Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutsches Reich
6.5. Mehlzollfrage
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 267
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E6#1000/953#84* | |
Old classification | CH-BAR E 6(-)1000/953 18 | |
Dossier title | Notenentwürfe, Korrespondenz, Auszüge aus dem Protokoll des Bundesrates, Eingabe des Verbandes schweizerischer Müller vom 24. Februar 1909, Berichte (1909–1910) |
dodis.ch/43122 Der schweizerische Gesandte in Berlin, A. de Claparède, an den deutschen Reichskanzler, Th. von Bethmann Hollweg1
Mit gefälliger Note vom 14. Oktober2 haben Eure Excellenz, in Antwort auf den schweizerischen Vorschlag einer schiedsrichterlichen Erledigung des Mehlkonflikts, dem ergebenst Unterzeichneten mitgeteilt, dass die Kaiserliche Regierung sich mit Bezug auf die technische Frage, ob in Deutschland eine Ausfuhrprämie für Mehl ausgerichtet werde, nicht den unberechenbaren Chancen eines Schiedsgerichts aussetzen könne, hingegen nach wie vor bereit sei, die sog. Rechtsfrage, d. h. die Frage, ob die Schweiz berechtigt wäre, «den vertraglich gebundenen Mehlzoll wegen der Bestimmungen der deutschen Einfuhrscheinordnung zu erhöhen», einem Schiedsgericht zur Entscheidung zu unterbreiten. Dieser Erklärung war die Bemerkung beigefügt, es habe aber den Anschein, als ob in dieser Frage die Auffassung der Schweiz von der deutschen nicht mehr abweiche.
In Erwiderung hierauf hat der ergebenst Unterzeichnete im Aufträge seiner Regierung die Ehre, zunächst berichtigend festzustellen, dass schweizerischerseits nie von einer Erhöhung des Mehlzolles, sondern immer nur von der Erhebung einer besondern Gebühr als Ausgleich der Wirkungen der deutschen Prämie die Rede war, ferner dass die Auffassung der Schweiz sich hinsichtlich der Rechtsfrage in keiner Weise geändert hat. Die Ansicht des Schweizerischen Bundesrates ist, in Abweichung von derjenigen der Kaiserlichen Regierung, nach wie vor die, dass der von Deutschland bei den Handelsvertragsverhandlungen als Schutz des schweizerischen Mühlengewerbes acceptierte Mehlzoll und die von Deutschland entrichtete Prämie, welche die Wirkung dieses Zolles aufhebt, sich gegenseitig ausschliessen, die Prämie daher mit dem Sinn und Geiste des Vertrages unvereinbar sei und es der Schweiz folglich freistehen müsse, die Folgen der Prämie durch Erhebung einer besondern Gebühr oder auf andere Weise auszugleichen.
Nachdem nun eine Entscheidung der Prämienfrage von der Kaiserlichen Regierung abgelehnt wird, sieht sich der Schweizerische Bundesrat zu seinem Bedauern genötigt, konstatieren zu müssen, dass seine Bemühungen, eine schiedsrichterliche Erledigung des Streites herbeizuführen, gescheitert sind.
Die in der Note Eurer Excellenz ausgesprochene Annahme, dass infolge der durch den Erlass des Herrn Reichskanzlers vom 30. Juli, am 1. Oktober in Kraft getretenen Kürzung der Ausfuhrvergütung um 55 Pfg. per 100 kg die Mehlausfuhr nach der Schweiz sich vermindern werde, hat sich bis jetzt nicht als zutreffend erwiesen. Die erste Wirkung jener Massnahme war die, dass die Mehleinfuhr aus Deutschland, die in den vorausgegangenen 6 Monaten zwischen 21,235 q und 28,489 q schwankte, im Monat August auf 40,322 q stieg, was wohl dem Bemühen der Exporteure zuzuschreiben ist, vor der Inkraftsetzung des Erlasses noch für ein möglichst grosses Quantum die unverminderte Prämie zu erhalten. Um so eher hätte eine Abnahme der Einfuhr im Oktober stattfinden müssen. Statt dessen hat sie aber in diesem Monat, nach der provisorischen Ziffer, wieder 25,300 q betragen, was die hierseits gehegten Zweifel an einer erheblichen Wirkung der genannten Prämienkürzung als berechtigt erscheinen lässt.
Diese statistische Feststellung, welche der Schweizerische Bundesrat vor einer Erwiderung auf die Note Eurer Excellenz abwarten wollte, lässt befürchten, dass die abnorme Einfuhr aus Deutschland fortdauern, ja vielleicht zunehmen und Massnahmen zum Schutze der schweizerischen Mühlenindustrie nötig machen werde. Der Schweizerische Bundesrat behält sich deshalb, nachdem nun auf ein Schiedsgericht verzichtet werden muss, alle ihm zweckmässig erscheinenden autonomen Entschliessungen vor.
Gegenüber den in der Note Eurer Excellenz wiederholten frühem Ausführungen über das deutsche Rückvergütungssystem hält der Schweizerische Bundesrat in allen Teilen an seiner, der Kaiserlichen Regierung ebenfalls bekannten Ansicht fest, dass in diesem System eine Ausfuhrprämie für Mehl erster Klasse enthalten sei3.
- 1
- Note (Kopie): E 6/17.↩
- 2
- E 6/17.↩
- 3
- Der deutsche Staatssekretär im Auswärtigen Amt, von Koerner, nahm die Note mit Bedauern auf, da der Bundesrat nicht bereit sei, von sich aus mehr für die schweizerischen Müller zu tun. Er hoffe, die schweizerischen Massregeln würden deutscherseits nicht nach Gegenmassnahmen rufen, die einen gespannten politischen Zustand zur Folge hätten. Angesichts der drohenden Haltung Frankreichs und der USA auf handelspolitischem Gebiet hätten die Schweiz und Deutschland allen Grund, freundschaftlich zueinander zu stehen (E 6/20). Nach der Ablehnung eines Schiedsgerichts durch Deutschland gab der Bundesrat seine Bemühungen, den Mehlzollkonflikt auf internationaler Ebene zu lösen, auf. Allerdings ging auch die Mehleinfuhr aus Deutschland ab 1909 deutlich zurück. In der Diskussion über den Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 1910 erklärte Bundesrat Deucher am 23. Juni 1911 vor dem Nationalrat: Die Frage des Mehlzolls ist international erledigt, nachdem das Schiedsgericht nicht zu Stande kam. In der letzten Zeit fand eine Konferenz der beteiligten Departemente statt, wie auf autonomem Wege geholfen werden könne. Der Bundesrat ist aber genötigt, langsam vorzugehen, und muss sich hüten, eine Brotverteuerung zu veranlassen (E 1001 (C) d 1/166).↩
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