staaten verzichten auf solche und begnügen sich mit der Behandlung auf dem Fusse der meistbegünstigten Nation. Wir bitten Sie deshalb, den spanischen Unterhändlern zur Kenntnis zu bringen, dass die Schweiz einem Abkommen, wonach in einer Liste A gewisse schweizerische Zölle gebunden würden, ohne dass in einer Liste B entsprechende spanische Bindungen vorgesehen sind, unter keinen Umständen zustimmen kann.
Die Gründe für diese Stellungnahme sind Ihnen bereits bekannt. Wir fügen lediglich bei, dass die Schweiz, so lange es überhaupt eine schweizerische Handelspolitik gibt, niemals einen derartig einseitigen Vertrag abgeschlossen hat. Der Hinweis der spanischen Delegierten auf den jüngst abgeschlossenen schweizerisch-französischen Handelsvertrag ist ebenso verfehlt wie lächerlich: Ein kurzer Blick auf die Tarifanlagen dieses Vertrags zeigt ja gerade, dass die Schweiz von Frankreich unendlich viel mehr Zollherabsetzungen und Bindungen erhalten hat, als sie ihrerseits gewährte. Gerade der Hinweis auf diesen Vertrag und die französische Handelspolitik überhaupt spricht nicht für, sondern in hohem Masse gegen die spanische Forderung. Da man offenbar spanischerseits gelegentlich darauf hinweist, das Bestreben nach absoluter Tarifautonomie bedeute nur die Nachahmung des französischen Beispiels, dürfte es nicht unzweckmässig sein, wenn Sie den Herren folgendes in Erinnerung rufen:
Es ist richtig, dass die französische Handelspolitik seit Méline (1892) grundsätzlich den Standpunkt der Tarifautonomie auf der Basis eines Doppelkolonnen-Tarifs vertreten hat, d. h. die Minimalkolonne sollte unveränderlich bleiben und nicht zum Gegenstand handelsvertraglicher Besprechungen und Herabsetzungen gemacht werden können, die Bindung der Minimalkolonne oder einzelner ihrer Positionen sollte abgelehnt werden und die Meistbegünstigung grundsätzlich nicht für den ganzen Tarif, sondern nur für einzelne vertraglich festzusetzende Gruppen und Positionen gewährt werden können. Auf diesem Standpunkt stand die französische Regierung noch bei Erscheinen des Tarifprojektes Bokanowski, im März 1927. Unter dem Eindruck der machtvollen Kundgebung der Weltwirtschaftskonferenz vom Mai 1927, in Genf, hat dann aber Frankreich sukzessive diesen Standpunkt vollständig verlassen. In den seit Jahresfrist abgeschlossenen Verträgen (mit Deutschland, Belgien, der Schweiz, etc.) gibt Frankreich nicht nur die uneingeschränkte Meistbegünstigung, sondern es verhandelt auf seinem Minimaltarif und hat den verschiedenen Staaten darauf viele und wesentliche Ermässigungen zugestanden und vor [allem alle Positionen, die diese Staaten interessieren, gebunden, d.h. in ihrer Maximalhöhe vertraglich festgelegt. Damit ist Frankreich unzweideutig zu den Staaten übergegangen, die die Politik der Tarifhandelsverträge schon seit langem befolgt haben (Deutschland, Italien, Belgien, Österreich, Tschechoslowakei, Jugoslawien etc. etc.). So gibt es heute in Europa, ausgenommen von England und Holland mit ihren aussergewöhnlich liberalen Zöllen, keine wichtigeren Staaten mehr, die es ablehnen, ändern Staaten vertragliche Garantien in Form von Zollbindungen hinsichtlich der Gestaltung ihrer Zölle zu geben. Einzig und allein Spanien will sich diese krasse Verletzung der Empfehlungen der Genfer Wirtschaftskonferenz leisten, wobei es leider bei verschiedenen Grossmächten bis jetzt nicht genügend Widerstand gefunden hat.
Es ist selbstverständlich, dass in dieser ersten Frage auch die «dignité nationale» eine Rolle spielt, aber, wie Sie bereits zutreffend bemerkt haben, keineswegs für Spanien, das von uns etwas verlangt, was es zu geben verweigert, sondern einzig und allein für uns. Gerade weil diese Frage materiell weder für Spanien noch für uns von wesentlicher Bedeutung ist, glauben wir bestimmt annehmen zu können, dass Spanien auf diese absolut ungerechtfertigte Forderung verzichten wird.
b) Aus der spanischen Note ist zu entnehmen, dass man jegliche Garantie oder auch nur Erklärung über die Gestaltung der uns interessierenden Zölle des neuen spanischen Tarifs, der am 1. Januar 1929 in Kraft treten soll, ablehnt. Was man uns offeriert, ist lediglich entweder die Beibehaltung der heutigen Zölle für 25 Positionen bis Ende Dezember 1928 oder aber die Beibehaltung der vollständigen Liste B bis zum genannten Zeitpunkt. Diese Alternative ist uns eigentlich vollkommen unverständlich, da wir ja wirklich kein Interesse daran hätten, uns - immer für den genannten Zeitraum - mit der Bindung von 25 Positionen zu begnügen, wenn gleichzeitig die Möglichkeit besteht, diese Bindung für alle 50 Positionen der Liste B zu erhalten. So wie die Dinge aber liegen, interessiert uns dieses Zwischenregime, das praktisch fast auf nichts zusammenschrumpfen würde, nicht mehr. Wir teilen in dieser Hinsicht vollkommen Ihre Auffassung und nehmen mit Ihnen an, dass Spanien mit einer allfälligen Kündigung bis zum 1. Oktober zuwarten wird, so dass dann unter allen Umständen noch während drei Monaten, d.h. bis zum 31. Dezember., der bisherige Vertragszustand andauern würde. Ein besseres Resultat wäre aber auch bei Annahme der spanischen Vorschläge praktisch nicht erreichbar.
