Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. SICHERHEITSPOLITIK
1. Internationale Lage und Kriegsgefahr
1.1. Die Lage in West- und Mitteleuropa
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 428
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#880* | |
Dossier title | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 4 (1888–1889) |
dodis.ch/42407 Der schweizerische Gesandte in Rom, S. Bavier, an den Vorsteher des Departements des Auswärtigen, N. Droz1
Gestern Abend hatte ich die übliche Privataudienz beim König, welche eine ganze Stunde – von 9–10° – in Anspruch nahm. Ich beehre mich Ihnen das Hauptsächlichste aus der dabei gepflogenen Unterhaltung zu berichten.
Der König sprach sich sehr offen & einlässlich über manigfaltige Dinge aus. Er erzählte von seiner Reise über den Gotthard2 nach Berlin & sagte, dass der Empfang, der ihm in der Schweiz zu Theil geworden sei, ihm einen äusserst wohlthuenden Eindruck gemacht habe. Er beauftragte mich ausdrücklich dem h. Bundesrath seinen lebhaftesten Dank auszusprechen & ihm zu sagen, dass die in Göschenen & auf der Reise gemachte nähere Bekanntschaft der Herren Bundesräthe ihm sehr erfreulich gewesen sei. Er werde die ihm bewiesenen Aufmerksamkeiten stets in dankbarer Erinnerung behalten.
Über die politische Lage äusserte er sich in dem Sinne, dass ihm der Friede vollkommen gesichert zu sein scheine. Er durchgieng alle grössern Staaten mit ihren Regierungen & fand dass überall die feste Tendenz den Frieden zu erhalten vorhanden sei. Freilich sei man zu ungeheuren Rüstungen genöthigt, die die bewaffnete Mannschaft, welche er von allen Ländern aufzählte, stets vermehren & fabelhafte Summen verschlingen. Aber es müsse damit doch bald ein Ende nehmen & jedenfalls seien solche Ausgaben einem Krieg, der, einmal ausgebrochen, fürchterliche Dimensionen annehmen müsste, hundertmal vorzuziehen. In der Trippelallianz erblicke er auch ein Pfand für die Ruhe Europa’s & als ich bemerkte die Allianz wäre noch beruhigender wenn Frankreich & Russland darin aufgenommen würden, erwiderte er lachend, warum nicht? sie würden uns willkommen sein! Ein grosses Verdienst an der Festigung der Allianz habe Crispi sich erworben. Er sprach dann in sehr anerkennender Weise über den Ministerpräsidenten, welcher Italien nach Innen & nach Aussen in ausgezeichneter Weise vertrete. Sein Vorgänger Depretis sei zwar auch ein äusserst tüchtiger Mann gewesen. Indessen haben Alter & Krankheit ihn, in den lezten Jahren, geknickt & geschwächt. Crispi sei viel kräftiger (più vibrato) & troz seiner 70 Jahre noch voll Geist & Leben. Er beherrsche das Parlament vollkommen, da die Abgeordneten es sehr wohl einsehen, dass, unter gegenwärtigen Verhältnissen, ein würdiger Ersazmann für ihn nicht zu finden wäre. Der König durchgieng dann die eventuellen Candidaten die Crispi nachfolgen könnten: Rudini, Nicotera, Zanardelli, Baccarini & fand, dass keiner derselben die nothwendigen Eigenschaften für einen tüchtigen Ministerpräsidenten besize.
Über das Finanzexposé, welches der Schazminister Giolitti den Kammern vorgelegt hat, schien er nicht ganz befriedigt zu sein. Er tadelte namentlich, dass Giolitti die Verwaltung seines Vorgängers (Magliani) einer unbilligen Critik unterzogen habe, während dem eben doch Magliani der gegenwärtig tüchtigste Finanzmann Italiens sei.
S. M. fragte mich über die laufenden Geschäfte zwischen der Schweiz & Italien. Indem ich ihm darüber berichtete, ermangelte ich nicht namentlich hervorzuheben, dass wir demnächst die Mitwirkung Italiens beim Bau einer Simplonbahn nachsuchen werden & sodann bemerkte ich, dass die hohen Zolltarife, die vexatorische Behandlung unserer die Grenze passirenden Waaren, sowie die meist ungünstige Interpretation unserer Reklamationen sehr unangenehm & schadenbringend für unsern Handel seien.
Den ersten Punkt (Simplon) übergieng der König mit Stillschweigen. In Bezug auf die Zollverhältnisse sagte er, es bestehe, wie er mich versichern könne, durchaus kein übler Wille gegen die Schweiz; aber die Beamten seien eben sehr eifrig bemüht die Zolleinnahmen zu vermehren, die Taxen seien freilich hoch & da die Schweizer, wie Jedermann, ungern viel bezahlen so begreife er die Unzufriedenheit sehr wohl. Es werde aber schwer halten Allem abzuhelfen. Italien bedürfe der Zollerträgnisse & könne für den Augenblick dieselben nicht entbehren. Sie seien in einer erfreulichen Progression begriffen; er habe gerade heute die Resultate der lezten Woche geprüft & gefunden, dass die tägliche Einnahme an Zöllen circa 1 Million Franken betrage.
Wir sprachen dann über die Abschaffung der Differentialtarife gegenüber Frankreich. Der König sagte er mache sich durchaus keine Illusionen über die Wirkung derselben, da das französische Parlament eine so überaus protektionistische Handelspolitik verfolge, dass von ihm kein Entgegenkommen zu gewärtigen sei. Italien aber wolle durch die That beweisen, dass es versöhnlich & freundschaftlich gegen Frankreich gestimmt sei & wenn man diess auch jezt noch nicht anerkenne so werde der Zukunft Vorbehalten bleiben Italien diese Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Übrigens sei der durch die gesammten Handelsbeziehungen entstandene Ausfall schon so ziemlich ausgeglichen. Er habe die Weingegenden Italiens, namentlich die Puglie, bereist, von wo aus n/ac/î/Frankreich früher circa 21/2 Millionen Hektoliter Wein ausgeführt worden seien, welche sich auf 100,000 Hektoliter reduzirt haben. Aber der Nothstand sei gehoben, da der Preis des Weines sehr gesteigert worden & neue Absazquellen gefunden worden seien. Unzufrieden seien nur Diejenigen welche, im ersten Schrecken, ihre Produkte zu Spottpreisen verkauften & jezt diess bereuen.
Noch selten sei ihm in Italien ein so herzlicher Empfang zu Theil geworden wie gerade in diesen Provinzen, wo die Bevölkerung momentan allerdings schwer geschädigt worden sei.
Der König wiederholte seine Wünsche für Erhaltung des Friedens: Kein Land habe ihn nöthiger als Italien, um auf der Bahn des Fortschrittes & der begonnenen Riformen/7/ sich entwikeln zu können. Ich schloss mich diesem Wunsche an & ergänzte ihn: dass die kommenden Weinachten [! den Frieden auf Erden bringen & erhalten mögen!