dodis.ch/42372 Der schweizerische Gesandte in Berlin, A. Roth, an den Vorsteher des Departements des Auswärtigen, N. Droz1
Confidentiell Berlin, 21. März 1889
Ich danke Ihnen nachträglich bestens für Ihre confidentiellen Mittheilungen vom 28. Januar 1. J.2 betreffend «l’utilisation du Gothard en temps de guerre» und betreffend «notre droit d’occuper la Savoie», und füge bei, dass ich, seit dem Zeitpunkte, wo ich Ihnen in Sachen berichtete (9.3 und 13. Jan.4 1.
J.) Neues betreffend diese beiden Fragen nicht erfahren habe.
Von Ihren Nachrichten betreffend den neulichen Aufenthalt deutscher und italienischer Offiziere in der Gegend des Gotthards habe ich gehörig Notiz genommen. Ich werde auch diesen Vorgängen fortgesetzt meine ganze Aufmerksamkeit zuwenden.
Dem General von Waldersee habe ich unlängst in einer Abendgesellschaft en passant die Mittheilung gemacht, «die Richtigkeit meiner ihm gegenüber geäusserten Ansicht, dass wir im besprochenen Kriegsfälle den Transit von Getreide etc. über den Gotthard nicht als mit unseren Neutralitätspflichten unverträglich ansehen würden, sei mir aus Bern von competenter Seite bestätigt worden.»
Graf Waldersee schien durch diese Mittheilung anfänglich insofern eher unangenehm berührt, als sie ihn nach meinem Eindruck befürchten liess, er sei in der fraglichen früheren Conversation mit mir etwas unvorsichtig gewesen. Nach einem etwas verlegenen «So» erwiderte er nämlich; «Ich möchte aber doch dringend wünschen, dass Sie meine bezügliche Frage als rein akademisch gestellt auffassen etc.», worauf ich ihm dann die Versicherung gab, dass ich die Sache genau so angesehen und mich in Bern streng confidentiell und nur privatim erkundigt habe.
Betreffend den scheinbaren Widerspruch zwischen meinen oben gedachten Berichten und demjenigen von 18875 bemerke ich kurz Folgendes:
Es sind mir seit 1887 keinerlei Mittheilungen geworden, welche mich annehmen lassen könnten, man habe hier in der Hauptsache, Savoyen betreffend, den damals von mir dargelegten Standpunkt geändert.
Dagegen habe ich die Empfindung, die Situation habe sich allerdings insofern etwas verändert, als man in den deutschen Regierungskreisen zur Zeit eher annehmen dürfte, dass es nicht in unserer Absicht liege, Savoyen eventuell cum animopossidendi zu besetzen, und zwar desswegen nicht, weil wir die Gefahr wittern, dass Italien für obigen Fall eine Compensation im Tessin suchen würde.
Somit würde also nur die temporäre Besetzung übrig bleiben, und dies wäre Deutschland und Italien, wie schon früher hervorgehoben und wie ich auch neulich wieder ausführte, entschieden sehr unerwünscht.
Obiger Eventualität (Velleitäten Italiens auf Tessin als Compensation für Savoyen) stehe ich, offen gestanden, ziemlich misstrauisch gegenüber, und ich bin, bessere Belehrung Vorbehalten, auch aus diesem Grunde der Idee der eventuellen Besetzung Savoyens durch unsere Truppen wenig zugänglich.
Indem ich wiederhole, dass ich betreffend die verschiedenen von Ihnen besprochenen Fragen seit dem Monat Januar absolut nichts Neues erfahren habe, bitte ich Sie, Herr Bundesrath, mit meinem erneuerten Dank für Ihre sehr interessanten Mittheilungen vom 28. Januar, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu genehmigen.