c) Wir geben uns vollkommen Rechenschaft darüber, dass bei Ablehnung der spanischen Vorschläge und bei Kündigung des Vertrags durch Spanien auf 31. Dezember der Nachteil für uns darin liegt, dass Spanien während dieser Zeit noch einen wesentlichen Teil seiner Weinlieferungen nach der Schweiz wird ausführen können. Wir haben uns deshalb reiflich überlegt, ob es nicht, wie Sie angeregt hatten, zweckmässiger sei, von Spanien eine auf 1. August befristete Erklärung zu verlangen und dann gegebenenfalls unserseits auf anfangs November zu kündigen. Wir sind aber doch übereinstimmend zur Auffassung gelangt, dass es aus internen und externen Gründen vorteilhafter und zweckmässiger sei, das Odium der Kündigung nicht auf uns zu nehmen, sondern es den Spaniern zu überlassen. Es würde zu weit führen, Ihnen hier die innerpolitischen Erwägungen auseinander zu setzen, die zu diesem Entschluss geführt haben.
d) Wenn Sie demnach den spanischen Delegierten mitteilen, dass ihre Vorschläge für die Schweiz unannehmbar seien, einmal weil die Beibehaltung der Liste A ohne gleichzeitige Beibehaltung der Liste B für die Schweiz unmöglich sei, und sodann weil die Schweiz an einem Abkommen, welches die Verhältnisse nur bis Ende Dezember 1928 regelt, kein genügendes Interesse habe, so bestehen hinsichtlich der zu erwartenden spanischen Reaktion zweierlei Möglichkeiten: entweder man macht Ihnen neue Vorschläge, über die wir uns dann wieder auszusprechen hätten, oder aber die Verhandlungen kommen nicht vom Fleck und Spanien kündigt uns den Vertrag am 1. Oktober auf Ende Dezember. In letzterem Fall wäre dann schweizerischerseits abzuklären, ob wir ab 1. Januar 1929 zwar die Vertragszölle verlieren, aber doch meistbegünstigt behandelt werden oder ob man uns differenzieren will. Bevor sich die Schweiz hinsichtlich ihres Verhaltens entschliesst, wird sie unter allen Umständen den neuen spanischen Tarif kennen müssen. Je nach seiner Höhe für uns hauptsächlich interessierende Artikel wird man bestimmen, ob wir Spanien die Meistbegünstigung weiter geben können, und in Verbindung damit wird sich eventuell die Frage stellen, ob und wie man hinsichtlich der drei Positionen des schweizerischen Tarifs, die nur gegenüber Spanien heute gebunden sind (trockene Malagatrauben, Safran und Pfeffer) entgegenkommen kann.
Wir bitten Sie also, den spanischen Delegierten mitzuteilen, dass ihre Vorschläge für uns unannehmbar sind und wir entweder neue Vorschläge gewärtigen oder aber der spanischen Regierung das weitere Vorgehen und damit die Verantwortung für alle Folgen überlassen müssen.
P.S. Wie Sie wahrscheinlich wissen, war vor einiger Zeit der spanische Arbeitsminister in der Schweiz, wo er auch bei Herrn Bundespräsident Schulthess vorgesprochen hat. Die Herren kamen dabei auch auf die Frage des Handelsvertrags zu sprechen und Herr Schulthess hatte den Eindruck, dass der spanische Minister sehr viel Verständnis und guten Willen für die Lage der Schweiz hätte. Vielleicht wäre es zweckmässig, wenn Sie auf geeignetem Wege an ihn gelangen könnten, um seinen Einfluss zugunsten der Schweiz etwas zu mobilisieren.4
- 1
- Schreiben (Kopie): E 7110 1/115. Paraphe: KB. Schweizerisch-spanischer Handelsvertrag.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- In dieser Note der spanischen Unterhändler R. Lopez de Lago und S. Castedo wurden der schweizerischen Seite zusammenfassend folgende Vorschläge unterbreitet: 1. Rédaction d’une convention revisée hispano-suisse sur la base du traitement réciproque de la nation la plus favorisée avec caractère général, et du maintien, pour l’Espagne, des consolidations de l’Annexe A de la convention en vigueur, à l’exception de la position 1044 qui n’offre pas un intérêt particulier pour l’Espagne. 2. La suppression de l’Annexe B et l’application à la Suisse du traitement mentionné de la nation la plus favorisée et, dans le nouveau système douanier de 1929, du tarif conventionnel générique avec tous les bénéfices qu’il comporte, qui sont ceux dont peut jouir tout autre pays. 3. Une proposition au Gouvernement de Sa Majesté, recommandant le maintien des droits actuels, avec caractère général et par le moyen d’une disposition appropriée, pour les 25 positions précitées de l’Annexe B, au cas où la nouvelle convention serait signée à une date permettant son entrée en vigueur le 1er septembre ou le 1er octobre prochain, au plus tard; ou bien, en lieu et place de cette solution, la stipulation que la nouvelle convention entre en vigueur le 1er janvier 1929, mais toujours à la condition qu’elle ait pu être signée le 15 septembre prochain; il n’y aurait alors aucun changement dans le régime des produits suisses pour tout le reste de l’année. 4. L’examen par le Conseil de l’Economie Nationale des demandes suisses relatives aux nouveaux tarifs, examen auquel il serait apporté tout l'esprit d'harmonie possible, tout en ayant égard, d’une manière raisonnable et prudente, aux demandes de la production nationale (E 7110 1/115).↩
- 4
- Zum weiteren Verlauf der Angelegenheit vgl. Nr. 453.↩
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