Language: German
24.4.1915 (Saturday)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 24.4.1915
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Délibération sur les mesures militaires à prendre à la suite de la situation tendue en Italie.
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Jacques Freymond et al. (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 114

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Bern 1981

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dodis.ch/43389
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 24 avril 19151

1004. Spannung in Italien

Herr Bundespräsident Motta eröffnet die Sitzung, indem er Bezug nimmt auf einen vom schweizerischen Gesandten in Rom eingesandten Bericht vom 21. April lf.J.2, nach welchem die Aspekte in Italien einen beunruhigenden Charakter angenommen hätten. Der Eintritt Italiens in den kriegerischen Konflikt der Nationen wäre demnach nähergerückt.

Herr Vizepräsident Decoppet hat, durch die vom Herrn Bundespräsidenten angedeuteten Mitteilungen veranlasst und dem Wunsche des Herrn Generals gemäss, die Anregung, eine Sitzung anzuberaumen, gemacht, da es nötig erscheint, die durch die Sachlage gebotene Entscheidung zu treffen. Herr Bundespräsident Motta erteilt nun zunächst Herrn General Wille das Wort, der sich, zusammengefasst, folgendermassen ausspricht: Die ungünstigen Nachrichten aus Italien müssen nicht unbedingt auf ein Losschlagen gedeutet werden. Immerhin ist die Sachlage so, dass die Schweiz wieder, wie am 1. August, sich rechtzeitig als schlagfertig zeigen muss. Dies hat beim ersten Truppenaufgebot der Schweiz Achtung eingetragen und wird es jetzt wiederum tun. Es darf nicht unbeachtet gelassen werden, wenn man richtig entscheiden will, dass, wenn Italien in den Krieg eintreten sollte, auch bei beiden volkstümlichen Stichworte: «Stammeseinheit und Grenzen bis zum Alpenkamm» in der Bewegung als nicht ungefährliche Antriebe auftauchen werden. Wahrscheinlich ist, dass, wenn Italien den Krieg beginnen wird, auch der Konflikt auf dem Balkan ausbrechen dürfte. Indessen ist die Möglichkeit offen, dass das Eingreifen Italiens nicht nur gegen die Dardanellen oder die Adria gerichtet, sondern dass auch eine Hilfe an der Westfront ins Auge gefasst sein könnte. Diese letzte Möglichkeit würde den Versuch eines Durchmarsches durch die Schweiz nicht ganz ausschliessen.

Herr General Wille ist daher, im Einverständnis mit seinem Generalstabschef, der Meinung, dass ein weiteres Truppenaufgebot stattfinden sollte. Dieses Truppenaufgebot sollte zwei Divisionen umfassen, und zwar die ganze 5. Division mit der Gebirgsbrigade 9, und die ganze 6. Division mit der Gebirgsbrigade. Die Truppen würden vorerst auf ihren Korpssammelplätzen belassen. Zu den genannten zwei Divisionen kämen noch einige Bestände von Landwehrtruppen, vor allem Besatzungen für die Festungen.

Herr Generalstabschef Sprecher gibt, den Darlegungen des Herrn Generals in allen Teilen folgend, Aufschluss über die Truppenaufgebote Italiens und die Dispositionen der Truppen, soweit sie bekannt sind und bekannt sein können. Gegenwärtig werden rund 800000 Mann mobilisiert sein. Welche militärische Anordnungen Italien vorgesehen hat, ist schwer zu sagen. Doch ist zu schliessen, dass die italienische Armee schwerlich durch die trientinische Befestigungszone einzudringen gedächte, sondern wohl eher ein Vormarsch längs der Richtung Drau, Klagenfurt, Marburg in Betracht fiele. Ein Zusammenarbeiten mit der Tripel-Entente wäre in der Weise gedenkbar, dass ein gleichzeitiger Angriff von Nordwesten her ausgeführt würde, was dazu zwingt, die bis jetzt aufgebotenen schweizerischen Truppen an der Nordwestgrenze stehen zu lassen und zu einer neuen Mobilisation zu schreiten. Wenn auch zugegeben werden muss, dass die Mobilisation der zwei Divisionen Aufsehen erregen werde, so ist demgegenüber hervorzuheben, dass vernünftigerweise die Massregel nur als eine Defensiv- und nie als eine Offensiv-Massregel betrachtet werden kann.

