Lingua: tedesco
2.7.1926 (venerdì)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 2.7.1926
Verbale segreto del Consiglio federale (PVCF-S)
Nach Wagnière bilden den Ursprung der angeblichen Germanisierung des Kantons Tessin die Verkäufe tessinischer Grundstücke an Deutschschweizer und Deutsche. Motta möchte in dieser Frage von einem amtlichen Schritt absehen. Er will die Regierung in Rom wissen lassen, dass die italienische Pressehetze den Bundesrat peinlich berühre.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
12. Italien
12.1. Allgemeine Beziehungen
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Pubblicato in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (ed.)

Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 9, doc. 200

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Bern 1980

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Collocazione

dodis.ch/45217
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 2. Juli 19261

Angebliche Germanisierung des Kantons Tessin

Mündlich

Der Gesandte in Rom hat den Vorsteher des politischen Departements auf den in der letzten Zeit von der italienischen Presse gegen die Schweiz durchgeführten Feldzug aufmerksam gemacht, dessen Vorwurf die angebliche Germanisierung des Kantons Tessin bildete2. Der Ursprung dazu liegt in einer Erörterung über Verkäufe tessinischer Grundstücke an Deutschschweizer und Deutsche, welcher Gegenstand den Grossen Rat des Kantons Tessin jüngst beschäftigt hat. Der Vorsteher der zuständigen Regierungsdirektion hat es dabei leider unterlassen, die Vorkommnisse auf ihr richtiges Mass zurückzuführen, und liess eher durchblikken, dass diese Vorkommnisse die Behörden des Kantons Tessin beunruhigen. Das bekannte Hetzblatt «Adula» hat natürlich nicht verfehlt, sich dieses Gegenstandes zu bemächtigen, und der ebenso unrühmlich bekannte Journalist Colombi wies auch im «Démocrate» auf die Angelegenheit hin. Von dort fand die Sache ihren Weg zunächst in die französische und dann auch in die italienische Presse, die natürlich sofort in recht unziemlicher Weise Lärm schlug. Da nun bei der bekannten Unfreiheit des italienischen Zeitungswesens ein solcher Pressefeldzug nur mit der zum mindesten stillschweigenden Billigung der Regierung durchgeführt werden kann, so war der Gesandte in Rom der Meinung, es sollte bei der italienischen Regierung ein amtlicher Schritt getan werden, um dem Wühlgeschäft ein Ende zu machen.

Der Vorsteher des politischen Departementes legt dem Bundesrat die Frage zur Aussprache vor. Er selbst teilt die Auffassung des Gesandten nicht. Mit einem offiziellen Schritt in Rom würde höchstens der Verdacht erregt, dass am Ende doch an der angeblichen Germanisierung des Kantons Tessin etwas sei, und ausserdem würde der Anschein erweckt, als ob wir in irgend einer Form den Schutz der italienischen Regierung nötig hätten. Zudem haben solche Schritte keineswegs immer Erfolg, wie die Tatsache zeigt, dass das Archivio storico der Società Palatina in Mailand trotz der Vorstellungen, die bei der italienischen Regierung erhoben worden sind, zu erscheinen begonnen hat3. Der Vorsteher des politischen Departementes möchte daher von einem amtlichen Schritt bei der italienischen Regierung absehen, aber den Gesandten ermächtigen, gelegentlich dort wissen zu lassen, dass die Pressehetze über die angebliche Germanisierung des Kantons Tessin dem Bundesrat recht peinlich gewesen sei4.

In der Beratung wird der Standpunkt des Vorstehers des politischen Departementes einmütig gebilligt. Dagegen wird eine Abwehr des ungerechtfertigten Angriffs durch die schweizerische Presse angeregt, unter Hinweis darauf, dass, wie die übrige Schweiz den Tessinern, so der Tessin den übrigen Schweizern offenstehen müsse, dass in diesem Austausch von Angehörigen der verschiedenen Kantone umso weniger eine Gefahr liege, als die Anpassung der Zugewanderten in der Regel schon in der zweiten Generation vollständig sei. Bei der angeblichen Germanisierung des Kantons Tessin komme in der Hauptsache die Zuwanderung von Angehörigen der Kantone nördlich des Gotthards in Betracht, also von Schweizern, während im Kanton Tessin eine bedrohliche Überfremdung bestehe durch das Eindringen einer grossen Zahl italienischer Arbeiter und namentlich italienischer Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke, was sich leider auch in den mit schweren Opfern des Kantons und des Bundes meliorierten Landstrichen des Kantons Tessin bemerklich mache.

Hieran anknüpfend führt der Vorsteher des politischen Departements aus, er müsse am 18. Juli am Kantonalschützenfest in Faido sprechen und beabsichtige bei seiner Rede die Frage der angeblichen Germanisierung des Kantons Tessin im Sinne der in der Beratung eben gefallenen Äusserungen zu berühren, und namentlich auch darauf hinzuweisen, dass es ein beleidigender Gedanke wäre, wenn man dem Volk des Kantons Tessin nicht Zutrauen wollte, dass es selbst die nötige Kraft der Selbsterhaltung aufbringe, um sich die zugewanderten Schweizer anderer Zunge einzuverleiben. Alles natürlich ohne die italienische Empfindlichkeit zu reizen, aber mit aller freimütigen Deutlichkeit.

Überdies würde er diesen Anlass dazu benützen, um den Tessiner Behörden und Bürgern zu sagen, dass sie bisweilen gegenüber dem Bund nicht so eingestellt seien, wie es sein sollte. Diese richtige Einstellung habe besonders auch bei der Behandlung der rivendicazioni ticinesi im Grossen Rat und in der Presse des Kantons gefehlt, bei welchem Anlass der Bundesrat gewissermassen als fremde Macht hingestellt worden sei, der gegenüber es gelte, mit allem Nachdruck seine Ansprüche zu vertreten, während doch Volk und Behörden des Kantons Tessin in Verbindung mit dem Bundesrat nur das Beste des ganzen Landes zu erstreben haben5.

Der Rat nimmt von diesem Vorhaben des Vorstehers des politischen Departementes in zustimmendem Sinne Kenntnis.

1
E 1005 2/3. 1.Abwesend: Häberlin und Musy.
2
Zur Antwort Mottas an Wagnière vgl. Nr. 197.
3
Vgl. dazu Nr. 125 und Nr. 106.
4
Mit Telegramm Nr. 15 vom 8. 7.1926 teilte das Politische Departement der schweizerischen Gesandtschaft in Rom mit: [...] Il serait opportun faire savoir au Gouvernement italien à pre- miére occasion favorable que notre opinion est d’autant plus péniblement affectée qu’elle est persuadée que sans la tolérance complaisante des autorités officielles cette campagne serait impossible. Il est certain que la campagne est de nature à troubler la confiance entre les deux pays et si comme nous le pensons le Gouvernement italien tient à la conserver il devrait agir en conséquence (E 2001 (C) 4/101). Vgl. Nr. 207.
5
5.Vgl. Nr. 208.