Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutsches Reich
6.5. Mehlzollfrage
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 172
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E6#1000/953#69* | |
Old classification | CH-BAR E 6(-)1000/953 12 | |
Dossier title | Berichte, Zeitungsausschnitte, Korrespondenz (1880–1909) |
dodis.ch/43027 Protokoll der Verhandlungen zwischen schweizerischen und deutschen Vertretern über schwebende Zollfragen1
Nach Begrüssung der Schweizerischen Herren Vertreter durch den Vorsitzenden gelangte zunächst die Frage zur Besprechung, ob deutscherseits bei der Ausfuhr von Mehl Ausfuhrprämien gezahlt werden.
Schweizerischerseits wurde hierzu folgendes ausgeführt: Bei Erörterung der Frage während der letzten Handelsvertragsverhandlungen (vgl. Protokolle 1. Lesung; Schweiz Drucksache Nr. 11b, S. 25) sei schweizerischerseits anerkannt worden, dass bei der Ausfuhr von Weizen- und Roggenmehl den deutschen Müllern eine Ausfuhrprämie nicht zufliesse, da die der Berechnung zugrunde liegenden und allgemein festgesetzten Ausbeuteziffern den normalen Verhältnissen zu entsprechen scheinen2. Auf Grund gewisser Erscheinungen, die sich später gezeigt hätten, sei man schweizerischerseits jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass das System der deutschen Einfuhrscheine, in gewissen Fällen eben doch zur Gewährung einer Ausfuhrvergütung führe. Man habe die Beobachtung gemacht, dass seit dem 1. Juli 1906, dem Tage, von dem an der Wert der Einfuhrscheine nach den neuen deutschen Getreidezöllen berechnet wird, die Ausfuhr feiner Weizenmehle nach der Schweiz ganz unverhältnismässig gestiegen sei und gegenwärtig (nach der schweizerischen Statistik) monatlich etwa 17 000 dz betrage. Rund 80% dieser Mehle gehörten der 1. Ausbeuteklasse (§4 der deutschen Einfuhrscheinordnung) an. Vor dem 1. Juli 1906 seien derartige Mehle überhaupt kaum nach der Schweiz eingeführt worden; die deutsche Einfuhr habe vielmehr ausschliesslich aus gröberen Mehlen bestanden, die jetzt in der schweizerischen Statistik unter einer besonderen Nummer nachgewiesen würden und daher in der vorgenannten Einfuhrzahlen nicht einbegriffen seien. Der Grund für das ungewöhnliche Anwachsen der deutschen Einfuhr feiner Backmehle nach der Schweiz liege darin, dass die deutschen Mühlen seit dem 1. Juli 1906 die Preise der schweizerischen Mühlen um 5-6 Fr. für den Doppelzentner, d. h. 15-18 % unterböten und infolgedessen die deutschen Mehle von den schweizer Verbrauchern bevorzugt würden. Die deutschen Müller seien, wie sie selbst erklärt hätten, in der Lage, so billig zu liefern, weil seit der Wirksamkeit des neuen deutschen Weizenzolls von 5,50 M. für den Doppelzentner sich für sie bei der Ausfuhr von Mehl eine höhere Ausfuhrprämie als bisher ergäbe. Als die Nachricht bekannt geworden sei, dass man schweizerischerseits in Deutschland wegen Beseitigung der Ausfuhrprämie vorstellig zu werden beabsichtige, seien die Offerten der deutschen Müller mit dem Vermerke versehen worden, dass man sich daran nur insolange gebunden halte, als die deutsche Ausfuhrprämie unverändert weitergezahlt würde. Mehle der 2. und 3. Klasse der deutschen Einfuhrscheinordnung seien von den deutschen Müllern in der Schweiz nicht angeboten worden. Als Grund dafür hätten sie angegeben, dass die Ausfuhr dieser Mehle nach der Schweiz ihnen keinen Nutzen lasse, da die für sie gewährte Ausfuhrvergütung nicht so hoch wie für die Mehle 1. Klasse sei.
