Sprache: Deutsch
23.2.1926 (Dienstag)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 23.2.1926
Bundesratsprotokoll (PVCF)
Das EVD orientiert den Bundesrat über die erste Verhandlungsetappe der Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland. Als heikelste Frage hat sich der Stickereiveredelungsverkehr erwiesen. Die Beratungen über den allgemeinen Teil des Vertrages sind auf eine spätere Verhandlungsperiode verschoben worden.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutschland
6.1. Handelsvertrag und Abkommen über Einfuhrbeschränkungen
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Abgedruckt in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (Hg.)

Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 9, Dok. 165

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Bern 1980

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dodis.ch/45182
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 23. Februar 19261

311. Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland

Wie bekannt, hat sich anfangs Januar die schweizerische Delegation für die Handelsvertragsunterhandlungen nach Berlin begeben, um mit einer deutschen Delegation in Besprechungen über den Abschluss eines neuen Handelsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland einzutreten. Herr Prof. Laur, der gleichfalls Mitglied der schweizerischen Delegation ist, war aus beruflichen Gründen verhindert, an den Berliner Verhandlungen teilzunehmen. Diese Unterhandlungen sind bereits im vorläufigen Zollabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland vom 6. November 1925 vorgesehen; sie sollten eigentlich im Monat Dezember des letzten Jahres stattfinden, mussten jedoch auf Wunsch der deutschen Regierung verschoben werden, da der Stand der Vorarbeiten auf deutscher Seite eine Aufnahme der Besprechungen vor dem 12. Januar nicht zuliess.

Die erste Verhandlungsetappe hat, wie vorgesehen, nach dreiwöchentlicher Dauer ihren Abschluss gefunden, und unsere Unterhändler sind am 30. Januar in die Schweiz zurückgekehrt. Das Volkswirtschaftsdepartement erstattet folgenden Bericht über den Verlauf und die bisherigen Ergebnisse dieser Verhandlungen:

Angesichts der Tatsache, dass deutscherseits über 200 Begehren zum schweizerischen Zolltarif und auf schweizerischer Seite über 150 Begehren zum deutschen Zolltarif angemeldet waren, konnte es sich vorerst nur um eine gegenseitige Fühlungnahme und ein Durchgehen der beiden Wunschlisten handeln, wobei immerhin auf beiden Seiten schon eine ganze Anzahl von Begehren ihre Erledigung fanden, sei es durch Verzicht, sei es durch Zugeständnisse. Wenn trotzdem die Arbeiten nicht immer mit der wünschenswerten Raschheit vorwärts gebracht werden konnten, so lag der Hauptgrund wohl in der Zusammensetzung der deutschen Delegation, die ausser den eigentlichen, den verschiedenen Reichsministerien angehörenden Unterhändlern auch noch Vertreter der am Vertrage besonders interessierten Länder aufwies. Die Konsultierung dieser Delegierten und deren Rückfragen bei ihren Regierungen hemmten naturgemäss den Gang der internen Besprechungen der deutschen Delegation, was wiederum gewisse Rückwirkungen auf das Fortschreiten der Plenarverhandlungen zur Folge hatte. Es darf jedoch betont werden, dass der Vorsitzende der deutschen Delegation stets bestrebt war, unliebsame Verzögerungen nach Möglichkeit zu vermeiden.

So ist es immerhin gelungen, die erste Lesung der beiden Begehrenlisten zu Ende zu führen, d. h. die Delegationen hatten Gelegenheit, zu den zwei Wunschlisten ihre Erklärungen und, soweit erforderlich, auch ihre Entgegnungen anzubringen. Bereits in der ersten Sitzung wurde vereinbart, dass grundsätzlich kein Teil die bereits im Provisorium gemachten Zugeständnisse zurückziehen werde, wobei immerhin schweizerischerseits hinsichtlich der deutschen Begehren für Linoleum infolge besonderer Verhältnisse ein Vorbehalt gemacht werden musste.

Zu den

1.) schweizerischen Begehren betreffend Herabsetzung deutscher Zollsätzeist folgendes zu bemerken:

Die angemeldeten Begehren betrafen insgesamt 165 Positionen des deutschen Zolltarifs, wobei zu 60 Positionen der Antrag auf Bindung des heutigen Zollansatzes ging, während für die übrigen eine Herabsetzung verlangt wurde. In bezug auf 49 Positionen des deutschen Zolltarifs sind die Begehren durch Bindung, sei es der autonomen, sei es der bereits dritten Staaten vertraglich gewährten Ansätze, erledigt worden. Dies betrifft insbesondere die grosse Gruppe Maschinen, wo Deutschland sich bereit erklärt hat, seine gegenwärtig geltenden, verhältnismässig niedrigen Zölle während der Dauer des Vertrages nicht zu erhöhen. Mit Ermässigungen der Zollsätze ihres Tarifes war die deutsche Delegation vorerst noch zurückhaltend. Sie hat deren bis jetzt 45 gewährt, wobei die besondern Verhältnisse bei den Seidengeweben nicht berücksichtigt sind. Solche Reduktionen pflegen naturgemäss in der ersten Lesung nur in beschränktem Masse zu erfolgen, so dass in dieser Richtung noch weiteres Entgegenkommen erwartet werden kann. Schliesslich hat die schweizerische Delegation auf 13 ihrer Begehren verzichtet, sei es, dass sie unwichtig schienen, sei es, dass ein Entgegenkommen deutscherseits von vornherein ausgeschlossen war.[...]2

Diese Übersicht zeigt ohne weiteres, dass die Hauptschwierigkeiten auf dem Gebiete der Textilien liegen. Es dürfte möglich sein, noch gewisse nicht unbeträchtliche Zugeständnisse für Seide und Baumwolle zu erhalten, wenn und soweit die Schweiz den deutschen Wünschen nach Herabsetzung ihrer Gebrauchsansätze entspricht. Diese Frage führt auf das Gebiet der

2.) deutschen Begehrenliste zum schweizerischen Zolltarif.

