Sprache: Deutsch
19.3.1925 (Donnerstag)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 19.3.1925
Geheimes Bundesratsprotokoll (PVCF-S)
Der Bundesrat nimmt Kenntnis von der ablehnenden Haltung, die die französische Abordnung gegenüber dem schweizerischen Projekt zur Regulierung des Rheins einnimmt. Der Rat empfiehlt äusserste Vorsicht im weiteren Vorgehen.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
VIII. RHEINZENTRALKOMMISSION
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Abgedruckt in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (Hg.)

Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 9, Dok. 28

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Bern 1980

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Aufbewahrungsort

dodis.ch/45045
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 19. März 19251

Rheinregulierung

Mündlich

Der Vorsteher des politischen Departements teilt mit, Herr Direktor Payot vom Elektrizitätswerk des Kantons Basel-Stadt, der in Ersetzung des erkrankten Herrn Dr. Herold zum ersten Delegierten des Bundes in die technische Subkommission der Rheinzentralkommission abgeordnet worden ist, habe über den Verlauf der Verhandlungen dieser Subkommission, die sich mit dem schweizerischen Rheinregulierungsprojekt und mit den Vorlagen Frankreichs für die weitern Kanalstufen (Kembs-Strassburg) zu befassen hatte, schriftlich Bericht erstattet. In einer Besprechung, die er letzter Tage mit dem Vorsteher des politischen Departements hatte, wies Herr Payot darauf hin, dass sich die Verhandlungen über das schweizerische Regulierungsprojekt von Anfang an recht schwierig gestalteten. Die französische Abordnung machte am schweizerischen Regulierungsprojekt mancherlei Aussetzungen und bezweifelte überhaupt seine Durchführbarkeit. Die belgische Abordnung stimmte ganz in den Ton der französischen ein, der gegenüber sie der wünschenswerten Selbständigkeit ermangelt. Die englische Abordnung ist offenbar nicht gewillt, das gute Einvernehmen zwischen ihrem Land und Frankreich und Belgien wegen der Rheinfrage aufs Spiel zu setzen und an der Spitze der italienischen Abordnung stand ein greiser Herr ohne eigene Meinung. Demgegenüber lieh der holländische Vertreter dem schweizerischen Projekt aus sachlichen Gründen seine Unterstützung, und die deutsche Abordnung verteidigte es in geradezu glänzender Weise, namentlich durch den Mund des Ingenieur Fuchs. Die Subkommission hat übrigens selbst über die ihr vorgelegten Projekte keine Beschlüsse gefasst, sondern sich darauf beschränkt, sie der Gesamtkommission zu überweisen2.

Bei der französischen Abordnung herrschte offensichtlich von Anfang an gegenüber dem schweizerischen Projekt schon deshalb eine Missstimmung, weil es aus den bekannten Gründen von einer deutschen Amtsstelle durchgearbeitet worden ist, und diese Missstimmung wurde offenbar durch die überraschende Schwenkung in der Haltung der deutschen Abordnung verstärkt, die, das früher von ihr verteidigte deutsche Projekt Kupferschmied preisgebend, sich mit aller Kraft für die schweizerische Regierungsvorlage einsetzte. In einer Besprechung, die Herr Payot mit dem Führer der französischen Abordnung hatte, liess dieser denn auch ziemlich unverhohlen die französische Annahme durchblicken, wonach die Schweiz nunmehr mit Deutschland in der Rheinfrage gemeinsame Politik mache, um den Bau der weitern, von Frankreich in Aussicht genommenen Kanalstufen unter allen Umständen zu verhindern. Herr Payot wies diese Auffassung mit allem Nachdruck zurück und betonte, es könne sich für die Schweiz keineswegs um eine grundsätzliche Bekämpfung des Kanalprojektes handeln. Dagegen müsse ihr allerdings viel daran gelegen sein, die Möglichkeit der Regulierung zu haben, sei es für den Fall, dass die fernem Kanalprojekte den Bedürfnissen der Schiffahrt nicht in genügender Weise Rechnung zu tragen vermöchten, sei es um den Bedürfnissen der Schiffahrt auch nur zeitweilig, d.h. bis zum Ausbau der weitern Kanalstufen, der ja noch lange Jahre beanspruchen werde, durch die Regulierung Genüge tun zu können. Hiefür müsse die Schweiz aus Rücksicht auf ihren eigenen Vorteil Sorge tragen, und diese Sorge allein sei für ihre von der deutschen völlig unabhängige Rheinpolitik massgebend. Diese Vorgänge beweisen, wie empfindlich Frankreich und wie leicht es geneigt ist, alles, was die Schweiz tut und was nicht ganz dem französischen Standpunkt entspricht, als übertriebene Anlehnung an Deutschland, ja als Zeichen der Abhängigkeit von Deutschland zu deuten. In dieser Hinsicht ist bezeichnend, dass auch Herr Fromageot neulich gegenüber Herrn Prof. Logoz die Vermutung äusserte, die Schweiz mache in der Rheinfrage mit Deutschland gemeinsame Sache.

Angesichts dieser Sachlage hat der Vorsteher des politischen Departements Herrn Payot zugestimmt, als dieser anregte, ihn zu beauftragen, vor dem Zusammentritt der Rheinzentralkommission ganz privat und lediglich offiziös mit den Mitgliedern der französischen Abordnung in der Rheinzentralkommission in Paris Fühlung zu nehmen, um das vorgenannte Vorurteil gegenüber der schweizerischen Rheinpolitik nach Möglichkeit zu zerstreuen.

Der Rat nimmt von diesen Mitteilungen Kenntnis und billigt das Vorgehen des Vorstehers des politischen Departements.

1
E 1005 2/3. Abwesend: Musy.
2
In ihrer Aprilsession hiess die Rheinzentralkommission sowohl das Regulierungsprojekt als auch das Kanalprojekt gut. Vgl. die diesbezügliche Resolution, in: GBer 1925, S.43fF. - Über den Verlauf der Aprilsession der Rheinzentralkommission gibt der Bericht des ersten schweizerischen Delegierten, R. Herold, an den Bundesrat vom 29.5.1925 Auskunft (E 2001 (C) 11/3). (Zu den nicht dokumentierten Geschäften der Rheinzentralkommission vgl. GBer 1925-29., ) - Zur Ausführung der Rheinregulierung vgl. Nr. 293.