Language: German
8.1.1926 (Friday)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 8.1.1926
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass am 11.1.1926 eine schweizerische Delegation zur Aufnahme von Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland nach Berlin reisen wird. Das EVD unterbreitet Instruktionen für die erste Verhandlungsetappe.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutschland
6.1. Handelsvertrag und Abkommen über Einfuhrbeschränkungen
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Printed in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 141

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Bern 1980

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Repository

dodis.ch/45158 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 8. Januar 19261

43. Handelsvertrag mit Deutschland

Am 11. dieses Monats wird die schweizerische Delegation zur Aufnahme der Handelsvertragsunterhandlungen mit Deutschland nach Berlin reisen und dort voraussichtlich bis Monatsende bleiben. Es wird selbstverständlich ausgeschlossen sein, in diesen drei Wochen die Verhandlungen auch nur annähernd zu einem Abschluss zu bringen2. Sie werden in den kommenden Monaten weitergeführt werden müssen und zwar wenn möglich in der Schweiz.

Mit bezug auf die der schweizerischen Delegation für diese erste Verhandlungsetappe mitzugebenden Instruktionen unterbreitet das Volkswirtschaftsdepartement dem Bundesrate folgende Vorschläge:

1. Schweizerische Begehren betreffend Herabsetzung deutscher Zollansätze.

Durch Vermittlung des Vororts des Schweiz. Handels- und Industrie-Vereins einerseits und des Schweiz. Bauernsekretariates anderseits sind schon seit einiger Zeit die Wünsche und Begehren der schweizerischen Interessenten gesammelt und gesichtet worden. Diese Begehren wurden hierauf von unsern Unterhändlern eingehend geprüft und nach verschiedenen Einschränkungen und Abstrichen in der dem Antrage beigelegten schweizerischen Begehrenliste zusammengefasst und durch Vermittlung unserer Gesandtschaft in Berlin der deutschen Delegation überreicht. Diese Begehren gehen allerdings sowohl hinsichtlich der Zahl der betroffenen Positionen des deutschen Tarifs, als auch mit bezug auf das Ausmass der gewünschten Reduktionen ziemlich weit. Allein erfahrungsgemäss erhält man in solchen Verhandlungen, sehr oft schon in der ersten Lesung, von der Gegenseite ganz unerwartete Konzessionen, weil ihr solche aus internen Gründen gelegen kommen oder für sie besondere Schwierigkeiten nicht vorliegen. Es wäre natürlich nicht angebracht, durch zu weitgehende Reduktion der schweizerischen Begehrenliste die Möglichkeit solcher Zugeständnisse von vorneherein auszuschliessen. Dagegen wird es notwendig sein, diese schweizerischen Wünsche nach Kenntnisnahme der ersten deutschen Erklärungen sorgfältig zu revidieren und auf diejenigen Punkte zu beschränken, die wirklich wichtig sind und bei denen ein deutsches Entgegenkommen erwartet werden kann. Es ist selbstverständlich unmöglich, hier auf Einzelheiten einzutreten, und man kann sich mit der generellen Instruktion begnügen, die schweizerische Begehrenliste nach Möglichkeit durchzusetzen.