Den Instruktionen des Bundesrates entsprechend hat die schweizerische Delegation, abgesehen von einigen Ausnahmen, den deutschen Begehren auf Bindung unserer heutigen Gebrauchsansätze entsprochen. Dies geschah selbstverständlich mit dem ausdrücklichen und mehrfach wiederholten Vorbehalt, dass diese Bindungen nur bei genügenden Reduktionen auf dem deutschen Zolltarif aufrechterhalten werden könnten. Diese Bindungen wurden insbesondere dort sofort in Aussicht gestellt, wo die schweizerischen Zölle höher sind als die deutschen, oder eine Erhöhung im provisorischen Generaltarif nicht vorgesehen ist, oder die deutsche Einfuhr schon jetzt gegenüber 1913 stark zurückgegangen ist, oder wo endlich Deutschland wesentliche Herabsetzungsbegehren gestellt hatte. Aus allen grossen Gebieten wurde nach Möglichkeit auch noch eine Reserve geschaffen durch vorläufige Ablehnung der Bindung. Die deutschen Herabsetzungsbegehren wurden vorerst abgelehnt, mit Ausnahme der wenigen Zugeständnisse, die bereits im vorläufigen Zollabkommen vom 6. November 1925 gemacht worden waren.

Die deutsche Begehrenliste betrifft 207 Positionen des schweizerischen Gebrauchstarifs, wovon 96 Begehren auf eine Herabsetzung des heutigen Zollansatzes gingen, während für die übrigen die Bindung gefordert wurde. In den Berliner Verhandlungen ist unter dem bereits erwähnten Vorbehalt für 72 Begehren dem Wunsche nach Bindung entsprochen worden. Auf 27 Begehren hat die deutsche Delegation Verzicht geleistet, so dass insgesamt rund 100 Begehren als erledigt betrachtet werden können. /...]3

3.) Stickereiveredlungsverkehr.

Diese Frage kann wohl als die heikelste des ganzen Vertrages betrachtet werden. Sie ist bis auf einige grundsätzliche Erklärungen, die von beiden Delegationen in der Schlussitzung abgegeben wurden, noch Vorbehalten, da in erster Linie der Bericht über die in München stattgefundene Konferenz der St.Galler- und Plauener-Interessenten abgewartet werden muss. Bekanntlich weigert sich Deutschland, den Veredlungsverkehr überhaupt, namentlich aber den Stickereiveredlungsverkehr, weiterhin in den Vertrag aufzunehmen, während die Schweiz aus begreiflichen Gründen unbedingt an der vertraglichen Regelung des Veredlungsverkehrs festhalten muss. Unter der Voraussetzung, dass der Veredlungsverkehr nicht in den Vertrag aufgenommen wird, hat die deutsche Delegation einzelne Zollsätze für Stickereien vorgeschlagen, worauf jedoch die schweizerische Delegation erwiderte, dass eine Diskussion dieser Ansätze unter der genannten Voraussetzung nicht in Frage kommen könne. Von einer beide Teile befriedigenden Lösung dieser Angelegenheit wird jedenfalls zum grössten Teil das Zustandekommen dieses Vertrages abhängen.

4) Allgemeiner Teil.

Wie bereits in den Instruktionen des Bundesrates vom 8. Januar 19264 angedeutet wurde, sind der deutschen Delegation Vorschläge für die Neugestaltung des Textes, der in sachlicher Beziehung, abgesehen vom Veredlungsverkehr, keine Schwierigkeiten bereitet, überreicht worden. Es war jedoch der deutschen Delegation nicht möglich, zu diesem Entwürfe bereits Stellung zu nehmen, so dass dessen Beratung auf eine spätere Verhandlungsperiode verschoben werden musste.

Bei einer Gesamtwürdigung der Ergebnisse dieser Berliner Verhandlungen kann gesagt werden, dass im allgemeinen das vorgesteckte Ziel erreicht wurde, nämlich eine gegenseitige Fühlungnahme und ein Ausscheiden derjenigen Begehren, die ohne weitere Schwierigkeiten bereits in der ersten Lesung erledigt werden konnten. Es ist vorgesehen, die Verhandlungen im Laufe des Monats März wieder aufzunehmen; allerdings werden sie voraussichtlich nicht in der Schweiz stattfinden können, da die deutsche Delegation erklärte, es sei ihr, infolge gleichzeitiger Verhandlungen mit ändern Staaten, nicht möglich, in der nächsten Zeit Berlin zu verlassen.

Das Volkswirtschaftsdepartement wird dem Bundesrate in einem späteren Zeitpunkte Vorschläge für die weiteren Instruktionen unterbreiten5.

Von den vorstehenden Ausführungen wird in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen.

1
E 1004 1/298.
2
Es folgt eine Übersicht der Verhandlungsergebnisse auf den Gebieten der Textilien, Papierwaren, Metallwaren, Uhren sowie landwirtschaftlichen Erzeugnisse, wobei sich die Verhandlungen hier infolge der Abwesenheit von Prof. Laur auf eine Stellungnahme der deutschen Delegation beschränkten.
3
Es folgt eine Liste der schweizerischerseits gewährten Bindungen.
4
Vgl. Nr. 141.
5
Vgl. Nr. 176.

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