Hieraus ergebe sich nach Ansicht der Schweizerischen Regierung, dass die deutsche Einfuhrscheinordnung unter dem neuen deutschen Weizenzoll einen besonderen Anreiz zur Ausfuhr von Mehlen 1. Klasse biete. Die genannte Ordnung gehe davon aus, dass aus 100 kg Weizen 75 kg Mehl gezogen werden. Diese Zahl erscheine nach Auffassung der schweizerischen Müller etwas niedrig bemessen; bei dem heutigen technischen Stande der Mühlen könnten etwa 80 kg Mehl als Ausbeute angenommen werden. Die schweizerischen Müller würden sich indes hiermit abfinden; dagegen erscheine die Weizenmenge, welche der Berechnung der Ausfuhrvergütung in den einzelnen Ausbeuteklassen zugrunde gelegt wird, einer Änderung unbedingt bedürftig. Bei Mehl der 1. Klasse sei eine zu hohe Ziffer, bei demjenigen der 2. und 3. Klasse eine zu niedrige Ziffer in Ansatz gebracht. Für je 30 kg ausgeführtes Mehl der 1. Klasse würde der Zoll von je 48 kg Weizen vergütet; nach den Ermittlungen der schweizerischen Müller könnten durchschnittlich höchstens je 37,5 kg Weizen in Ansatz gebracht werden; bei Mehl der 2. Klasse wäre statt je 47 kg je 50 kg Weizen auf je 40 kg Mehl, bei Mehl der 3. Klasse statt je 5 kg je 6,25 kg Weizen auf je 5 kg Mehl zu rechnen. Bei Zugrundelegung der deutschen Ziffern stelle sich die Vergütung für je 100 kg ausgeführtes Mehl 1. Klasse auf 8,80 M., bei Zugrundelegung der schweizerischen Ziffer auf nur 6,88 M.; somit verbleibe zugunsten des deutschen Müllers eine Differenz von 1,92 M. für den Doppelzentner. Der schweizerische Eingangszoll für Mehl betrage 2,00 M. (2,50 Fr.) für den Doppelzentner, so dass gegenüber der deutscherseits effektiv gewährten Ausfuhrprämie von 1,92 M. dem schweizerischen Müller nur ein Zollschutz von 0,08 M. verbleibe. Hierin erblicke man schweizerischerseits den Grund für die starke Zunahme der Ausfuhr von Mehlen 1. Klasse nach der Schweiz. Direktoren deutscher Mühlen hätten dies auf ihren Geschäftsreisen in der Schweiz übrigens selbst als richtig anerkannt und dabei noch bemerkt, dass die zu niedrige Bemessung des Ausbeuteverhältnisses bei Mehlen 2. und 3. Klasse ihnen nicht schade, weil sie für diese Mehle in Deutschland selbst einen guten Absatz hätten. Durch das System der deutschen Einfuhrscheine habe gerade die Ausfuhr feiner Backmehle gefördert werden sollen. Die deutsche Statistik bestätige dies; denn nach derselben beständen, wie bereits bemerkt, von den gegen Einfuhrschein ausgeführten Mehlen etwa 80 % aus Mehlen 1. Klasse.
Der schweizerische Eingangszoll auf Mehl werde, wie vorstehend gezeigt, sonach fast völlig illusorisch gemacht und es sei daher, wenn in den Verhältnissen keine Änderung eintrete, in absehbarer Zeit die Vernichtung des schweizerischen Müllereigewerbes zu befürchten. Diese Gefahr würde beseitigt, wenn die deutschen Müller verpflichtet würden, sämtliches aus je 100 kg Weizen gewonnene Mehl, also nicht bloss Mehl 1. Klasse, auszuführen, oder aber, falls dieser Weg nicht gangbar erscheine, wenn die Ausbeuteziffer für Mehl 1. Klasse entsprechend dem Antrage der schweizerischen Müller geändert würde. Man habe gewünscht, durch die heutige Besprechung die Aufmerksamkeit der Deutschen Regierung auf diesen Punkt zu lenken, damit die einschlägigen Verhältnisse einer wohlwollenden Prüfung unterzogen und auf die eine oder andere Weise die hervorgetretenen Missstände beseitigt werden möchten. Man verkenne durchaus nicht, dass man keinerlei vertragsmässiges Recht besitze, eine anderweitige Regelung dieser Verhältnisse zu verlangen; man könne aber aus nationalen Gründen nie zulassen, dass die schweizerische Müllerei durch die ausländische Konkurrenz zur Einstellung ihrer Betriebe gezwungen werde und würde äusserstenfalls auf dem in Artikel 4 des Zolltarifgesetzes vorgezeichneten Wege sich hiergegen schützen müssen3.
