Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutsches Reich
6.5. Mehlzollfrage
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 238
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E6#1000/953#72* | |
Old classification | CH-BAR E 6(-)1000/953 13 | |
Dossier title | Korrespondenz diverser Amtsstellen mit der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin, Zeitungsartikel (1909–1910) |
dodis.ch/43093 Der schweizerische Gesandte in Berlin, A. de Claparède, an den Bundesrat1
Ich beehre mich, Ihnen anzuzeigen, dass ich eine Note an das Auswärtige Amt in Sachen der Mehlfrage unterm gestrigen Datum ganz nach dem mir mit Ihrer Depesche vom 19. ds. M.2 eingesandten Entwurf vorbereitet habe und diesen heute früh überbringen wollte, als mir vom Auswärtigen Amt die schriftliche Anzeige zukam, Herr von Schoen könne heute nicht empfangen. Wie ich auch vermutete, war Herr v. Schoen wie auch die Mehrzahl der Beamten des Auswärtigen Amtes wegen der Etatsberatungen in der Kommission des Reichstages seit gestern den ganzen Tag in Anspruch genommen. Auch Herrn v. Koerner konnte ich nach einem vergeblichen Versuche erst heute Abend nach sechs Uhr begegnen.
Ich teilte ihm mit, ich überbringe die Antwort auf die Note des Herrn von Bülow, die er vielleicht schon kenne, da Letzterer eine Abschrift derselben erhalten habe; er verneinte dies mit der Bemerkung, er hoffe, diese Note werde nicht so lauten, wie ein Telegramm aus Bern an den Reichsanzeiger, welches angeblich den wesentlichen Inhalt derselben in Kürze gemeldet habe.
Ich las ihm dann meine Note in extenso vor und konnte merken, wie er mit den Stellen, welche sich auf die Unterhandlungen mit unsern Müllern und die Schiedsgerichtsfrage bezogen, unzufrieden war. Als ich zu Ende war, sagte er mir, er müsse aufrichtig bedauern, dass mit so wenig Entgegenkommen die Vorschläge der Reichsregierung beantwortet werden und sofort begann er - immer und wieder, während einem Gespräch von 5 Viertelstunden - darüber zu reden, dass man hier fest darauf gerechnet hatte, der Bundesrat werde auf die Müller einen starken Druck ausüben wollen. In dieser Hoffnung sei er durch Berichte des Herrn v. Bülow bestärkt worden, die schliessen Hessen, der Bundesrat werde mit grossem Ernst mit den Müllern sprechen; statt dessen teile die Note mit, der Bundesrat besitze keine Mittel, um auf die Entschliessungen der Interessenten einzuwirken. Ich erinnerte dann, dass - und warum, der Bundesrat vom Anfänge an erklärt habe, bei den Unterhandlungen zwischen den beidseitigen Müllern eine völlig neutrale Stellung beobachten zu müssen; dies sei ja der Reichsregierung bekannt, und jetzt wie früher fehle dem Bundesrate jede Handhabe, um die Müller zum Abschlüsse einer Vereinbarung zu bewegen, die ihren Interessen nicht entspreche. Herr v. Koerner sagte dann, auch die Regierung habe keine Mittel, die deutschen Müller zu zwingen; allein noch in den letzten Wochen habe er die Mannheimer Müller kommen lassen und in einer 3 stündigen Unterredung dieselben zum Nachgeben zu bewegen versucht, denselben vorgehalten, dass sie unsern Markt ganz verlieren würden, wenn wir Zuschlagszölle oder ein Mehlmonopol einführen würden; so müsse man mit diesen Herren sprechen, denn sie seien nur für Argumente zugänglich, welche auf ihr Geldinteresse Bezug haben. Er hatte gehofft, der Bundesrat werde mit den schweizerischen Müllern in gleicher Weise sprechen. Auch erwähnte er, dass er den deutschen Müllern gegenüber auf die Gefahr der französischen Concurrenz aufmerksam gemacht habe, die Mehleinfuhr aus Frankreich nach der Schweiz sei seit kurzem im Steigen begriffen; warum, bemerkte er dabei, klage man nur gegen Deutschland, nicht gegen Frankreich? Diese unglückliche Mehlfrage habe zur Folge gehabt, dass unsere guten Beziehungen so untergraben wurden, dass man die Gefahr aus Frankreich übersieht? [...]
