Classement thématique série 1848–1945:
I. LA SUISSE ET LA SOCIÉTÉ DES NATIONS
I.4. Le relèvement économique de l'Autriche
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 8, Dok. 213
volume linkBern 1988
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#1248* | |
Dossiertitel | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 37 (1922–1922) |
dodis.ch/44855
Ihr vertrauliches Schreiben vom 22.ds.Mts.2, welches mir erst am 26.ds.Mts. zugekommen ist, hat sich mit meinem Berichte No . 31 vom 24. gekreuzt.3 Ich kann Sie versichern, dass ich mir vom Anfang an der Wichtigkeit, welche die eventuellen Konsequenzen des Umschwunges in der österreichischen Aussenpolitik für die Schweiz haben können, voll bewusst war. Allein es war und ist auch heute noch nicht leicht, zu verlässige Informationen über die Begebnisse in Prag, Berlin und Verona zu erhalten, wenn man die nötige Vorsicht, die Sie mir selbst dringend anempfehlen, nicht ausser Acht lassen will. Noch heute sind nicht einmal die Parteiführer oder Ausschüsse, geschweige denn die Presse oder eine weitere Öffentlichkeit über die Details der Verhandlungen orientiert.
Immerhin glaube ich doch, heute mit ziemlicher Bestimmtheit feststellen zu dürfen, dass gegenwärtig von einem völligen Anschluss Österreichs an eine Mächtegruppe oder an eine einzelne Macht oder gar von einer Aufteilung nicht die Rede ist. Viel jedoch, ja alles hängt davon ab, in welcher Weise der Völkerbund in den nächsten Tagen die österreichische Frage behandeln wird.
Der Minister des Äussern, den ich heute vor seiner Abreise nach Genf, die ich Ihnen bereits telegrafisch mitteilte4, gesprochen habe, hat mich ermächtigt und gebeten, Ihnen folgendes mitzuteilen:
Die Reise des Bundeskanzlers hatte einen demonstrativen und einen informativen Charakter. Demonstrativ, um nicht nur etwa den aufgesuchten Regierungen, sondern auch den anderen Mächten zu zeigen, dass Österreich vollständig am Ende seiner Kräfte sei, und dass ohne eine Hilfe von aussen unweigerlich das Chaos und der Untergang kommen werde, dass dieses Chaos für Mitteleuropa schwere wirtschaftliche und politische Folgen nach sich ziehen könne. Informativ, um die Ansicht der betreffenden Regierungen über die Mittel und Wege zur Rettung vor diesem Zusammenbruche und den daraus entstehenden Folgen kennenzulernen.
Das Ergebnis der Reise lässt sich in der Hauptsache so zusammenfassen, dass von den beteiligten Mächten, d.h. insbesondere von Italien und der T schechoslovakei, dem Kanzler der Rat erteilt wurde, vorläufig noch den von der Londoner Konferenz vorgeschriebenen Weg zu Ende zu gehen, d. h. die Hilfe des Völkerbundes nachzusuchen. Hierbei soll Österreich von den beiden genannten Mächten der tatkräftigste Beistand werden. Minister Grünberger will dem Völkerbund folgende Fragen vorlegen:
«Kann der Völkerbund und ist er geneigt Österreich die nötige Hilfe zu gewähren, dass es im Verein mit den bereits eingeleiteten Selbsthilfemassnahmen imstande ist, seine wirtschaftliche Lage ein für allemal vollständig so herzustellen, dass seine wirtschaftliche und politische Selbständigkeit gewahrt bleibt, oder welche andere Mittel und Wege will der Völkerbund Österreich weisen, um dieses Ziel zu erreichen?»
Es werden beim Völkerbund demnach finanzielle und politische Garantien verlangt werden.
Der Minister betonte hierauf scharf, dass sich Oesterreich dieses Mal nur mit einer unzweideutigen Antwort zufrieden geben könne. Studienkommissionen brauche man keine mehr, sondern Geld.
Würde das Gesuch Österreichs auch diesmal vergeblich sein, so müsste der Weg beschritten werden, welcher durch die Kanzlerreise angedeutet und vorbereitet worden ist, nämlich Hilfeleistung von den grossen Nachbarstaaten bezw. Staatengruppen. Ob es bei dieser Aktion zu einem wirtschaftlichen Anschlüsse kommen muss, ist noch nicht gesagt. Am liebsten wäre es der Regierung, wenn die Hilfe allseitig unter Wahrung der vollständigen Selbständigkeit Österreichs erfolgen könnte. Der wirtschaftliche Anschluss wäre das allerletzte und angesichts der politischen Konstellation schwierigste Aushilfsmittel und brauchte einen langen Weg, um sich definitiv auszugestalten.
Ich habe immer noch den Eindruck, dass ein wirtschaftlicher Anschluss (mit Zoll- und Währungsunion) am liebsten mit Italien als dem grössten und wirtschaftlich stärksten Nachbarn versucht werden sollte. In dieser Meinung bin ich noch bestärkt worden von Seiten eines hiesigen neutralen Diplomaten, der darüber mehr oder weniger direkt informiert sein will. Herr Minister Grünberger hat mich am Schlüsse seiner Ausführungen noch ausdrücklich gebeten Ihnen mitzuteilen, dass durch eine ausgiebige Hilfe des Völkerbundes die mitteleuropäische Frage, wenigstens soweit sie durch Österreich berührt werde, ein für allemal ihre Lösung finde. Er wird sich in Genf auch persönlich noch an unsere Delegierten wenden.
Der Ausschuss für Äusseres wird ziemlich sicher noch diese Woche zusammentreten und dort wird der Kanzler über seine Reise Rechenschaft ablegen.
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