Deutscherseits wurde erwidert, dass nach Ansicht der Deutschen Regierung das System der Einfuhrscheine die Gewährung von Ausfuhrprämien nicht in sich schliesse. Die Absicht bei Einführung dieses Systems sei lediglich dahin gegangen, das zur Ausfuhr gelangende Mehl um den Betrag des Zolles für das zur Herstellung verwendete Getreide zu entlasten, dagegen keinerlei Vergütung über diesen Betrag hinaus zu gewähren. Die in der Einfuhrscheinordnung enthaltenen Ausbeuteziffern seien daher nach sorgfältigen, langwierigen Ermittlungen festgesetzt worden. An ihrer Feststellung hätten keineswegs lediglich Vertreter von Grossmühlen, sondern auch Vertreter aus Kreisen, die entgegenstehende Interessen hätten, wie der Kleinmüllerei und der Landwirtschaft, mitgewirkt. Schon mit Rücksicht auf die letzteren wie auf den Reichsfiskus seien die Ausbeuteziffern so festgesetzt worden, dass sie nicht zu Ausfuhrprämien auf Mehl führen können. Man könne daher mangels weiterer Beweise nicht anerkennen, dass die Ausbeuteziffer für Mehl 1. Klasse zu hoch sei und eine Ausfuhrprämie in sich schliesse. Wenn dies auch von deutschen Müllern behauptet worden sein möge, so könne hierin doch noch nicht der Beweis für die tatsächliche Gewährung einer Prämie erblickt werden, da der finanztechnische Unterschied zwischen einer Ausfuhrprämie und der blossen Rückzahlung bzw. Entlastung von Zollgefällen in gewerblichen Kreisen häufig nicht streng innegehalten werde. Dass von den deutschen Mühlen hauptsächlich Weizenmehle 1. Klasse ausgeführt würden, erkläre sich dadurch, dass auf dem Weltmärkte, namentlich in den südlichen und westlichen Ländern, überhaupt nur die feinsten Mehle konkurrenzfähig seien. Schweizerischerseits sei ja auch zugegeben worden, dass die Schweiz gerade für diese Mehle ein guter Abnehmer sei. Es sei allerdings richtig, dass die Ausfuhr dieser Mehle nach der Schweiz seit dem 1. Juli 1906 erheblich gestiegen sei. Indessen habe auch in früheren Jahren, wie 1898 und 1900, eine sehr bedeutende Ausfuhr von Mehl nach der Schweiz stattgefunden, die nicht geringer als die des Jahres 1906 gewesen sei. Für die gegenwärtige Steigerung der Ausfuhr könne jedenfalls das System der Einfuhrscheine nicht verantwortlich gemacht werden; dasselbe bestehe bereits seit dem Jahre 1894; an seinen Bestimmungen sei inzwischen nichts geändert worden. Schweizerischerseits werde nun behauptet, dass infolge der Erhöhung des deutschen Weizenzolls auch die angebliche Ausfuhrprämie für Mehl 1. Klasse sich höher stelle und der deutsche Müller dadurch in den Stand gesetzt sei, seit dem l.Juli 1906 die Preise der schweizerischen Mühlen um 5-6 Fr. für den Doppelzentner zu unterbieten. Der Betrag dieser Ausfuhrprämie sei aber von den schweizerischen Müllern nur auf 1,92 M. für 1 dz (gegen 1,23 M. bei dem früheren Weizenzoll von 3,50 M. für 1 dz) berechnet worden. Es sei daher nicht wohl angängig, die plötzliche Preisunterbietung von 5-6 Fr. mit der Erhöhung der angeblich gezahlten Ausfuhrprämie um rund 0,70 M. in Zusammenhang zu bringen. Bei den gegenwärtigen anormalen Verhältnissen im Getreide- und Mehlhandel sei es vielmehr sehr wohl möglich, dass die deutschen Mühlen durch eine eingetretene Verschiebung der Absatzverhältnisse genötigt worden seien, ihre Exporttätigkeit in verstärktem Masse auf die Schweiz zu richten. Man sei indes gern bereit, die Frage auf Grund der heutigen Besprechung und der schweizerischerseits gelieferten Angaben einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und werde, wenn man dabei zu der Überzeugung gelangen sollte, dass die Ausbeuteziffern für Weizenmehl nicht mehr der Wirklichkeit entsprächen, schon aus fiskalischen Gründen in Erwägungen eintreten, ob und in welcher Weise dagegen Vorkehrung zu treffen sei, dass das Einfuhrscheinsystem die Natur einer Prämiengewährung annehme. Keinesfalls würde man indes, wie schweizerischerseits gewünscht, in der Lage sein, den deutschen Mühlen die Verpflichtung aufzuerlegen, sämtliche aus je 100 kg Weizen gewonnene Müllereierzeugnisse zur Ausfuhr zu bringen, da dies mit einer Unterbindung der Ausfuhr geleichbedeutend sein würde, weil die Müller für die gröberen Mehle und die Kleie im Ausland einen nur beschränkten Absatz finden würden.
