Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
3. Internationale Wirtschaftsabkommen
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 9, Dok. 249
volume linkBern 1980
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E1004.1#1000/9#12223* | |
Dossiertitel | Beschlussprotokoll(-e) 05.02.-08.02.1927 (1927–1927) |
dodis.ch/45266 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 8. Februar. 19271 193. Wirtschaftskonferenz des Völkerbundes. Schweizerische Delegation
In seiner Sitzung vom 9. Dezember 1926 hat der Völkerbundsrat, gestützt auf eine ihm durch die VI. Völkerbundsversammlung erteilte Ermächtigung beschlossen, auf den 4. Mai 1927 nach Genf eine internationale Wirtschaftskonferenz einzuberufen2. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1926 an das Politische Departement hat der Generalsekretär des Völkerbunds den Bundesrat eingeladen, zur Teilnahme an der Konferenz fünf schweizerische Persönlichkeiten zu bestimmen und ihm die Nominationen bis Ende Januar 1927 bekannt zu geben3.
Aus den Akten ergibt sich, dass die Delegierten an dieser Wirtschaftskonferenz weder direkte Vertreter der verschiedenen Regierungen sein sollen noch auch gänzlich unabhängig von diesen aus den Kreisen der Wirtschaft bestimmt werden, wie dies beim vorbereitenden Komitee der Fall war. Die Meinung geht vielmehr dahin, dass die einzelnen Teilnehmer an der Konferenz nur gestützt auf ihre Sachkenntnis und die wirtschaftlichen Gruppen, die sie vertreten, zu bezeichnen sind. Die Ernennung erfolgt aber trotzdem durch die Regierungen, um zu erwirken, dass diese den Arbeiten der Konferenz und ihren allfälligen Beschlüssen ein erhöhtes, mehr als nur akademisches Interesse schenken sollen. Jeder Staat bezeichnet derart fünf Teilnehmer an der Konferenz, trägt aber für deren Voten und für ihre Stimmabgabe keinerlei Verantwortung. Die von den einzelnen Regierungen bestellten Delegationen bilden nicht in dem Sinne eine Einheit, dass, durch einen bezeichneten Delegationschef, Meinungen und Anträge der einzelnen Staatsdelegationen zum Ausdruck kommen sollen. Es ist also sehr wohl denkbar, dass die einzelnen Mitglieder der gleichen Delegation ganz verschiedenartige Meinungen zum Ausdruck bringen.
Das Arbeitsprogramm der Konferenz ergibt sich aus der vorliegenden Tagesordnung. Obschon das vorbereitende Komitee schon eine nicht unbeträchtliche Sichtung und Konzentration des ganzen ungeheuren Materials vorgenommen hat, bilden doch die noch zur Diskussion stehenden Fragen einen derart umfangreichen und schwierigen Komplex, dass bei der Ernennung der einzelnen Delegationen auf eine gewisse Arbeitsteilung Rücksicht genommen werden muss. Hierauf macht denn auch der Völkerbundsrat ausdrücklich aufmerksam. So wird auch bei der Bestellung der schweizerischen Delegation darnach getrachtet werden müssen, Persönlichkeiten derart zu bestimmen, dass die verschiedenen Gebiete der Tagesordnung sachkundig behandelt werden können.
Aus der Tagesordnung ergeben sich vier grössere Fragengruppen, nämlich:
1. allgemeine wirtschaftliche Fragen,
2. Hemmnisse des internationalen Verkehrs (Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, Zolltarife, Handelsverträge, etc.),
3. Industriefragen (internationale Kartelle und Truste, etc.) und
4. landwirtschaftliche Fragen.
Diese Gliederung der Tagesordnung führt zunächst dazu, vier Persönlichkeiten zu ernennen, die für die Behandlung der genannten vier Gruppen besonders qualifiziert erscheinen und die zugleich bis zu einem gewissen Grade die grossen wirtschaftlichen Interessengruppen des Landes repräsentieren. Dabei scheint es selbstverständlich zu sein, dass die Schweiz - gleich wie dies offenbar die meisten übrigen Staaten tun - mindestens einen eigentlichen Staatsvertreter bezeichnet, der sich insbesondere mit den oben unter 2. genannten Fragen des internationalen Handels zu befassen hätte. Nach den eingelaufenen Informationen werden die meisten Staaten zu diesem Zwecke die Leiter ihrer handelspolitischen Abteilung nach Genf delegieren. Das Volkswirtschaftsdepartement möchte deshalb vorschlagen, das Gleiche zu tun und den Direktor der Handelsabteilung als Delegierten zu bezeichnen.