Herr Bundespräsident eröffnet hierauf die Umfrage.

Herr Vizepräsident Decoppet hat den Eindruck, dass die Entscheidung aus dem Grunde schwierig zu treffen ist, weil die Tragweite der Mitteilungen des Gesandten in Rom nicht leicht einzuschätzen ist. Denn vor allem ist bei der Entscheidung doch zu erwägen, dass das Aufgebot im jetzigen Zeitpunkt starkes Aufsehen erregen wird. Demgemäss muss man sich in erster Linie fragen, sind die Mitteilungen Plantas wirklich so schwerwiegend, um eine auch sonst so einschneidende Massregel zu rechtfertigen? Hierüber erklärt sich der Sprechende nicht völlig beruhigt; er möchte gerne, bevor er sich entscheidet, die Ansichten der übrigen Herren angehört haben.

Herr Bundesrat Müller findet es erklärlich, dass die Gesandtschaftsberichte etwas unsicher ausfallen. Dies rührt von der unsichern Haltung Italiens her. Er neigt dahin, dass der Zeitpunkt gegeben sei, zu handeln. Die Verantwortlichkeit, die man durch Zuwarten auf sich laden würde, schiene ihm zu gross. Man kann mit Recht anführen, dass es, angesichts der Zeit, die eine Mobilisation braucht, jetzt schon etwas spät ist. Im gegenwärtigen Augenblick befürchtet der Sprechende zwar keine Verletzung der Neutralität. Allein man kann sich der Erwägung nicht verschliessen, dass, wenn keine entsprechende Anordnungen getroffen werden, dies leicht als Vorwand, die Schweiz hätte das Notwendige zu tun unterlassen, benützt werden könnte.

Dass die Massregel eines weitern umfangreichen Aufgebotes Aufsehen erregen wird, ist zuzugeben, in der Schweiz sowohl, wie im Auslande. Man könnte unter Umständen dem Bundesrate vorwerfen, dass er sich habe ins Bockshorn jagen lassen, und dem Auslande gegenüber würde die Behörde als diejenige gelten, die das Alarmsignal gegeben hätte. Vor allem ist aber nicht zu übersehen, dass Italien seine Mobilisation tatsächlich beendet hat, währenddem unsere Truppen 8-10 Tage brauchen, bis sie zur Stelle sind.

Könnte mit Zuwarten etwas gewonnen werden, so Hesse sich wohl darüber reden. Allein es ist kaum zu denken, dass die nächste Zeit mehr Klarheit bringen werde. Gewissheit wird erst die Entscheidung Italiens, den Krieg zu eröffnen, bringen.

Herr Bundesrat Forrer schliesst sich der von der Armeeleitung vorgetragenen Auffassung an. Wenn einmal 800000 Mann auf die Beine gestellt sind, so muss schon aus diesem Grunde eine Lösung kommen. Er für seine Person frägt sich, ob die Schweiz in bezug auf den Kanton Graubünden genügend geschützt und ob nicht allfällig zu fürchten sei, dass Deutschland einen Durchbruch durch die Schweiz nach Italien unternehme. Hierüber würde er gerne Auskunft wünschen.

Herr General Wille sowohl, als auch Herr Generalstabschef Sprecher halten einen Durchbruchsversuch Deutschlands in der Richtung nach Italien als im höchsten Grade unwahrscheinlich.

Herr Generalstabschef Sprecher hält es im weitern für ebensowenig wahrscheinlich, dass Italien und umgekehrt auch Österreich, im Verhältnisse natürlich zu dem grossen Nachteile, mit der Schweiz in Konflikt zu geraten, einen Vorteil dabei finden würden, für ihre kriegerischen Unternehmungen schweizerisches Gebiet zu benützen.

Im übrigen sind beide Herren der Überzeugung, dass die Vorkehrungen zum Schutze der Bündner Grenze ausreichend seien.