Auf Anfrage erklärte man deutscherseits noch, dass ein Zeitpunkt, bis zu dem die Prüfung der Frage abgeschlossen sein werde, nicht angegeben werden könne, denn es werde möglicherweise notwendig sein, eine grössere Zahl von Interessenten zu hören, was die Erledigung der Sache verzögern würde. Man sei indes gern bereit, auf eine etwaige spätere Anfrage der Schweizerischen Regierung über den Stand der Angelegenheit Aufschluss zu geben.
- 1
- E 6/11. Anwesend: Von deutscher Seite: Seine Exzellenz Dr. von Koerner, Wirklicher Geheimer Rat und Direktor im Auswärtigen Amt als Vorsitzender, Edler von Stockhammern, Legationsrat im Auswärtigen Amt, Kempff, Vizekonsul im Auswärtigen Amt, Müller, Geheimer Oberregierungsrat und Vortragender Rat im Reichsamt des Innern, Meuschel, Geheimer Oberregierungsrat und Vortragender Rat im Reichsschatzamt, Blau, Geheimer Oberregierungsrat und Vortragender Rat im Reichsschatzamt, Neuhaus, Regierungsassessor im Königlich Preussischen Ministerium für Handel und Gewerbe, Härtig, Königlich Sächsischer Geheimer Finanzrat. Von schweizerischer Seite: Dr. von Claparède, ausserordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister, Nationalrat Frey. Als Sachverständige nahmen teil: Von deutscher Seite: Dr. Rösing, Geheimer Regierungsrat im Kaiserl. Patentamt, Rössing, Kommerzienrat, aus Plauen, Pinkus, Chef der Firma S. Fraenkel in Neustadt O/S. Von schweizerischer Seite die Herren: Maggi (für Müllerei) aus Zürich, Aider (für Stickereien) aus St. Gallen, Wäffler (für Stickzwirn) aus Basel.↩
- 2
- Das Sitzungsprotokoll der zweiten Lesung vom 29. August 1904 hält fest: Es besteht zwischen den beiden Delegationen, wie schon in der ersten Lesung, eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob die deutschen Müller aus der praktischen Anwendung des Regulativs betreffend die Gewährung von Zollerleichterungen bei der Ausfuhr von Mühlenfabrikaten, namentlich was die Festsetzung der Ausbeuteverhältnisse anbetrifft, Vorteile zu ziehen vermögen, durch welche schweizerische Interessen berührt werden (E 6/11). In den weiteren Verhandlungen über den schweizerisch-deutschen Handelsvertrag kam die Angelegenheit nicht mehr zur Sprache.↩
- 3
- Zolltarifgesetz vom 10. Oktober 1902: Art. 4. Für Waren aus solchen Staaten, welche schweizerische Waren mit besonders hohen Zöllen belegen oder sie ungünstiger behandeln, als die Waren anderer Staaten kann der Bundesrat die Ansätze des Generaltarifs jederzeit nach seinem Ermessen erhöhen oder, soweit das vorliegende Gesetz Zollfreiheit bestimmt, Zölle aufstellen. Der Bundesrat ist überhaupt ermächtigt, in Fällen, in welchen der schweizerische Handel durch Massregeln des Auslandes gehemmt wird, oder in welchen die Wirkung der schweizerischen Zölle durch Ausfuhrprämien oder ähnliche Begünstigungen beeinträchtigt wird, die ihm geeignet erscheinenden Anordnungen zu treffen. Der Bundesrat kann ferner unter ausserordentlichen Umständen, namentlich im Falle von Teuerung der Lebensmittel, vorübergehend die ihm zweckmässig erscheinenden Tarifermässigungen vornehmen oder sonstige Erleichterungen gewähren (AS 1905, NF 21, S. 66).↩
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