Dann kam Herr v. Koerner weit und breit auf Boykott und auf die feindlichen Äusserungen unserer Tagespresse zu sprechen, welche auf unsere guten Beziehungen zwischen beiden Ländern so nachteilig gewirkt haben und den Conflikt verschärfen. Er erwähnte wieder die Artikel, welche Herr Maggi während der Unterhandlungen des Abkommens erscheinen liess. Ich gab zur Antwort, wir hätten kein Pressebureau, womit wir die Presse beeinflussen können, und wenn in der Schweiz ein Boykottversuch gemacht werde, so könne dies dem Bundesrate ebensowenig zur Last gelegt, als der Reichsregierung der Vorwurf gemacht werden, sie stehe hinter denjenigen, welche unsere Fremdenindustrie oder unsere Produkte zu boykottieren empfehlen; dies seien Erscheinungen, welche ganz unabhängig von den Wünschen der Regierungen entstehen; er gab es im ganzen zu, versuchte aber nachzuweisen, dass auch unsere Regierung Mittel besitze, um solche Boykottversuche zu hintertreiben und namentlich die Presse zu einer objektiven Beurteilung der Frage zu verhalten. «Würde zum Beispiel unser hochverehrter Freund, Herr Nationalrat Frey, meinte er, versuchen, Ihre Presse in diesem Sinne zu beeinflussen, so würde ihm dies bei seiner hohen Begabung und seinem weitgehenden Einflüsse sicherlich gelingen.» Auch wiederholte er seine Vorwürfe gegen Herrn Maggi und beklagte, dass die Note des Herrn von Bülow - was ich bestritt - Herrn Maggi in extenso vorgelegt worden sei.
In Betreff des Punktes unserer Note, die autonome Änderung der Einfuhrscheinordnung, liess sich Herr v. Koerner dahin aus, dass er selbst in Zürich gesagt habe, dass eine kleine Änderung der Einfuhrscheinordnung bewilligt werden könnte; in dem Masse, wie eine solche in der bundesrätlichen Note angedeutet sei, könne sie nicht stattfinden, denn es gebe keine Exportprämie! Ich sollte, meinte er, als Kenner der deutschen Verhältnisse es doch wissen, dass der Fiscus nicht so verschwenderisch ist, als dass er Prämie zahle.
In Sachen des Schiedsgerichtes trat Herr v. Koerner den in unserer Note enthaltenen Argumenten mit besonderer Stärke entgegen; Deutschland müsse, nachdem wir mit der Anwendung des Art. 4 unseres Zollgesetzes gedroht haben, darauf bestehen, dass die Rechtsfrage zunächst entschieden werde. Ich erwiderte, dass unsre gegenwärtige Note davon keine Erwähnung mache, und dass, wenn Deutschland so sicher sei, dass keine Prämie bestehe, es doch ohne Bedenken diese Frage dem Schiedsgericht unterbreiten könne. Er gab mir zur Antwort, dass das Schiedsgericht sich vermeiden lasse, wenn die Müller sich unter sich verständigen.
Zum Schluss kam ich wieder auf die Frage der Freigabe unseres Mehlzolles zurück und fragte, ob er mir sagen könne, wann wir auf eine Antwort auf diese Frage, bezw. auf unsere Note rechnen können - und insistierte darauf, dass wir die Bedingungen der Reichsregierung kennen müssen, bevor wir Rom und Belgrad in Sachen begrüssen. Er machte geltend, dass das Auswärtige Amt, seitdem es hieraufbezüglich mit den Reichsämtern verhandle, auf grössere Schwierigkeiten gestossen sei, als erwartet wurde. Er wolle sein Möglichstes tun, sei aber auch hier davon überzeugt, dass ein Abkommen zwischen den Müllern eher zum Ziele führen dürfte.
Aus dieser Unterredung ergibt sich zur Genüge, dass Herr v. Koerner, d. h. das Auswärtige Amt auch jetzt hofft, dass ein Abkommen zwischen den Müllem zu ermöglichen sein wird, obgleich wie Herr v. Koerner erwähnte, die deutschen Müller auf die von denselben gestellte Bedingung, dass die Mehrzahl der schweizerischen Müller und Mehlhändler beitreten, bestehen müssen. Beiläufig bemerke ich noch, dass Herr v. Koerner die Ansicht geäussert hat, dass, da die Unterhandlung zwischen den beidseitigen Müllern von den schweizerischen Müllern abgebrochen worden sei, die Wiederaufnahme der Verhandlungen schweizerischerseits beantragt werden müsste. Aus alledem schliesse ich, dass die Antwort, die wir erhalten werden, sich wieder stark mit der Frage der Beeinflussung der schweizerischen Müller beschäftigen wird.
Herrn v. Schoen werde ich am Montag aufsuchen, denn ich weiss, dass an diesem Tage die Commissionssitzung des Reichstages für das Auswärtige Amt ausfällt, mithin dass ich Chance habe, ihn an diesem Tage anzutreffen; auch wird er bis dahin von unserer Note voraussichtlich Kenntnis erhalten haben. Ich behalte mir einen weiteren Bericht vor.
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