Zur Behandlung der allgemeinen Wirtschaftsfragen, die ja naturgemäss in verschiedener Beziehung eng mit Fragen der internationalen Finanz Zusammenhängen, scheint dem Departement dann weiter Herr Leopold Dubois, Präsident des Schweizerischen Bankvereins, besonders geeignet zu sein. Herr Dubois war längere Zeit Präsident des Finanzkomitees des Völkerbundes und bekanntlich auch Mitglied des Komitees zur Vorbereitung der Wirtschaftskonferenz. Er verfügt deshalb über eine grosse Erfahrung auf diesen Gebieten und auch über eine wertvolle Personenkenntnis der Völkerbundskreise.
Zur speziellen Behandlung der oben unter Ziffer 3. erwähnten Industriefragen sollte ein kompetenter Vertreter der schweizerischen Industriekreise herangezogen werden. Das Departement hat deshalb den Vorort des Schweizerischen Handelsund Industrie-Vereins um Vorschläge ersucht und möchte, gestützt darauf, Herrn Dr. Emst Wetter, Vizepräsident des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins, in Vorschlag bringen.
Dass hinsichtlich der unter Ziffer 4. erwähnten landwirtschaftlichen Fragen ein berufener Vertreter der schweizerischen Landwirtschaft zu ernennen ist, scheint ohne weiteres klar. In Übereinstimmung mit dem Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes, dem es selber nicht möglich ist, die Landwirtschaft an der Wirtschaftskonferenz zu vertreten, schlägt das Departement Herrn Staatsrat Ferdinand Porchet, in Lausanne, vor.
Endlich scheint es notwendig zu sein, auch den schweizerischen Arbeitnehmern eine Vertretung an der Wirtschaftskonferenz zu gewähren. Da nur ein Delegierter für diese Kreise in Betracht kommen kann, so hat das Departement die grösste und wichtigste Arbeitnehmer-Organisation, den Schweizerischen Gewerkschaftsbund, um einen Vorschlag ersucht. Er empfiehlt Herrn Dr. Max Weber, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
Neben den fünf Delegierten, die jeder Staat zu ernennen hat, können der Delegation noch Experten beigegeben werden, die aber kein Recht zur Teilnahme an der Diskussion und zur Stimmabgabe besitzen. In der Beratung werden nur für die Arbeitnehmerschaft Experten in Aussicht genommen, und zwar die Herren Nationalrat Scherrer, um auch den christlichsozialen Organisationen eine Vertretung zu gewähren, und alt Nationalrat Baumann als Vertrauensmann der Angestellten.
Die Entschädigung für die Delegierten und Experten ist von den einzelnen sie ernennenden Staaten zu tragen. Das Volkswirtschaftsdepartement wird hierüber später einen Antrag stellen.
Es wird daher beschlossen:
1. Als schweizerische Mitglieder der am 4. Mai 1927 in Genf zusammentretenden internationalen Wirtschaftskonferenz werden vom Bundesrat bezeichnet die Herren:
a) Walter Stucki, Direktor der Handelsabteilung im eidg. Volkswirtschaftsdepartement, in Bern,
b) Leopold Dubois, Präsident des Schweizerischen Bankvereins, in Basel,
c) Ferdinand Porchet, Mitglied des Staatsrats des Kantons Waadt, in Lausanne,
d) Dr. Ernst Wetter, Vizepräsident des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins, in Zürich,
e) Dr. Max Weber, Volkswirtschaftlicher Mitarbeiter des Gewerkschaftsbundes, in Bern.
2. Der Delegation werden als Experten beigegeben die Herren Nationalrat Josef Scherrer (St.Gallen) und alt Nationalrat R. Baumann (Luzern).
3. Das Politische Departement wird beauftragt, diese Nominationen dem Generalsekretär des Völkerbundes unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.
4. Die Bundeskanzlei wird beauftragt, den Ernannten von ihrer Wahl Kenntnis zu geben.
- 1
- E 1004 1/302. A bwesend: Schulthess und Musy.↩
- 2
- In einem ausführlichen Bericht vom 22.12.1926 beschrieb E. Péquignot, Adjunkt in der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes, die Vorbereitungsphase der internationalen Wirtschaftskonferenz aus schweizerischer Sicht (E 7800 3/150).↩
- 3
- E 2001 (C)5/14.↩