2. Deutsche Begehren zu den schweizerischen Zollansätzen.

Die deutschen Wünsche sind der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin übergeben worden. Sie gehen zum grossen Teil auf Bindung der Ansätze unseres heutigen Gebrauchstarifs, für zahlreiche Positionen werden aber auch Herabsetzungen verlangt. Anlässlich der Übergabe dieser Liste ist von deutscher Seite unserer Gesandtschaft gegenüber besonders hervorgehoben worden, dass Deutschland nachdrücklich auf der Herabsetzung der Zölle unseres Gebrauchstarifs für eine Reihe von Positionen werde beharren müssen, bei denen unsere heutigen Zollansätze entweder besonders hoch oder derart seien, dass der deutsche Export durch sie stark gehemmt würde. Diese Herabsetzungsbegehren beziehen sich insbesondere auf viele Positionen aus dem Gebiete der Holzwaren und der Papierwaren, wo in der Tat unsere heute geltenden Zölle verhältnismässig hoch sind. Wenn sich die Schweiz schliesslich auch zu solchen Herabsetzungen wird entschliessen müssen, so ist doch aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen grosse Vorsicht geboten, und es sollten unsere Unterhändler angewiesen werden, jedenfalls vorläufig nur ausnahmsweise und in bescheidenem Masse über Bindungen der gegenwärtigen Ansätze hinauszugehen. Die Verhandlungen sind vielmehr schweizerischerseits auf Grundlage des provisorischen Generaltarifs vom 5. November 19253 zu führen. Dabei hat es immerhin nicht die Meinung, es sei bei den einzelnen Zollpositionen auf Ansätzen, die zwischen denjenigen des provisorischen Generaltarifs und denjenigen des gegenwärtigen Gebrauchstarifs liegen, herumzumarkten. Die allgemeine Richtlinie soll vielmehr dahin gehen, der Gegenseite zu erklären: entweder ermöglichen uns ausreichende deutsche Zugeständnisse den Abschluss eines Vertrages, dann wird die Schweiz von einer Inkraftsetzung des neuen Tarifs bei den Deutschland interessierenden Positionen Umgang nehmen, oder aber die deutschen Zugeständnisse sind ungenügend, und dann wird sich die Schweiz vollständige Handlungsfreiheit Vorbehalten. Die Vereinbarung von vertraglichen Ansätzen, die über denjenigen des Gebrauchstarifs liegen, hätte keinen Sinn, da schweizerischerseits autonom eine Herabsetzung auf die heutigen Ansätze erfolgen müsste, wollte man nicht ohne Not den neuen Tarif ganz oder teilweise in Kraft setzen. Ein solches Verfahren wäre übrigens nur geeignet, den Eindruck und die Wirksamkeit des «Kampftarifs» zu vermindern.

3. Schweizerische Begehren bezüglich des allgemeinen Teils des Vertrages.

Wenn sich auch, abgesehen vom Stickereiveredlungsverkehr, bezüglich der Anwendung der heute noch geltenden allgemeinen Bestimmungen des Handelsvertrages von 1906 in der Praxis schwere Übelstände oder besondere Schwierigkeiten nicht gezeigt haben, so ist das Volkswirtschaftsdepartement doch mit den schweizerischen Unterhändlern zur Überzeugung gekommen, dass der in mancher Beziehung veraltete und in einer ganzen Reihe von Dokumenten zerstreute Vertragstext revidiert und zusammengefasst werden sollte. Auch empfiehlt es sich, diese allgemeinen Bestimmungen mit denjenigen unserer neuen Verträge mit Italien und Österreich nach Möglichkeit in Einklang zu bringen. Unsere Unterhändler haben, von diesen Gesichtspunkten ausgehend, die dem Antrag beigelegten neuen Textvorschläge ausgearbeitet, die der deutschen Delegation in Berlin übergeben werden sollen. Materielle Neuerungen oder Änderungen enthalten diese Vorschläge nicht. Sie werden denn auch voraussichtlich, abgesehen von der Frage des Veredlungsverkehrs, über die das Departement dem Bundesrate separat früher schon berichtet hat, kaum besondere Schwierigkeiten bereiten. Vorbehalten wurden noch die Vorschläge bezüglich der Regelung des Grenzverkehrs, da man vor Übergabe formulierter Vorschläge noch die Meinungsäusserungen der interessierten Grenzkantone abwarten möchte. Übrigens werden diese allgemeinen Bestimmungen kaum schon in Berlin diskutiert werden können, da die deutsche Regierung die schweizerischen Vorschläge zunächst nicht nur ihren verschiedenen Ministerien und Interessenten-Organisationen, sondern auch den beteiligten Bundesländern wird unterbreiten müssen.

Endlich bringt das Volkswirtschaftsdepartement noch zur Kenntnis, dass Herr Prof. Dr. Laur infolge starker Inanspruchnahme durch seine Professur an den Verhandlungen in Berlin nicht teilnehmen kann, und schlägt deshalb vor, die Instruktionen an unsere Unterhändler noch dahin zu ergänzen, dass die Diskussion der landwirtschaftlichen Positionen der beidseitigen Zolltarife auf später zu verschieben sei.

Es ist nicht möglich und wäre auch kaum zweckmässig, heute der schweizerischen Delegation Instruktionen mitzugeben, die über die skizzierten allgemeinen Richtlinien hinausgehen würden. Die Verhandlungen in Berlin sollen zunächst die nötige allgemeine Abklärung bringen, und es wird der Bundesrat gestützt auf eine einlässliche Berichterstattung in einem spätem Zeitpunkt detailliertere Instruktionen festzulegen haben4.

Den Vorschlägen des Volkswirtschaftsdepartementes wird zugestimmt.

1
E 1004 1/298. Abwesend: Schulthess.
2
Vgl. dazu Nr. 165.
3
Vgl. Nr. 112.
4
Vgl. Nr. 165 und Nr. 176.