Herr Bundesrat Hoffmann spricht sich dagegen aus, heute einen Beschluss im Sinne der Armeeleitung zu fassen. Neu ist nur der Bericht des Gesandten in Rom. Doch auch der liegt drei Tage zurück. Einen Tag vorher schien die Situation günstiger. Heute liest man wieder, dass Sonnino und Baron Macchio eine Besprechung gehabt hätten, die eine Entspannung herbeigeführt haben soll. Das Politische Departement hat sofort die schweizerischen Gesandten, die in Frage kommen, telegraphisch um Auskunft über die Situation im Hinblick auf zu treffende Entscheidungen ersucht. Bis diese Auskunft eingelangt sein wird, dürfte man wohl richtiger mit einer Entscheidung zuwarten. Herr Bundesrat Hoffmann würde bitten, erst morgen einen Beschluss zu fassen.

Herr Bundesrat Schulthess schliesst sich der eben ausgesprochenen Meinungsäusserung an. Im ganzen beurteilt er die Situation in Italien eher pessimistisch. Er ist sich wohl bewusst, dass in erster Linie allgemein politische Erwägungen ausschlaggebend sind. Allein es darf doch auch auf die wirtschaftliche Seite der Entscheidung hingewiesen werden. Denn dies dürfte wohl sicher sein, dass das Aufgebot von Italien als ein unfreundlicher Akt geschildert werden wird. Die Warenzufuhr wird daher wesentlich geschädigt werden. Doch möchte er, wie angedeutet, den Antrag, den Beschluss auf morgen zu verschieben, befürworten.

Herr Bundesrat Calonder geht von denselben pessimistischen Voraussetzungen in bezug auf die Haltung Italiens aus. Demnach würde er es als richtig ansehen, nach den Anträgen der Armeeleitung vorzugehen. Wenn die Armeeleitung das in Graubünden stehende Truppenaufgebot als ausreichend ansieht, so ist ihm das eine Beruhigung; denn dort ist doch wohl die hauptsächlichste Gefahr. Man kann nach Vorschlag Hoffmann wohl bis morgen warten, allein die Hoffnung, bis dann sicherer zu gehen, ist kaum sehr gross.

Dass in Italien, und wenn es auch nur scheinbar wäre, unsere Massnahmen übel aufgenommen werden, lässt sich nicht bestreiten; allein die Vernünftigen werden sich doch sagen, dass es Sache der Schweiz sei, für ihren Grenzschutz zu sorgen.

Herr Bundespräsident Motta schliesst sich ohne weiteres dem Antrage des Herrn Hoffmann an, obschon er im übrigen die pessimistische Betrachtungsweise in bezug auf Italien teilt.

In bezug auf die Haltung Italiens gegenüber der Schweiz hat Herr Bundespräsident Motta folgende Ansicht: «Italien plant entschieden nichts gegen die Schweiz und kann nichts dagegen planen.» Dafür sprechen: erstens die der Schweiz gegebenen ausdrücklichen Zusicherungen; und zweitens: die Verletzung der Neutralität Belgiens war nicht eine durch die Notlage gebotene Handlung. Es wird keine zweite Mächtegruppe geben, die zum zweiten Male die Verantwortlichkeit einer NeutralitätsVerletzung gleicher Art auf sich zu laden wagen würde. Die Schweiz muss vor allem darnach trachten, dass sie gegenüber den beiden Staaten Österreich und Italien gleichmässig und unparteiisch vorgehe.

Herr Vizepräsident Decoppet spricht auf Grund der Beratung seine Meinung dahin aus, heute noch keinen Beschluss zu fassen.

Herr General Wille will gleichfalls keine Einwendungen gegen die beschlossene Verschiebung erheben, worin ihm Herr Generalstabschef Sprecher folgte, bemerkend, dass dies wohl zur Folge haben werde, dass der erste Mobilmachungstag auf den Mittwoch angesetzt werden müsste.

Es wird beschlossen, morgen Sonntag, vormittags 9 Uhr, eine Sitzung zur Fortsetzung der Beratung abzuhalten.

1
E 1004 1/259. Etaient aussi présents: le général U. Wille et le Chef d’Etat-Major Général, Th. von Sprecher.
2
Cf. no 112.