Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
1. Niederlassung
1.1. Der Niederlassungsvertrag mit Deutschland
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 3, Dok. 426
volume linkBern 1986
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E21#1000/131#24534* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 21(-)1000/131 2532 | |
Dossiertitel | Niederlassungsvertrag vom 31.5.1890, Bd 1-7 (1889–1905) | |
Aktenzeichen Archiv | 10.3.2-09.12 |
dodis.ch/42405
Ich habe Ihnen Ende August in Bern mündlich bemerkt, dass mir (in Pontresina) von einem gut informirten süddeutschen Diplomaten die Mittheilung gemacht worden sei, die süddeutschen Regierungen seien von Berlin aus dahin beschieden worden, die Kündigung des deutsch-schweizerischen Niederlassungs-Vertrags2 sei in Folge der Ansprüche, welche Frankreich, gestützt auf den Frankfurter Friedensvertrag, betreffend Niederlassung der Franzosen in Deutschland und speziell in Eisass-Lothringen neuestens geltend gemacht habe, zur absoluten Nothwendigkeit geworden. Frankreich verlange nämlich auf Grund der Meistbegünstigungs-Clausel des gedachten Frankfurter Vertrages, dass die Franzosen betreffend Niederlassung auf dem gleichen Fusse behandelt werden, wie die schweizerischen Staatsangehörigen, und zwar genau so, wie der deutsch-schweizerische Niederlassungsvertrag es bestimme.
Seither sind mir hier von Bekannten aus den deutschen Regierungskreisen im Privatgespräche wiederholt Andeutungen gemacht worden, welche mir denn auch keinen Zweifel darüber lassen, dass besagtes Motiv bei der Kündigung des Vertrags eine entscheidende Rolle gespielt haben dürfte. Und nun ist mir Seitens des französischen Botschafters direkt bestätigt worden, dass sachbezügliche Pourparlers zwischen der französischen und der kaiserlichen Regierung wirklich stattgefunden haben.
Herr Herbette erzählte mir anlässlich eines Gegenbesuches, welchen ich ihm gestern Abend machte, aus eigener Initiative unter Anderem auch Nachstehendes:
Als er, im vergangen Frühjahr, den Grafen Bismarck besucht, um denselben um Aufschluss über die Bedeutung und Tragweite einer durch die Zeitungen signalisirten Einschränkung der bekannten, betreffend Elsass-Lothringen getroffenen Passund anderen Massregeln zu bitten, habe ihm Bismarck bemerkt, er sei für den Augenblick nicht hinlänglich renseignirt, um ihm erschöpfende Auskunft zu ertheilen. Er werde aber sofort Nachfrage halten. Er, Herbette, habe 8 Tage später Graf Bismarck wieder aufgesucht und bei diesem Anlasse habe sich letzterer alsdann wie folgt geäussert: «Ich will ganz offen mit Ihnen sein; wir haben uns überzeugt, dass wir aus Versehen (par inadvertance) eine Bestimmung in die gedachte Verordnung aufgenommen haben, welche im Widerspruche mit dem Frankfurter Vertrag steht, nämlich die Bestimmung, gemäss welcher wir den Franzosen den Aufenthalt in Elsass-Lothringen von permis de séjour abhängig machen. Diese permis de séjour können wir in Folge des deutsch-schweizerischen Vertrags von den schweizerischen Staatsangehörigen nicht verlangen. Und da Ihnen der Frankfurter Vertrag die Meistbegünstigung garantirt, so können sie in der That Anspruch darauf machen, dass die Franzosen gleich behandelt werden, wie die Schweizer. Wir haben also die fragliche Bestimmung betreffend die permis de séjour aufgehoben. Das ist die Einschränkung, von welcher die Zeitungen sprachen.»
Herbette habe dann Graf Bismarck scherzend geantwortet: «C’est bien en principe; mais de peu d’importance et de valeur dans la pratique, puisque vous ne laissez pas entrer les Français en Alsace-Lorraine pour y séjourner.»
Und mir gegenüber fügte Herbette diesbezüglich dann noch lachend bei: «Et voilà que peu de temps après cette conversation on dénonce tout simplement vortre traité, pour ne plus être gêné vis-à-vis de nous à l’avenir.»
Ich bin begierig, zu erfahren, wie man deutscherseits bei dieser Sachlage eine vertragliche Neugestaltung, beziehungsweise das vertragliche Fortbestehen der durch den bisherigen Vertrag geordneten Verhältnisse sich denkt.
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